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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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fordcrungen einer Tragödie muß man also bei diesem "Fechter von Ravenna"
absehen. Die Piöce nimmt jeden Augenblick einen Anflug ins Erhabene,
aber es kommt nicht dazu, weil der Dichter sich darin getäuscht hat, daß die
erhabenen Ideen, die er in die Dichtung und in den Mund seiner Heldin
hineinzulegen suchte, alle zusammen genommen keine einheitliche tragische
Idee erzeugen. Interessant ist wol die beste Bezeichnung für den Werth dieses
Dramas und hiermit sei es allen Bühnen und Zuschauern in Deutschland
aufs freundlichste empfohlen. --

Als ich die Vorstellung des "Fechters" im Burgtheater besuchte (es war
die dritte oder vierte Reprise des Stücks) fand ich das erste Parterre (das
dem Parket andrer Hofbühnen entspricht) von der Elite der gebildeten Welt
besetzt. Neben bekannten literarischen Köpfen ragten besonders die seinen
Coiffüren unsrer Häute finance hervor. Das Esbouquet echtester Sorte
konnte nicht ganz den orientalischen Duft verdrängen, der über diesen Theil
der Gesellschaft sich verbreitete. ES ist bekannt, daß die Damen, welche
Abraham und Jsaak und Jacob zu ihren Stammvätern zählen, die geistvoll¬
sten Augen und die feinsten kritischen Näschen' besitzen. Wo irgend ein Er-
eigniß von besonderem literarischen Interesse in einer deutschen Großstadt ein¬
tritt, kann man gewiß sein, daß es vorerst von diesen durchdringenden Augen
und Näschen aufgestöbert wird. In den Salons unsrer jüdischen Damen
werden alle bedeutenden Erscheinungen des Büchermarktes discutirt, dort
bildet sich das Urtheil unsrer jugendlichen Kritiker, kleine Notabilitäten errin¬
gen die Unsterblichkeit von wenigen Tagen, die niedlichen Skandale, welche
hinter den Coulissen der Bühne und der Tagespresse passiren, werden hier
ausgeplaudert und gelangen dann geläutert, verzuckert und verbittert, je nach
den persönlichen Beziehungen, ins große Publicum. Die bürgerliche Mittel¬
classe hat bekanntlich in dem Capua der Geister einen Grundton der Konver¬
sation, der wenig Bildung verras und es sind wirklich nur einige gewählte
Kreise der höhern Beamtenwelt und die feinern Damencirkel der eigentlichen
Aristokratie, in welchen die geistigen Interessen der Zeit einen Nachhall und
einen gesellschaftlichen Ausdruck finden. Ueberall aber sprüht aus den lebhaf¬
ten Köpfchen der weiblichen Financiers die witzige Pointe des Gesprächs, sie
bilden das geistige Ferment in der großen Masse unsrer sinnlich'trägen Ge¬
sellschaft.

Es ist gut, daß Freund Ebersberg, der Wiener Russophile und Erbfeind
des Judenthums, nicht mehr unter den Lebenden ist. Wären ihm die vor¬
stehenden Zeilen noch zu Gesicht gekommen, er hätte den armen Grenzboten
eine ganze Nummer seines "Zuschauers" gewidmet. Der edle, unverzagte und
einzige offene Alliirte des Zaren in Oestreich ist todt, seit wenigen Tagen. Ob
man die Abonnentenliste des "Zusch"nerf" mit ins Grab gelegt hat? Wir


"renzbi'ten. IV. -I8si, 39

fordcrungen einer Tragödie muß man also bei diesem „Fechter von Ravenna"
absehen. Die Piöce nimmt jeden Augenblick einen Anflug ins Erhabene,
aber es kommt nicht dazu, weil der Dichter sich darin getäuscht hat, daß die
erhabenen Ideen, die er in die Dichtung und in den Mund seiner Heldin
hineinzulegen suchte, alle zusammen genommen keine einheitliche tragische
Idee erzeugen. Interessant ist wol die beste Bezeichnung für den Werth dieses
Dramas und hiermit sei es allen Bühnen und Zuschauern in Deutschland
aufs freundlichste empfohlen. —

Als ich die Vorstellung des „Fechters" im Burgtheater besuchte (es war
die dritte oder vierte Reprise des Stücks) fand ich das erste Parterre (das
dem Parket andrer Hofbühnen entspricht) von der Elite der gebildeten Welt
besetzt. Neben bekannten literarischen Köpfen ragten besonders die seinen
Coiffüren unsrer Häute finance hervor. Das Esbouquet echtester Sorte
konnte nicht ganz den orientalischen Duft verdrängen, der über diesen Theil
der Gesellschaft sich verbreitete. ES ist bekannt, daß die Damen, welche
Abraham und Jsaak und Jacob zu ihren Stammvätern zählen, die geistvoll¬
sten Augen und die feinsten kritischen Näschen' besitzen. Wo irgend ein Er-
eigniß von besonderem literarischen Interesse in einer deutschen Großstadt ein¬
tritt, kann man gewiß sein, daß es vorerst von diesen durchdringenden Augen
und Näschen aufgestöbert wird. In den Salons unsrer jüdischen Damen
werden alle bedeutenden Erscheinungen des Büchermarktes discutirt, dort
bildet sich das Urtheil unsrer jugendlichen Kritiker, kleine Notabilitäten errin¬
gen die Unsterblichkeit von wenigen Tagen, die niedlichen Skandale, welche
hinter den Coulissen der Bühne und der Tagespresse passiren, werden hier
ausgeplaudert und gelangen dann geläutert, verzuckert und verbittert, je nach
den persönlichen Beziehungen, ins große Publicum. Die bürgerliche Mittel¬
classe hat bekanntlich in dem Capua der Geister einen Grundton der Konver¬
sation, der wenig Bildung verras und es sind wirklich nur einige gewählte
Kreise der höhern Beamtenwelt und die feinern Damencirkel der eigentlichen
Aristokratie, in welchen die geistigen Interessen der Zeit einen Nachhall und
einen gesellschaftlichen Ausdruck finden. Ueberall aber sprüht aus den lebhaf¬
ten Köpfchen der weiblichen Financiers die witzige Pointe des Gesprächs, sie
bilden das geistige Ferment in der großen Masse unsrer sinnlich'trägen Ge¬
sellschaft.

Es ist gut, daß Freund Ebersberg, der Wiener Russophile und Erbfeind
des Judenthums, nicht mehr unter den Lebenden ist. Wären ihm die vor¬
stehenden Zeilen noch zu Gesicht gekommen, er hätte den armen Grenzboten
eine ganze Nummer seines „Zuschauers" gewidmet. Der edle, unverzagte und
einzige offene Alliirte des Zaren in Oestreich ist todt, seit wenigen Tagen. Ob
man die Abonnentenliste des „Zusch«nerf" mit ins Grab gelegt hat? Wir


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[0313] fordcrungen einer Tragödie muß man also bei diesem „Fechter von Ravenna" absehen. Die Piöce nimmt jeden Augenblick einen Anflug ins Erhabene, aber es kommt nicht dazu, weil der Dichter sich darin getäuscht hat, daß die erhabenen Ideen, die er in die Dichtung und in den Mund seiner Heldin hineinzulegen suchte, alle zusammen genommen keine einheitliche tragische Idee erzeugen. Interessant ist wol die beste Bezeichnung für den Werth dieses Dramas und hiermit sei es allen Bühnen und Zuschauern in Deutschland aufs freundlichste empfohlen. — Als ich die Vorstellung des „Fechters" im Burgtheater besuchte (es war die dritte oder vierte Reprise des Stücks) fand ich das erste Parterre (das dem Parket andrer Hofbühnen entspricht) von der Elite der gebildeten Welt besetzt. Neben bekannten literarischen Köpfen ragten besonders die seinen Coiffüren unsrer Häute finance hervor. Das Esbouquet echtester Sorte konnte nicht ganz den orientalischen Duft verdrängen, der über diesen Theil der Gesellschaft sich verbreitete. ES ist bekannt, daß die Damen, welche Abraham und Jsaak und Jacob zu ihren Stammvätern zählen, die geistvoll¬ sten Augen und die feinsten kritischen Näschen' besitzen. Wo irgend ein Er- eigniß von besonderem literarischen Interesse in einer deutschen Großstadt ein¬ tritt, kann man gewiß sein, daß es vorerst von diesen durchdringenden Augen und Näschen aufgestöbert wird. In den Salons unsrer jüdischen Damen werden alle bedeutenden Erscheinungen des Büchermarktes discutirt, dort bildet sich das Urtheil unsrer jugendlichen Kritiker, kleine Notabilitäten errin¬ gen die Unsterblichkeit von wenigen Tagen, die niedlichen Skandale, welche hinter den Coulissen der Bühne und der Tagespresse passiren, werden hier ausgeplaudert und gelangen dann geläutert, verzuckert und verbittert, je nach den persönlichen Beziehungen, ins große Publicum. Die bürgerliche Mittel¬ classe hat bekanntlich in dem Capua der Geister einen Grundton der Konver¬ sation, der wenig Bildung verras und es sind wirklich nur einige gewählte Kreise der höhern Beamtenwelt und die feinern Damencirkel der eigentlichen Aristokratie, in welchen die geistigen Interessen der Zeit einen Nachhall und einen gesellschaftlichen Ausdruck finden. Ueberall aber sprüht aus den lebhaf¬ ten Köpfchen der weiblichen Financiers die witzige Pointe des Gesprächs, sie bilden das geistige Ferment in der großen Masse unsrer sinnlich'trägen Ge¬ sellschaft. Es ist gut, daß Freund Ebersberg, der Wiener Russophile und Erbfeind des Judenthums, nicht mehr unter den Lebenden ist. Wären ihm die vor¬ stehenden Zeilen noch zu Gesicht gekommen, er hätte den armen Grenzboten eine ganze Nummer seines „Zuschauers" gewidmet. Der edle, unverzagte und einzige offene Alliirte des Zaren in Oestreich ist todt, seit wenigen Tagen. Ob man die Abonnentenliste des „Zusch«nerf" mit ins Grab gelegt hat? Wir «renzbi'ten. IV. -I8si, 39

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/313>, abgerufen am 29.12.2024.