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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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gegen den mit Recht bewunderten Componisten gelten lassen wollten, den Aus-
spnich gethan zu haben, daß dem Schöpfer des Elias denn doch meist die Naivetät
gefehlt habe. Interessant bei Heine ist der persönliche Haß gegen England.
Dieser Haß und seine Begeisterung für den Glanz des Bonapartismus sind
die einzigen consequenten Züge, die sich in Heines politischer Ueberzeugung
nachweisen lassen. Hier werden diese Pariser Artikel gewiß großen Beifall
finden, sie sind ganz mit dieser Vorliebe für die Form und die Pointe geschrie¬
ben, wie man es hier liebt. Unbegreiflich aber ist es mir, daß sich daS poe¬
tische Gefühl Hein'es nicht gegen den prosaischen Abklatsch sträubte, welchen die
Revue des deur Mondes als Uebersetzung seiner versificirten Beigabe dieser ver¬
mischten Schriften gegeben hat.




Oestreich und Preußen.

Es kann nicht fehlen, daß die Ereignisse ihre rückwirkende Kraft auf die
Gesinnung ausüben, und daß der gute oder schlechte Erfolg den Eifer für die
Sache, die man als Recht erkannt, anfeuert oder lahmt. So tst es im ge¬
genwärtigen Augenblick. Auf die sinnlose Furcht, die man früher vor Ru߬
land gehegt, war plötzlich eine grenzenlose Geringschätzung gefolgt. Schon
die verunglückte Belagerung von Silistria verbreitete allgemein den Glauben,
die Macht Rußlands beruhe lediglich in der Einbildung, und als nun durch
jene unglückselige Tartarenbotschaft das Wunder von der Einnahme Sebasto-
pols der erstaunten, aber doch gläubigen Welt verkündet wurde, da wurde die
Stimmung so unendlich sanguinisch, daß man es ganz natürlich gefunden
hätte, wenn die allirrten Armeen von der Krim aus in Eilmärschen nach
Se. Petersburg oder nach Moskau eingerückt wären. Es zeigt sich jetzt, daß
man in der Verachtung ebenso zu weit gegangen ist, wie früher in der Furcht,
Die Mauern Sebastopols fallen nicht wie die von Jericho vor dem bloßen
Schall der Posaunen; die Russen schlagen sich so tapfer, wie sie sich immer
geschlagen haben, ihre Generale operiren nicht ungeschickter als andere, und
aus dem unermeßlichen Reich entwickeln sich Heerscharen, die wenigstens
einigermaßen die vorher angenommene Ziffer übersteigen. Ein jeder Rausch
ist gefährlich, denn in der Ernüchterung sieht man die Dinge immer schwärzer,
als sie sind. So hat sich jetzt über die liberale Presse eine Niedergeschlagenheit
ausgebreitet, der man nicht ernst genug entgegenarbeiten kann. Daß die Be¬
lagerung jener furchtbaren Festung sehr schwere Opfer kosten würde, hat sich
ja niemand verhehlt, und daß den.Feldherrn der Alliirten einmal auch etwas
Menschliches begegnen kann, entscheidet noch nichts für den Fortgang der


gegen den mit Recht bewunderten Componisten gelten lassen wollten, den Aus-
spnich gethan zu haben, daß dem Schöpfer des Elias denn doch meist die Naivetät
gefehlt habe. Interessant bei Heine ist der persönliche Haß gegen England.
Dieser Haß und seine Begeisterung für den Glanz des Bonapartismus sind
die einzigen consequenten Züge, die sich in Heines politischer Ueberzeugung
nachweisen lassen. Hier werden diese Pariser Artikel gewiß großen Beifall
finden, sie sind ganz mit dieser Vorliebe für die Form und die Pointe geschrie¬
ben, wie man es hier liebt. Unbegreiflich aber ist es mir, daß sich daS poe¬
tische Gefühl Hein'es nicht gegen den prosaischen Abklatsch sträubte, welchen die
Revue des deur Mondes als Uebersetzung seiner versificirten Beigabe dieser ver¬
mischten Schriften gegeben hat.




Oestreich und Preußen.

Es kann nicht fehlen, daß die Ereignisse ihre rückwirkende Kraft auf die
Gesinnung ausüben, und daß der gute oder schlechte Erfolg den Eifer für die
Sache, die man als Recht erkannt, anfeuert oder lahmt. So tst es im ge¬
genwärtigen Augenblick. Auf die sinnlose Furcht, die man früher vor Ru߬
land gehegt, war plötzlich eine grenzenlose Geringschätzung gefolgt. Schon
die verunglückte Belagerung von Silistria verbreitete allgemein den Glauben,
die Macht Rußlands beruhe lediglich in der Einbildung, und als nun durch
jene unglückselige Tartarenbotschaft das Wunder von der Einnahme Sebasto-
pols der erstaunten, aber doch gläubigen Welt verkündet wurde, da wurde die
Stimmung so unendlich sanguinisch, daß man es ganz natürlich gefunden
hätte, wenn die allirrten Armeen von der Krim aus in Eilmärschen nach
Se. Petersburg oder nach Moskau eingerückt wären. Es zeigt sich jetzt, daß
man in der Verachtung ebenso zu weit gegangen ist, wie früher in der Furcht,
Die Mauern Sebastopols fallen nicht wie die von Jericho vor dem bloßen
Schall der Posaunen; die Russen schlagen sich so tapfer, wie sie sich immer
geschlagen haben, ihre Generale operiren nicht ungeschickter als andere, und
aus dem unermeßlichen Reich entwickeln sich Heerscharen, die wenigstens
einigermaßen die vorher angenommene Ziffer übersteigen. Ein jeder Rausch
ist gefährlich, denn in der Ernüchterung sieht man die Dinge immer schwärzer,
als sie sind. So hat sich jetzt über die liberale Presse eine Niedergeschlagenheit
ausgebreitet, der man nicht ernst genug entgegenarbeiten kann. Daß die Be¬
lagerung jener furchtbaren Festung sehr schwere Opfer kosten würde, hat sich
ja niemand verhehlt, und daß den.Feldherrn der Alliirten einmal auch etwas
Menschliches begegnen kann, entscheidet noch nichts für den Fortgang der


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[0284] gegen den mit Recht bewunderten Componisten gelten lassen wollten, den Aus- spnich gethan zu haben, daß dem Schöpfer des Elias denn doch meist die Naivetät gefehlt habe. Interessant bei Heine ist der persönliche Haß gegen England. Dieser Haß und seine Begeisterung für den Glanz des Bonapartismus sind die einzigen consequenten Züge, die sich in Heines politischer Ueberzeugung nachweisen lassen. Hier werden diese Pariser Artikel gewiß großen Beifall finden, sie sind ganz mit dieser Vorliebe für die Form und die Pointe geschrie¬ ben, wie man es hier liebt. Unbegreiflich aber ist es mir, daß sich daS poe¬ tische Gefühl Hein'es nicht gegen den prosaischen Abklatsch sträubte, welchen die Revue des deur Mondes als Uebersetzung seiner versificirten Beigabe dieser ver¬ mischten Schriften gegeben hat. Oestreich und Preußen. Es kann nicht fehlen, daß die Ereignisse ihre rückwirkende Kraft auf die Gesinnung ausüben, und daß der gute oder schlechte Erfolg den Eifer für die Sache, die man als Recht erkannt, anfeuert oder lahmt. So tst es im ge¬ genwärtigen Augenblick. Auf die sinnlose Furcht, die man früher vor Ru߬ land gehegt, war plötzlich eine grenzenlose Geringschätzung gefolgt. Schon die verunglückte Belagerung von Silistria verbreitete allgemein den Glauben, die Macht Rußlands beruhe lediglich in der Einbildung, und als nun durch jene unglückselige Tartarenbotschaft das Wunder von der Einnahme Sebasto- pols der erstaunten, aber doch gläubigen Welt verkündet wurde, da wurde die Stimmung so unendlich sanguinisch, daß man es ganz natürlich gefunden hätte, wenn die allirrten Armeen von der Krim aus in Eilmärschen nach Se. Petersburg oder nach Moskau eingerückt wären. Es zeigt sich jetzt, daß man in der Verachtung ebenso zu weit gegangen ist, wie früher in der Furcht, Die Mauern Sebastopols fallen nicht wie die von Jericho vor dem bloßen Schall der Posaunen; die Russen schlagen sich so tapfer, wie sie sich immer geschlagen haben, ihre Generale operiren nicht ungeschickter als andere, und aus dem unermeßlichen Reich entwickeln sich Heerscharen, die wenigstens einigermaßen die vorher angenommene Ziffer übersteigen. Ein jeder Rausch ist gefährlich, denn in der Ernüchterung sieht man die Dinge immer schwärzer, als sie sind. So hat sich jetzt über die liberale Presse eine Niedergeschlagenheit ausgebreitet, der man nicht ernst genug entgegenarbeiten kann. Daß die Be¬ lagerung jener furchtbaren Festung sehr schwere Opfer kosten würde, hat sich ja niemand verhehlt, und daß den.Feldherrn der Alliirten einmal auch etwas Menschliches begegnen kann, entscheidet noch nichts für den Fortgang der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/284>, abgerufen am 03.07.2024.