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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Verbindung ihr Glück, Die Schwester von Lady Sarah, eine alte Jungfrau,
welche unter ihrer eckigen, komischen Gestalt ein großes einfaches Herz birgt,
ist vortrefflich gezeichnet. Die Prinzessin, welche im Interesse der Kunst Reisen
macht, um gute, Tenore zu engagiren und deren Leidenschaft zu Flaminio die
Entwicklung des Stückes herbeiführt, ist eine von den verführerischen koketten
Schöpfungen/ wie sie George Stand nur zuweilen gelingen. Sie fühlt sich
unbcengter, wenn es gilt große Leidenschaften zu zeichnen oder ein naives
unschuldiges Gemüth. Die schwachen Episodenfiguren werden vorzüglich durch
das gute Spiel der Schauspieler gehoben. Am wenigsten gelungen dürfte der
dritte Act (der zweite nach dem .Prologe) sein. Da übersteigt sich der Dichter
ein wenig. -- Im ganzen genommen ist doch ein merklicher Fortschritt in
der Conception dieser dramatischen Phantasie nachzuweisen. George Sand
läßt in diesem Augenblicke ein neues Stück im Ambigu comique von sich ein-
studiren und das Lustspiel für die Comedie frau^aise soll beinahe fertig sein.
Die Thätigkeit dieser Frau ist erstaunlich und bei ihrer Leichtigkeit zu produ-
ciren, erklärt sich ihre außerordentliche Fruchtbarkeit von selbst.

Heinrich Heine, der arme Leidende, gibt uns von Zeit zu Zeit einen Be¬
weis, was ein Mensch auszuhalten im Stande ist. Seine humoristischen Aus¬
fälle auf die Krankheit und leider mehr noch die Frivolität des kranken Poeten
müssen den Leser in der Ferne an der Wirklichkeit des Leidens von Heinrich
Heine zweifeln lassen. Und doch übersteigt es trotz der Besserung, die infolge
der vortrefflichen Behandlung seines genialen Arztes Gruby eingetreten, jeden
Begriff. Aber der Witz, die Ironie, der Humor haben den deutschen Dichter
noch keinen Augenblick verlassen, er handhabt die scharfe Waffe gegen sich und
gegen andre wie in der besten Zeit seiner späßereichen ^Thätigkeit. Selbst zur
Zeit, als er noch ganz gelähmt war, kaum seine karge Speise hinabschlürfen
konnte, hatte das schwere Leiden seinen Witz nicht zu bändigen vermocht. Gruby
untersuchte bei der ersten Consiliumsvisite, welche Muskeln noch Thätigkeit be¬
säßen und fragte Heine unter andern:: "kourries vous siMer?" "?as asino la
mvillsure piöoe as Sorids" war die Antwort des Patienten, der zusammengezogen
wie ein Knäuel aus seinem Lager hingestreckt war. Ein Mann, der solche Leiden
mit soviel Heldenmut!) erträgt, hätte auch in seinem politischen Wirken mehr
Kraft zeigen müssen. Die Pariser Artikel aber zeigen besser als alles, was
Heine geschrieben, wie haltlos er in seinen Ueberzeugungen gewesen und wie
sich seine politischen, philosophischen und ästhetischen Meinungen stets uach
der witzigen Pointe bildeten, die er eben herbeiführen wollte. Die Pointe hat
ihn von jeher beherrscht, -- aber Heine vergißt sich glücklicherweise oft genug:
der Poet reißt seinem Witze aus und dann ist er ebenso beredt als scharfsichtig.
Selbst in feinen musikalischen Urtheilen findet sich Vortreffliches. Es ist z.B.
verdienstlich, zu einer Zeit, wo Mendelssohns Verehrer nicht die geringste Rüge


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Verbindung ihr Glück, Die Schwester von Lady Sarah, eine alte Jungfrau,
welche unter ihrer eckigen, komischen Gestalt ein großes einfaches Herz birgt,
ist vortrefflich gezeichnet. Die Prinzessin, welche im Interesse der Kunst Reisen
macht, um gute, Tenore zu engagiren und deren Leidenschaft zu Flaminio die
Entwicklung des Stückes herbeiführt, ist eine von den verführerischen koketten
Schöpfungen/ wie sie George Stand nur zuweilen gelingen. Sie fühlt sich
unbcengter, wenn es gilt große Leidenschaften zu zeichnen oder ein naives
unschuldiges Gemüth. Die schwachen Episodenfiguren werden vorzüglich durch
das gute Spiel der Schauspieler gehoben. Am wenigsten gelungen dürfte der
dritte Act (der zweite nach dem .Prologe) sein. Da übersteigt sich der Dichter
ein wenig. — Im ganzen genommen ist doch ein merklicher Fortschritt in
der Conception dieser dramatischen Phantasie nachzuweisen. George Sand
läßt in diesem Augenblicke ein neues Stück im Ambigu comique von sich ein-
studiren und das Lustspiel für die Comedie frau^aise soll beinahe fertig sein.
Die Thätigkeit dieser Frau ist erstaunlich und bei ihrer Leichtigkeit zu produ-
ciren, erklärt sich ihre außerordentliche Fruchtbarkeit von selbst.

Heinrich Heine, der arme Leidende, gibt uns von Zeit zu Zeit einen Be¬
weis, was ein Mensch auszuhalten im Stande ist. Seine humoristischen Aus¬
fälle auf die Krankheit und leider mehr noch die Frivolität des kranken Poeten
müssen den Leser in der Ferne an der Wirklichkeit des Leidens von Heinrich
Heine zweifeln lassen. Und doch übersteigt es trotz der Besserung, die infolge
der vortrefflichen Behandlung seines genialen Arztes Gruby eingetreten, jeden
Begriff. Aber der Witz, die Ironie, der Humor haben den deutschen Dichter
noch keinen Augenblick verlassen, er handhabt die scharfe Waffe gegen sich und
gegen andre wie in der besten Zeit seiner späßereichen ^Thätigkeit. Selbst zur
Zeit, als er noch ganz gelähmt war, kaum seine karge Speise hinabschlürfen
konnte, hatte das schwere Leiden seinen Witz nicht zu bändigen vermocht. Gruby
untersuchte bei der ersten Consiliumsvisite, welche Muskeln noch Thätigkeit be¬
säßen und fragte Heine unter andern:: „kourries vous siMer?" „?as asino la
mvillsure piöoe as Sorids" war die Antwort des Patienten, der zusammengezogen
wie ein Knäuel aus seinem Lager hingestreckt war. Ein Mann, der solche Leiden
mit soviel Heldenmut!) erträgt, hätte auch in seinem politischen Wirken mehr
Kraft zeigen müssen. Die Pariser Artikel aber zeigen besser als alles, was
Heine geschrieben, wie haltlos er in seinen Ueberzeugungen gewesen und wie
sich seine politischen, philosophischen und ästhetischen Meinungen stets uach
der witzigen Pointe bildeten, die er eben herbeiführen wollte. Die Pointe hat
ihn von jeher beherrscht, — aber Heine vergißt sich glücklicherweise oft genug:
der Poet reißt seinem Witze aus und dann ist er ebenso beredt als scharfsichtig.
Selbst in feinen musikalischen Urtheilen findet sich Vortreffliches. Es ist z.B.
verdienstlich, zu einer Zeit, wo Mendelssohns Verehrer nicht die geringste Rüge


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/283>, abgerufen am 29.12.2024.