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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Belagerung. -- Aber nehmen wir selbst den schlimmsten Fall an, einen Fall,
der beiläufig in diesem Augenblick um kein Haar breit wahrscheinlicher ist, als
vor zwei Monaten, nehmen wir an, daß die Erpedition trotz jener großen
Opfer ihren Zweck verfehlt, so ist das zwar eine empfindliche Niederlage, die
aber auf den Fortgang des Krieges kaum entscheidenden Einfluß ausüben
wird. Ja, jemehr die Nationalehre der Engländer und Franzosen durch die
militärischen Ereignisse an diesen K^leg gebunden ist, desto energischer wird er
geführt werden. Der Kampf des folgenden Jahres wird ein sehr schwerer
sein; aber solange jene beiden Völker einig bleiben, solange Oestreich auf der
ruhmvollen Bahn, die eS eingeschlagen hat, verharrt, solange ist auch noch
immer die Macht auf Seite deS Rechts, und wir können dem Ausgang mit
Zuversicht entgegensehn.

Ja sür uns Deutsche können die Schwierigkeiten, denen die Verbündeten
auf der Ostsee und dem schwarzen Meere begegnen, von großem Gewinn sein.
So gewaltig auch die Rüstungen sind, die für das kommende Frühjahr angestellt
werden, die Verbündeten werden doch mehr und mehr zu der Einsicht kommen,
daß durch diese Operationen zur See der Friede ebensowenig herbeigeführt
werden kann, als durch diplomatische Unterhandlungen; sie werden sich also
genöthigt sehen, die Hilfe der deutschen Mächte um jeden Preis zu erkaufen,
und das kann nur geschehen, wenn sie ihre Interessen mit in den Kampf ver¬
flechten, wenn sie ihnen für ihre Opfer einen Gewinn verheißen, kurz, wenn
sie den Weltkrieg in großem Maßstabe auffassen. Schon jetzt kündigt sich in
der englischen und französischen Presse eine große Wendung an. Bis jetzt hat
sie alle Versuche des deutschen Volks, sich eine politische Selbstständigkeit zu
erringen, mit gemeinem Hohn begeifert. Sie hat hin und wieder das liebe
Volk der Philosophen und Träumer wegen' seiner kindlichen Unschuld gelobt,
aber sich dabei immer schadenfroh die Hände gerieben, daß in dem Herzen/
Europas nicht ein mächtiger Staat, sondern eine gestaltlose geographische
Masse lag, die sich jedem Erperiment der Nachbarstaaten preisgab. Jetzt
kommt sie plötzlich zu der Einsicht, daß dieser Zustand niemand zugute kommt,
.als Rußland, daß die Unselbständigkeit Deutschlands das größte Unglück
auch für die Westmächte ist. Von dieser Einsicht bis zu dem Entschluß, der
Kräftigung Deutschlands wenigstens kein Hinderniß in den Weg zu legen, ist
nur ein kleiner Schritt. Nun werden aber die Staatsmänner Englands und
Frankreichs soviel Einsicht haben, daß man ein mächtiges Deutschland keines¬
wegs dadurch herstellt, daß man nach Frankfurt ein Parlament beruft, oder'
einen Kaiser kürt, oder anderweitige bnrschenschaftliche Erperimente anstellt.
Die Macht Deutschlands heißt soviel als Oestreich und Preußen. Oestreich
muß als Vormauer Deutschlands gegen Nußland an der Donau und am
schwarzen Meer stark gerüstet dastehen, Preußen muß in Kiel eine Warte


Belagerung. — Aber nehmen wir selbst den schlimmsten Fall an, einen Fall,
der beiläufig in diesem Augenblick um kein Haar breit wahrscheinlicher ist, als
vor zwei Monaten, nehmen wir an, daß die Erpedition trotz jener großen
Opfer ihren Zweck verfehlt, so ist das zwar eine empfindliche Niederlage, die
aber auf den Fortgang des Krieges kaum entscheidenden Einfluß ausüben
wird. Ja, jemehr die Nationalehre der Engländer und Franzosen durch die
militärischen Ereignisse an diesen K^leg gebunden ist, desto energischer wird er
geführt werden. Der Kampf des folgenden Jahres wird ein sehr schwerer
sein; aber solange jene beiden Völker einig bleiben, solange Oestreich auf der
ruhmvollen Bahn, die eS eingeschlagen hat, verharrt, solange ist auch noch
immer die Macht auf Seite deS Rechts, und wir können dem Ausgang mit
Zuversicht entgegensehn.

Ja sür uns Deutsche können die Schwierigkeiten, denen die Verbündeten
auf der Ostsee und dem schwarzen Meere begegnen, von großem Gewinn sein.
So gewaltig auch die Rüstungen sind, die für das kommende Frühjahr angestellt
werden, die Verbündeten werden doch mehr und mehr zu der Einsicht kommen,
daß durch diese Operationen zur See der Friede ebensowenig herbeigeführt
werden kann, als durch diplomatische Unterhandlungen; sie werden sich also
genöthigt sehen, die Hilfe der deutschen Mächte um jeden Preis zu erkaufen,
und das kann nur geschehen, wenn sie ihre Interessen mit in den Kampf ver¬
flechten, wenn sie ihnen für ihre Opfer einen Gewinn verheißen, kurz, wenn
sie den Weltkrieg in großem Maßstabe auffassen. Schon jetzt kündigt sich in
der englischen und französischen Presse eine große Wendung an. Bis jetzt hat
sie alle Versuche des deutschen Volks, sich eine politische Selbstständigkeit zu
erringen, mit gemeinem Hohn begeifert. Sie hat hin und wieder das liebe
Volk der Philosophen und Träumer wegen' seiner kindlichen Unschuld gelobt,
aber sich dabei immer schadenfroh die Hände gerieben, daß in dem Herzen/
Europas nicht ein mächtiger Staat, sondern eine gestaltlose geographische
Masse lag, die sich jedem Erperiment der Nachbarstaaten preisgab. Jetzt
kommt sie plötzlich zu der Einsicht, daß dieser Zustand niemand zugute kommt,
.als Rußland, daß die Unselbständigkeit Deutschlands das größte Unglück
auch für die Westmächte ist. Von dieser Einsicht bis zu dem Entschluß, der
Kräftigung Deutschlands wenigstens kein Hinderniß in den Weg zu legen, ist
nur ein kleiner Schritt. Nun werden aber die Staatsmänner Englands und
Frankreichs soviel Einsicht haben, daß man ein mächtiges Deutschland keines¬
wegs dadurch herstellt, daß man nach Frankfurt ein Parlament beruft, oder'
einen Kaiser kürt, oder anderweitige bnrschenschaftliche Erperimente anstellt.
Die Macht Deutschlands heißt soviel als Oestreich und Preußen. Oestreich
muß als Vormauer Deutschlands gegen Nußland an der Donau und am
schwarzen Meer stark gerüstet dastehen, Preußen muß in Kiel eine Warte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/285>, abgerufen am 03.07.2024.