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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Wir unterließen nicht, die herrliche Maschine zu bewundern, die zu so
außerordentlichen Erscheinungen construirt war; meinten jedoch, es käme uns
jetzt weniger auf diese Art von Versuchen an, die wir auch schon in öffentlichen
Soireen'aus der Ferne mit gesehen hätten. Dr. Schiff erbat sich vielmehr von
Herrn Regazzoni die Erlaubniß, an den von ihm magnetisirten Somnambulen
nach eignem Ermessen und mit eignen Apparaten Versuche anstellen zu dürfen.
Dies sagte auch Herr Regazzoni zu, nachdem Dr, Schiff ihm bemerkt hatte, daß
es sich ja heute für uns nicht um Controle seiner Experimente, sondern zunächst
nur um Prüfung der Insensibilität seinerv Magnetisirten handle; würden wir
diese auf unsre schlichte, naturwissenschaftliche Art constatiren, dann würden wir
uns als überzeugt bekennen. Als nun Herr Dr. Schiff seinen Multiplicator
an die Stelle der Negazzonischen Spirale aufstellte, um ihn mit Ncgazzonis
Zinkkohlcnbatterie in Verbindung zu setzen, brach ein ungeheurer Sturm los.
Herr Regazzoni schwur, wir würden sofort mit Sack und Pack in sein Lager
überlaufen, wenn wir die Coups foudroyants seiner Maschine sehen würden,
die allein seien ooneluarits cleoisils. Erst nachdem man ihm begreiflich ge¬
macht, das sei doch unsre Sache, wie wir uns überzeugen würden, erst nach¬
dem man den Widerwillen der inzwischen eingetretenen Somnambulen gegen
das unbekannte, Verderben weissagende Maschinchen überwunden, erst dann
sprang die Scene in das Gegentheil um; zu hundert Malen betheuerte Herr
Regazzoni, es sei ja lächerlich, mit einem so elenden Apparate Versuche an¬
stellen zu wollen; wir könnten lange sitzen, bis wir mit dieser Maschine etwas
aufrichteten.

Noch war es zur Vermeidung aller Mißverständnisse nöthig, zu wissen,
was Herr Regazzoni unter Paralysie verstehe. Er- gab an, seine Somnam¬
bulen clans un 6we pÄralMqne zu versetzen. Auf Dr, Schiffs dahinzielende
Anfrage erklärte er: Paralysie sei der Zustand vollkommener Jnsenstbilite; ge¬
gen keinen Reiz von außen her vermöchten seine Somnambulen zu reagiren,
alles ginge spurlos an ihnen vorüber, sie seien im Zustande der vollkommen¬
sten tiefsten Empfindungslosigkeit. Außerdem seien die Muskeln so erstarrt, daß
alle Bewegungen irgend eines Gliedes ohne den Willen des Magnetiseurs un¬
möglich gemacht seien. Das genügte uns für jetzt vollkommen, obwol der wis¬
senschaftliche Begriff der Paralyse bekanntlich etwas ganz Anderes ist.

Herr Regazzoni, im sittsam bis zum Kinn zugeknöpften Fracke, machte
nun seine bekannten magnetischen Striche über eines seiner Mädchen. Es fiel
uns die Nonchalance dieses Herrn auf; denn während er seine abstechenden,
seine circularer und sonstigen Striche zog, unterhielt er sich immer noch über
die erbärmliche Maschine des Or. Schiff mit jener Italienerin und einem sei¬
ner Schüler. Die Operationen waren bald vollendet; auf die Frage des.Mag¬
netiseurs, ob sie wol schliefe, murmelte die Somnambule mit unterdrückter


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Wir unterließen nicht, die herrliche Maschine zu bewundern, die zu so
außerordentlichen Erscheinungen construirt war; meinten jedoch, es käme uns
jetzt weniger auf diese Art von Versuchen an, die wir auch schon in öffentlichen
Soireen'aus der Ferne mit gesehen hätten. Dr. Schiff erbat sich vielmehr von
Herrn Regazzoni die Erlaubniß, an den von ihm magnetisirten Somnambulen
nach eignem Ermessen und mit eignen Apparaten Versuche anstellen zu dürfen.
Dies sagte auch Herr Regazzoni zu, nachdem Dr, Schiff ihm bemerkt hatte, daß
es sich ja heute für uns nicht um Controle seiner Experimente, sondern zunächst
nur um Prüfung der Insensibilität seinerv Magnetisirten handle; würden wir
diese auf unsre schlichte, naturwissenschaftliche Art constatiren, dann würden wir
uns als überzeugt bekennen. Als nun Herr Dr. Schiff seinen Multiplicator
an die Stelle der Negazzonischen Spirale aufstellte, um ihn mit Ncgazzonis
Zinkkohlcnbatterie in Verbindung zu setzen, brach ein ungeheurer Sturm los.
Herr Regazzoni schwur, wir würden sofort mit Sack und Pack in sein Lager
überlaufen, wenn wir die Coups foudroyants seiner Maschine sehen würden,
die allein seien ooneluarits cleoisils. Erst nachdem man ihm begreiflich ge¬
macht, das sei doch unsre Sache, wie wir uns überzeugen würden, erst nach¬
dem man den Widerwillen der inzwischen eingetretenen Somnambulen gegen
das unbekannte, Verderben weissagende Maschinchen überwunden, erst dann
sprang die Scene in das Gegentheil um; zu hundert Malen betheuerte Herr
Regazzoni, es sei ja lächerlich, mit einem so elenden Apparate Versuche an¬
stellen zu wollen; wir könnten lange sitzen, bis wir mit dieser Maschine etwas
aufrichteten.

Noch war es zur Vermeidung aller Mißverständnisse nöthig, zu wissen,
was Herr Regazzoni unter Paralysie verstehe. Er- gab an, seine Somnam¬
bulen clans un 6we pÄralMqne zu versetzen. Auf Dr, Schiffs dahinzielende
Anfrage erklärte er: Paralysie sei der Zustand vollkommener Jnsenstbilite; ge¬
gen keinen Reiz von außen her vermöchten seine Somnambulen zu reagiren,
alles ginge spurlos an ihnen vorüber, sie seien im Zustande der vollkommen¬
sten tiefsten Empfindungslosigkeit. Außerdem seien die Muskeln so erstarrt, daß
alle Bewegungen irgend eines Gliedes ohne den Willen des Magnetiseurs un¬
möglich gemacht seien. Das genügte uns für jetzt vollkommen, obwol der wis¬
senschaftliche Begriff der Paralyse bekanntlich etwas ganz Anderes ist.

Herr Regazzoni, im sittsam bis zum Kinn zugeknöpften Fracke, machte
nun seine bekannten magnetischen Striche über eines seiner Mädchen. Es fiel
uns die Nonchalance dieses Herrn auf; denn während er seine abstechenden,
seine circularer und sonstigen Striche zog, unterhielt er sich immer noch über
die erbärmliche Maschine des Or. Schiff mit jener Italienerin und einem sei¬
ner Schüler. Die Operationen waren bald vollendet; auf die Frage des.Mag¬
netiseurs, ob sie wol schliefe, murmelte die Somnambule mit unterdrückter


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[0251] Wir unterließen nicht, die herrliche Maschine zu bewundern, die zu so außerordentlichen Erscheinungen construirt war; meinten jedoch, es käme uns jetzt weniger auf diese Art von Versuchen an, die wir auch schon in öffentlichen Soireen'aus der Ferne mit gesehen hätten. Dr. Schiff erbat sich vielmehr von Herrn Regazzoni die Erlaubniß, an den von ihm magnetisirten Somnambulen nach eignem Ermessen und mit eignen Apparaten Versuche anstellen zu dürfen. Dies sagte auch Herr Regazzoni zu, nachdem Dr, Schiff ihm bemerkt hatte, daß es sich ja heute für uns nicht um Controle seiner Experimente, sondern zunächst nur um Prüfung der Insensibilität seinerv Magnetisirten handle; würden wir diese auf unsre schlichte, naturwissenschaftliche Art constatiren, dann würden wir uns als überzeugt bekennen. Als nun Herr Dr. Schiff seinen Multiplicator an die Stelle der Negazzonischen Spirale aufstellte, um ihn mit Ncgazzonis Zinkkohlcnbatterie in Verbindung zu setzen, brach ein ungeheurer Sturm los. Herr Regazzoni schwur, wir würden sofort mit Sack und Pack in sein Lager überlaufen, wenn wir die Coups foudroyants seiner Maschine sehen würden, die allein seien ooneluarits cleoisils. Erst nachdem man ihm begreiflich ge¬ macht, das sei doch unsre Sache, wie wir uns überzeugen würden, erst nach¬ dem man den Widerwillen der inzwischen eingetretenen Somnambulen gegen das unbekannte, Verderben weissagende Maschinchen überwunden, erst dann sprang die Scene in das Gegentheil um; zu hundert Malen betheuerte Herr Regazzoni, es sei ja lächerlich, mit einem so elenden Apparate Versuche an¬ stellen zu wollen; wir könnten lange sitzen, bis wir mit dieser Maschine etwas aufrichteten. Noch war es zur Vermeidung aller Mißverständnisse nöthig, zu wissen, was Herr Regazzoni unter Paralysie verstehe. Er- gab an, seine Somnam¬ bulen clans un 6we pÄralMqne zu versetzen. Auf Dr, Schiffs dahinzielende Anfrage erklärte er: Paralysie sei der Zustand vollkommener Jnsenstbilite; ge¬ gen keinen Reiz von außen her vermöchten seine Somnambulen zu reagiren, alles ginge spurlos an ihnen vorüber, sie seien im Zustande der vollkommen¬ sten tiefsten Empfindungslosigkeit. Außerdem seien die Muskeln so erstarrt, daß alle Bewegungen irgend eines Gliedes ohne den Willen des Magnetiseurs un¬ möglich gemacht seien. Das genügte uns für jetzt vollkommen, obwol der wis¬ senschaftliche Begriff der Paralyse bekanntlich etwas ganz Anderes ist. Herr Regazzoni, im sittsam bis zum Kinn zugeknöpften Fracke, machte nun seine bekannten magnetischen Striche über eines seiner Mädchen. Es fiel uns die Nonchalance dieses Herrn auf; denn während er seine abstechenden, seine circularer und sonstigen Striche zog, unterhielt er sich immer noch über die erbärmliche Maschine des Or. Schiff mit jener Italienerin und einem sei¬ ner Schüler. Die Operationen waren bald vollendet; auf die Frage des.Mag¬ netiseurs, ob sie wol schliefe, murmelte die Somnambule mit unterdrückter 31*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/251>, abgerufen am 22.07.2024.