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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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mung des Wunderthäters, der sich nach einigem Sträuben dazu hergab, am
26, October in Gegenwart eines dritten Arztes eine wissenschaftliche Unter¬
suchung anzustellen. Sie sind so freundlich gewesen, uns das Resultat derselben
mitzutheilen, und wir lassen den Berichterstatter, Dr. Friedleben, selbst sprechen.

"Dr. Schiff bestand mit Recht darauf, daß wir dem Nervensystem direct zu
Leibe gehen müßten; wir bewaffneten uns daher mit starken Linsen, um, wenn
nöthig, einen concentrirten Lichtkegel auf die Pupille werfen, mit starker Co-
lequintenlösung, um die Geschmacksnerven befragen, mit einer kleinen Spritze,
um diese Lösung der Kehlkopfgegend des Rachens zuschleuoern und so die em¬
pfindlichen Stimmritzennerven prüfen zu können, wir führten Arhmungsröhren
mit, um die Nase vollkommen schließen, spitze Pincetten, um die Fußsohlen er¬
regen, starke Ohrlöffel, um die innern Ohrnerven kitzeln zu können. Außerdem
als Artilleriepark einen Multiplicator für die galvanische Batterie, verschieden
kalibrirte Leitungsdrähte und Akupunkturnadeln, Und damit auch der Falstaff sein
Recht behaupte, war noch ein lebendes Fröschlein der Begleiter unsrer Er¬
pedition. Von allen diesen Apparaten kam nur das unglückliche, seinem be¬
schaulichen Winterschlafe entrissene Hröschlein, der Multiplicator, die Leitungs¬
drähte und die Akupunkturnadeln ins Treffen.

Abends nach neun°Uhr begaben wir uns gemeinschaftlich in die Wohnung
des Herrn Regazzoni. Im Empfangzimmer fanden wir außer dem im be¬
haglichen Schlafrocke neben einer. Italienerin auf einem Divan hingegossenen
Magnetiseur bereits einen Blütenkranz seiner getreuesten Jünger versammelt.
Zu unsrem Bedauern waren die Somnambulen nicht zu Hause; der Sommer¬
nachtstraum hatte sie in Thaliens Tempel gerufen. Wir erfuhren, daß die
beiden Somnambulen zum Unterricht für die Schüler benutzt würden und daß
Herr Regazzoni nur zwei solcher Mädchen unterhielte, weil es sonst gar zu
viel Geld kosten würde, denn diese müßten doch gut bezahlt werden.

Wir besahen uns zu gleicher Zeit den galvanischen Apparat des Herrn
Regazzoni. Er besteht aus einer Zinkkohlenbatterie von nur einem, aber ziem¬
lich starken Element, aus einer ansehnlichen Spirale und vier Leitungsdräh¬
ten, welche je in einen messingenen, zur Handhabe bestimmten Cylinder aus¬
münden. Beweglich eingeschaltet in /inen Leitungsdraht befindet sich neben
der Spirale eine mit zahlreichen Zähnen versehene Messingplatte, welche zur
Unterbrechung des Stromes dient. Wir beobachteten nicht ihre Anwendung,
lassen also auch die Bedeutung dieser Platte für die in den früheren Soireen
producirten Kunststücke ganz dahingestellt. Herr Regazzoni pries im Tone der
Siegesgewißheit die furchtbare Macht seiner Maschine; wir müßten die Cy¬
linder schnell fallen lassen, wollten wir nicht selbst zu Boden geworfen werden;
hingegen hielten seine Somnambulen den stärksten Coup aus, nur ein leichtes
Auf- und Niederbeben der Arme gäbe Zeichen des galvanischen Stromes.


mung des Wunderthäters, der sich nach einigem Sträuben dazu hergab, am
26, October in Gegenwart eines dritten Arztes eine wissenschaftliche Unter¬
suchung anzustellen. Sie sind so freundlich gewesen, uns das Resultat derselben
mitzutheilen, und wir lassen den Berichterstatter, Dr. Friedleben, selbst sprechen.

„Dr. Schiff bestand mit Recht darauf, daß wir dem Nervensystem direct zu
Leibe gehen müßten; wir bewaffneten uns daher mit starken Linsen, um, wenn
nöthig, einen concentrirten Lichtkegel auf die Pupille werfen, mit starker Co-
lequintenlösung, um die Geschmacksnerven befragen, mit einer kleinen Spritze,
um diese Lösung der Kehlkopfgegend des Rachens zuschleuoern und so die em¬
pfindlichen Stimmritzennerven prüfen zu können, wir führten Arhmungsröhren
mit, um die Nase vollkommen schließen, spitze Pincetten, um die Fußsohlen er¬
regen, starke Ohrlöffel, um die innern Ohrnerven kitzeln zu können. Außerdem
als Artilleriepark einen Multiplicator für die galvanische Batterie, verschieden
kalibrirte Leitungsdrähte und Akupunkturnadeln, Und damit auch der Falstaff sein
Recht behaupte, war noch ein lebendes Fröschlein der Begleiter unsrer Er¬
pedition. Von allen diesen Apparaten kam nur das unglückliche, seinem be¬
schaulichen Winterschlafe entrissene Hröschlein, der Multiplicator, die Leitungs¬
drähte und die Akupunkturnadeln ins Treffen.

Abends nach neun°Uhr begaben wir uns gemeinschaftlich in die Wohnung
des Herrn Regazzoni. Im Empfangzimmer fanden wir außer dem im be¬
haglichen Schlafrocke neben einer. Italienerin auf einem Divan hingegossenen
Magnetiseur bereits einen Blütenkranz seiner getreuesten Jünger versammelt.
Zu unsrem Bedauern waren die Somnambulen nicht zu Hause; der Sommer¬
nachtstraum hatte sie in Thaliens Tempel gerufen. Wir erfuhren, daß die
beiden Somnambulen zum Unterricht für die Schüler benutzt würden und daß
Herr Regazzoni nur zwei solcher Mädchen unterhielte, weil es sonst gar zu
viel Geld kosten würde, denn diese müßten doch gut bezahlt werden.

Wir besahen uns zu gleicher Zeit den galvanischen Apparat des Herrn
Regazzoni. Er besteht aus einer Zinkkohlenbatterie von nur einem, aber ziem¬
lich starken Element, aus einer ansehnlichen Spirale und vier Leitungsdräh¬
ten, welche je in einen messingenen, zur Handhabe bestimmten Cylinder aus¬
münden. Beweglich eingeschaltet in /inen Leitungsdraht befindet sich neben
der Spirale eine mit zahlreichen Zähnen versehene Messingplatte, welche zur
Unterbrechung des Stromes dient. Wir beobachteten nicht ihre Anwendung,
lassen also auch die Bedeutung dieser Platte für die in den früheren Soireen
producirten Kunststücke ganz dahingestellt. Herr Regazzoni pries im Tone der
Siegesgewißheit die furchtbare Macht seiner Maschine; wir müßten die Cy¬
linder schnell fallen lassen, wollten wir nicht selbst zu Boden geworfen werden;
hingegen hielten seine Somnambulen den stärksten Coup aus, nur ein leichtes
Auf- und Niederbeben der Arme gäbe Zeichen des galvanischen Stromes.


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[0250] mung des Wunderthäters, der sich nach einigem Sträuben dazu hergab, am 26, October in Gegenwart eines dritten Arztes eine wissenschaftliche Unter¬ suchung anzustellen. Sie sind so freundlich gewesen, uns das Resultat derselben mitzutheilen, und wir lassen den Berichterstatter, Dr. Friedleben, selbst sprechen. „Dr. Schiff bestand mit Recht darauf, daß wir dem Nervensystem direct zu Leibe gehen müßten; wir bewaffneten uns daher mit starken Linsen, um, wenn nöthig, einen concentrirten Lichtkegel auf die Pupille werfen, mit starker Co- lequintenlösung, um die Geschmacksnerven befragen, mit einer kleinen Spritze, um diese Lösung der Kehlkopfgegend des Rachens zuschleuoern und so die em¬ pfindlichen Stimmritzennerven prüfen zu können, wir führten Arhmungsröhren mit, um die Nase vollkommen schließen, spitze Pincetten, um die Fußsohlen er¬ regen, starke Ohrlöffel, um die innern Ohrnerven kitzeln zu können. Außerdem als Artilleriepark einen Multiplicator für die galvanische Batterie, verschieden kalibrirte Leitungsdrähte und Akupunkturnadeln, Und damit auch der Falstaff sein Recht behaupte, war noch ein lebendes Fröschlein der Begleiter unsrer Er¬ pedition. Von allen diesen Apparaten kam nur das unglückliche, seinem be¬ schaulichen Winterschlafe entrissene Hröschlein, der Multiplicator, die Leitungs¬ drähte und die Akupunkturnadeln ins Treffen. Abends nach neun°Uhr begaben wir uns gemeinschaftlich in die Wohnung des Herrn Regazzoni. Im Empfangzimmer fanden wir außer dem im be¬ haglichen Schlafrocke neben einer. Italienerin auf einem Divan hingegossenen Magnetiseur bereits einen Blütenkranz seiner getreuesten Jünger versammelt. Zu unsrem Bedauern waren die Somnambulen nicht zu Hause; der Sommer¬ nachtstraum hatte sie in Thaliens Tempel gerufen. Wir erfuhren, daß die beiden Somnambulen zum Unterricht für die Schüler benutzt würden und daß Herr Regazzoni nur zwei solcher Mädchen unterhielte, weil es sonst gar zu viel Geld kosten würde, denn diese müßten doch gut bezahlt werden. Wir besahen uns zu gleicher Zeit den galvanischen Apparat des Herrn Regazzoni. Er besteht aus einer Zinkkohlenbatterie von nur einem, aber ziem¬ lich starken Element, aus einer ansehnlichen Spirale und vier Leitungsdräh¬ ten, welche je in einen messingenen, zur Handhabe bestimmten Cylinder aus¬ münden. Beweglich eingeschaltet in /inen Leitungsdraht befindet sich neben der Spirale eine mit zahlreichen Zähnen versehene Messingplatte, welche zur Unterbrechung des Stromes dient. Wir beobachteten nicht ihre Anwendung, lassen also auch die Bedeutung dieser Platte für die in den früheren Soireen producirten Kunststücke ganz dahingestellt. Herr Regazzoni pries im Tone der Siegesgewißheit die furchtbare Macht seiner Maschine; wir müßten die Cy¬ linder schnell fallen lassen, wollten wir nicht selbst zu Boden geworfen werden; hingegen hielten seine Somnambulen den stärksten Coup aus, nur ein leichtes Auf- und Niederbeben der Arme gäbe Zeichen des galvanischen Stromes.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/250>, abgerufen am 22.07.2024.