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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Stimme ein Ja; zum Zeitvertreib stieß ihr der Grausame eine Nadel durch dk
ganze Hand. Bemerkenswerth war mir nur die kleine Blutung bei dem Her¬
ausziehen der Nadel; sogleich bemerkte Herr Negazzoni, es sei dies ein Irr¬
thum seiner Schüler, wenn sie behauptet hätten, es flösse bei Magnetisirten bei
Einstieben kein Blut, es käme dies je zuweilen vor.

Ein zweiter Umstand, der mir ausfiel, war der, daß die Somnambule
während, ihres magnetischen Schlafes, nachdem sie schon ihr decisives "Ja"
gemurmelt, den etwas unbequem abducirten Kleinfinger der linken Hand bei
ausgestrecktem paralysirten Arm ganz gemüthlich adducirte, als ob das so
auch dazu gehörte, und allmälig seinem Nachbar näherte; nun, ich hatte nichts
dagegen, daß das Mädchen es sich bequemer machte, ich bewunderte den Jn-
stinct der Natur, die auch im Paralysirten ihr Recht behauptet.

Mit einem "Stehen Sie auf" ward die Somnambule von Ihrem im
Hintergrunde deS Zimmers stehenden Stuhle mit anziehenden Tractionöstrichen
des MagnetiseurS',in die Nähe des Tisches geleitet, aus welchem der galva¬
nische Apparat aufgestellt war und auf einen Stuhl placirt. Dr. Schiffs
Vorkehrung, den Tisch nicht vor, sondern neben die Somnambule zu stellen,
wurde theils mit Schütteln des Kopfes, theils mit Gelächter der alten und
jungen Magnetiseure aufgenommen; es wuchs noch die Heiterkeit der Herren,
als I)r. Schiff äußerte, möglicherweise könne die Somnamlmle zu Boden fallen.
"Was? durch die elende Maschine?" "Nun wir werden sehen." Auf Anre¬
gung eines der Schüler mußten wir versprechen, im Falle unsrer Conviction,
an der gar nicht zu zweifeln sei, dem Herrn Regazzoni ein Attest auszustellen.

Auf Dr. Schiffs Frage, ob es möglich sei, das Auge unempfindlich zu
machen, versicherte Herr Negazzoni lebhaft, gegen Kerzenlicht und gegen Ge-
sticulationen reagire die Pupille und die Augenlider nicht, aber wol gegen
Berührungen.

0r. Schiff ersuchte jetzt den Herrn Negazzoni, den Arm der Somnambule
vollkommen unempfindlich zu machen, aber ja vollkommen; nach Wiederho¬
lung einiger Striche versicherte der Meister, der Arm sei vollkommen insen¬
sible; auch die entsprechende Seite des Halses wurde in ganz gleicher Weise
tractirt. Mittlerweile hatte Dr. Schiff aus einer kleinen Blechbüchse in seiner
Rocktasche unvermerkt und ungeahnt für die Gesellschaft das Fröschlein her-
ausgelangt. Herr Negazzoni bemerkte etwas in Dr. Schiffs Hand und frug
darnach. Ihm, aber nur ihm allein, ward es gezeigt; er erklärte sofort
mit Bestimmtheit, das könne man ohne Anstand benutzen, das schade nicht.
Jener Italienerin rief er zu: "um Kestiu, vivente!" Dr. Schiff, das Thier¬
chen an seinen Hinterfüßen haltend und dessen Rücken mit seiner Hand deckend,
ließ den kalten klebngen Frosch mit seinen Vorderbeinen an der in die Höhe
gerichteten Handfläche der Somnambule hinaufkriechen, und o Wunder! mit


Stimme ein Ja; zum Zeitvertreib stieß ihr der Grausame eine Nadel durch dk
ganze Hand. Bemerkenswerth war mir nur die kleine Blutung bei dem Her¬
ausziehen der Nadel; sogleich bemerkte Herr Negazzoni, es sei dies ein Irr¬
thum seiner Schüler, wenn sie behauptet hätten, es flösse bei Magnetisirten bei
Einstieben kein Blut, es käme dies je zuweilen vor.

Ein zweiter Umstand, der mir ausfiel, war der, daß die Somnambule
während, ihres magnetischen Schlafes, nachdem sie schon ihr decisives „Ja"
gemurmelt, den etwas unbequem abducirten Kleinfinger der linken Hand bei
ausgestrecktem paralysirten Arm ganz gemüthlich adducirte, als ob das so
auch dazu gehörte, und allmälig seinem Nachbar näherte; nun, ich hatte nichts
dagegen, daß das Mädchen es sich bequemer machte, ich bewunderte den Jn-
stinct der Natur, die auch im Paralysirten ihr Recht behauptet.

Mit einem „Stehen Sie auf" ward die Somnambule von Ihrem im
Hintergrunde deS Zimmers stehenden Stuhle mit anziehenden Tractionöstrichen
des MagnetiseurS',in die Nähe des Tisches geleitet, aus welchem der galva¬
nische Apparat aufgestellt war und auf einen Stuhl placirt. Dr. Schiffs
Vorkehrung, den Tisch nicht vor, sondern neben die Somnambule zu stellen,
wurde theils mit Schütteln des Kopfes, theils mit Gelächter der alten und
jungen Magnetiseure aufgenommen; es wuchs noch die Heiterkeit der Herren,
als I)r. Schiff äußerte, möglicherweise könne die Somnamlmle zu Boden fallen.
„Was? durch die elende Maschine?" „Nun wir werden sehen." Auf Anre¬
gung eines der Schüler mußten wir versprechen, im Falle unsrer Conviction,
an der gar nicht zu zweifeln sei, dem Herrn Regazzoni ein Attest auszustellen.

Auf Dr. Schiffs Frage, ob es möglich sei, das Auge unempfindlich zu
machen, versicherte Herr Negazzoni lebhaft, gegen Kerzenlicht und gegen Ge-
sticulationen reagire die Pupille und die Augenlider nicht, aber wol gegen
Berührungen.

0r. Schiff ersuchte jetzt den Herrn Negazzoni, den Arm der Somnambule
vollkommen unempfindlich zu machen, aber ja vollkommen; nach Wiederho¬
lung einiger Striche versicherte der Meister, der Arm sei vollkommen insen¬
sible; auch die entsprechende Seite des Halses wurde in ganz gleicher Weise
tractirt. Mittlerweile hatte Dr. Schiff aus einer kleinen Blechbüchse in seiner
Rocktasche unvermerkt und ungeahnt für die Gesellschaft das Fröschlein her-
ausgelangt. Herr Negazzoni bemerkte etwas in Dr. Schiffs Hand und frug
darnach. Ihm, aber nur ihm allein, ward es gezeigt; er erklärte sofort
mit Bestimmtheit, das könne man ohne Anstand benutzen, das schade nicht.
Jener Italienerin rief er zu: „um Kestiu, vivente!" Dr. Schiff, das Thier¬
chen an seinen Hinterfüßen haltend und dessen Rücken mit seiner Hand deckend,
ließ den kalten klebngen Frosch mit seinen Vorderbeinen an der in die Höhe
gerichteten Handfläche der Somnambule hinaufkriechen, und o Wunder! mit


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[0252] Stimme ein Ja; zum Zeitvertreib stieß ihr der Grausame eine Nadel durch dk ganze Hand. Bemerkenswerth war mir nur die kleine Blutung bei dem Her¬ ausziehen der Nadel; sogleich bemerkte Herr Negazzoni, es sei dies ein Irr¬ thum seiner Schüler, wenn sie behauptet hätten, es flösse bei Magnetisirten bei Einstieben kein Blut, es käme dies je zuweilen vor. Ein zweiter Umstand, der mir ausfiel, war der, daß die Somnambule während, ihres magnetischen Schlafes, nachdem sie schon ihr decisives „Ja" gemurmelt, den etwas unbequem abducirten Kleinfinger der linken Hand bei ausgestrecktem paralysirten Arm ganz gemüthlich adducirte, als ob das so auch dazu gehörte, und allmälig seinem Nachbar näherte; nun, ich hatte nichts dagegen, daß das Mädchen es sich bequemer machte, ich bewunderte den Jn- stinct der Natur, die auch im Paralysirten ihr Recht behauptet. Mit einem „Stehen Sie auf" ward die Somnambule von Ihrem im Hintergrunde deS Zimmers stehenden Stuhle mit anziehenden Tractionöstrichen des MagnetiseurS',in die Nähe des Tisches geleitet, aus welchem der galva¬ nische Apparat aufgestellt war und auf einen Stuhl placirt. Dr. Schiffs Vorkehrung, den Tisch nicht vor, sondern neben die Somnambule zu stellen, wurde theils mit Schütteln des Kopfes, theils mit Gelächter der alten und jungen Magnetiseure aufgenommen; es wuchs noch die Heiterkeit der Herren, als I)r. Schiff äußerte, möglicherweise könne die Somnamlmle zu Boden fallen. „Was? durch die elende Maschine?" „Nun wir werden sehen." Auf Anre¬ gung eines der Schüler mußten wir versprechen, im Falle unsrer Conviction, an der gar nicht zu zweifeln sei, dem Herrn Regazzoni ein Attest auszustellen. Auf Dr. Schiffs Frage, ob es möglich sei, das Auge unempfindlich zu machen, versicherte Herr Negazzoni lebhaft, gegen Kerzenlicht und gegen Ge- sticulationen reagire die Pupille und die Augenlider nicht, aber wol gegen Berührungen. 0r. Schiff ersuchte jetzt den Herrn Negazzoni, den Arm der Somnambule vollkommen unempfindlich zu machen, aber ja vollkommen; nach Wiederho¬ lung einiger Striche versicherte der Meister, der Arm sei vollkommen insen¬ sible; auch die entsprechende Seite des Halses wurde in ganz gleicher Weise tractirt. Mittlerweile hatte Dr. Schiff aus einer kleinen Blechbüchse in seiner Rocktasche unvermerkt und ungeahnt für die Gesellschaft das Fröschlein her- ausgelangt. Herr Negazzoni bemerkte etwas in Dr. Schiffs Hand und frug darnach. Ihm, aber nur ihm allein, ward es gezeigt; er erklärte sofort mit Bestimmtheit, das könne man ohne Anstand benutzen, das schade nicht. Jener Italienerin rief er zu: „um Kestiu, vivente!" Dr. Schiff, das Thier¬ chen an seinen Hinterfüßen haltend und dessen Rücken mit seiner Hand deckend, ließ den kalten klebngen Frosch mit seinen Vorderbeinen an der in die Höhe gerichteten Handfläche der Somnambule hinaufkriechen, und o Wunder! mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/252>, abgerufen am 25.08.2024.