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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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muß Ansprüche erheben^, die zu der Größe seiner Opfer im Verhältniß stehen,
und diese Ansprüche jetzt bestimmt zu erheben ist die Sache Preußens.

Der einzige Gewinn aber, den Deutschland zu seiner nationalen Ent¬
wicklung machen kann, ist Schleswig-Holstein. Dies ist der einzige Preis,
der. die Gefahr eines Krieges aufwiegt. Leider hat sich Pieußen durch sein
unbestimmtes Verhalten gegen Oestreich jetzt die günstige Position verscherzt,
die eine vom gesammten Deutschland gestellte Forderung herbeiführen würde;
aber wenn es auch ganz allein steht, seine Stimme ist noch immer mächtig
genug, um sich im Rathe der Großmächte vernehmbar zu machen. Doch die
Zeit ist dringend, denn das Einverständnis) des französischen und englischen
Volks ist jetzt in seiner Blüte, und wenn die französische Eroberungslust in
Beziehung auf die Rheinprovinz sich einmal im Volke soweit verbreitet hat,
daß man es offen absprechen darf, einen Krieg gegen Preußen dem Bündniß
mit Preußen und Nußland vorzuziehen, so kann man später nicht mehr be¬
rechnen, wieweit der Dang der Ereignisse über die verständigen Berechnungen
und Pläne der Menschen hinausgehen wird. ----

Soeben erscheint eine neue Broschüre: ".Kann Preußen fernerhin
neutral bleiben?" (Leipzig, Geibel), welche ihrem Inhalt wie ihrer Hal¬
tung nach wol als eine officiöse Kundgebung des östreichischen Cabinets an¬
gesehen werden könnte, wenn nicht einzelne Ungenauigkeiten in den Thatsachen
dagegensprächen. So wird z. B. das erste Widerstreben Preußens, einen
bewaffneten Neutralitätsvertrag mit Oestreich abzuschließen, aus russischen
Sympathien hergeleitet, während es bekannt ist, daß grade damals in Berlin
die entgegengesetzte Richtung sich geltend machte. Ferner wird die Vorstellung
einer souveränen Neutralität ihrem Entstehen nach in eine spätere Zeit verlegt,
als in der That der Fall war. Außerdem findet noch eine kleine Ungenauigkeit
in Bezug auf das preußische Gesandtschaftspersonal in Paris statt.

Aus diesen Gründen müssen wir das Schriftchen vorläufig als ein nicht
officielles betrachten. Sein Inhalt wird deshalb'um nichts weniger beherzigens¬
wert!). Durch einfache und schlagende Zusammenstellung der bisherigen Ver¬
handlungen weist der Verfasser drei Punkte nach. Erstens, daß Preußen ans der
wirklichen Neutralität bereits herausgetreten ist, daß es durch seine Betheiligung
an den Wiener Protokollen und durch seinen Vertrag mit Oestreich es sich
wenigstens unmöglich gemacht hat, auf die Seite Rußlands zu treten, weil es
in diesem Fall seine Ehre aufs Spiel setzen würde. Zweitens, daß es im Fall
einer aufrichtig und vollständig festgehaltenen Neutralität, wozu man ihm an
und für sich das Recht nicht absprechen könne, ein für allemal seine Stellung
als europäische Großmacht aufgäbe. Drittens, daß es aber für den Fall, es
mit dieser Neutralität nicht aufrichtig zu meinen, sondern abzuwarten, bis die
Ereignisse ihm eine günstige Gelegenheit geben, das Gewicht seines Schwertes


muß Ansprüche erheben^, die zu der Größe seiner Opfer im Verhältniß stehen,
und diese Ansprüche jetzt bestimmt zu erheben ist die Sache Preußens.

Der einzige Gewinn aber, den Deutschland zu seiner nationalen Ent¬
wicklung machen kann, ist Schleswig-Holstein. Dies ist der einzige Preis,
der. die Gefahr eines Krieges aufwiegt. Leider hat sich Pieußen durch sein
unbestimmtes Verhalten gegen Oestreich jetzt die günstige Position verscherzt,
die eine vom gesammten Deutschland gestellte Forderung herbeiführen würde;
aber wenn es auch ganz allein steht, seine Stimme ist noch immer mächtig
genug, um sich im Rathe der Großmächte vernehmbar zu machen. Doch die
Zeit ist dringend, denn das Einverständnis) des französischen und englischen
Volks ist jetzt in seiner Blüte, und wenn die französische Eroberungslust in
Beziehung auf die Rheinprovinz sich einmal im Volke soweit verbreitet hat,
daß man es offen absprechen darf, einen Krieg gegen Preußen dem Bündniß
mit Preußen und Nußland vorzuziehen, so kann man später nicht mehr be¬
rechnen, wieweit der Dang der Ereignisse über die verständigen Berechnungen
und Pläne der Menschen hinausgehen wird. —--

Soeben erscheint eine neue Broschüre: „.Kann Preußen fernerhin
neutral bleiben?" (Leipzig, Geibel), welche ihrem Inhalt wie ihrer Hal¬
tung nach wol als eine officiöse Kundgebung des östreichischen Cabinets an¬
gesehen werden könnte, wenn nicht einzelne Ungenauigkeiten in den Thatsachen
dagegensprächen. So wird z. B. das erste Widerstreben Preußens, einen
bewaffneten Neutralitätsvertrag mit Oestreich abzuschließen, aus russischen
Sympathien hergeleitet, während es bekannt ist, daß grade damals in Berlin
die entgegengesetzte Richtung sich geltend machte. Ferner wird die Vorstellung
einer souveränen Neutralität ihrem Entstehen nach in eine spätere Zeit verlegt,
als in der That der Fall war. Außerdem findet noch eine kleine Ungenauigkeit
in Bezug auf das preußische Gesandtschaftspersonal in Paris statt.

Aus diesen Gründen müssen wir das Schriftchen vorläufig als ein nicht
officielles betrachten. Sein Inhalt wird deshalb'um nichts weniger beherzigens¬
wert!). Durch einfache und schlagende Zusammenstellung der bisherigen Ver¬
handlungen weist der Verfasser drei Punkte nach. Erstens, daß Preußen ans der
wirklichen Neutralität bereits herausgetreten ist, daß es durch seine Betheiligung
an den Wiener Protokollen und durch seinen Vertrag mit Oestreich es sich
wenigstens unmöglich gemacht hat, auf die Seite Rußlands zu treten, weil es
in diesem Fall seine Ehre aufs Spiel setzen würde. Zweitens, daß es im Fall
einer aufrichtig und vollständig festgehaltenen Neutralität, wozu man ihm an
und für sich das Recht nicht absprechen könne, ein für allemal seine Stellung
als europäische Großmacht aufgäbe. Drittens, daß es aber für den Fall, es
mit dieser Neutralität nicht aufrichtig zu meinen, sondern abzuwarten, bis die
Ereignisse ihm eine günstige Gelegenheit geben, das Gewicht seines Schwertes


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/229>, abgerufen am 22.07.2024.