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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Der HochvevrathsproceH in Berlin

Der Proceß, der gegenwärtig in erster Instanz zum Nachtheil' der Ange¬
klagten entschieden ist, muß in uns mannigfache Betrachtungen hervorrufen.
Das erste Gefühl ist wol Mitleid mit den Unglücklichen, die eine allerdings
sehr strafbare, daneben aber auch lächerliche Spielerei so schwer büßen müssen.
Eine zweite Empfindung ist das Staunen über die falsche Gemüthsrichtung
in Beziehung auf Politik, Vie immer von neuem aufzukeimen scheint, so häufig
sich auch der Ernst der Ereignisse vernehmlich gemacht hat, Wir theilen zwar
nicht die Ansicht des Staatsanwalts, der dieser einfältigen Verschwörung eine
unmittelbar praktische Bedeutung beimißt; allein als ein Symptom der Zeit
ist die Sache doch sehr traurig. Unter den Angeklagten sind mehre ganz ge¬
bildete Männer, die nicht mehr in der ersten Jugend stehen und die in den
letzten Jahren doch schon durch die Schule der Erfahrung hätten gehen sollen.
Wie ist es nun möglich, daß solche Männer die Vorstellung fassen können,
durch Handgranaten einen Staat umzuwerfen! Vielleicht haben die meisten
darunter sich gar nicht lebhaft vorgestellt, was es für eine Bewandniß mit
einem Bürgerkrieg hat, wieviel unschuldiges Blut unnütz verspritzt wird, und
wie der Lauf der Ereignisse jede andere politische Partei eher begünstigt, als
diejenige, welche die Revolution gemacht hat. Wie ist es möglich, daß nach
den Erfahrungen von Frankfurt und von Paris noch immer die Idee nicht
ausgerottet ist, ein historisch entwickelter Staat könne von unten auf recon-
struirt werden! Setzen wir einmal den Fall, daß es durch eine wunderbare
Constellation von Umständen den Aufständischen gelingt, über die organisirten
Streitkräfte der bestehenden Macht den Sieg davonzutragen und so die vor¬
handene Ordnung umzustürzen, so wird doch die neu zu gründende Ordnung
nicht von den Männern, die sich an dem Aufstand betheiligt haben, gegründet
werden können, denen alle Mittel fehlen, ihre Zwecke mit Abwägung der posi¬
tiven Verhältnisse durchzusetzen, ja die in der Regel nicht einmal soweit sind,
sich überhaupt einen bestimmten Zweck vorzustellen. Es werden also, wenn
die kurze Zeit der Anarchi durch die nothwendige konservative Reaction, die


Grenzboten. IV. -I8si. 26
Der HochvevrathsproceH in Berlin

Der Proceß, der gegenwärtig in erster Instanz zum Nachtheil' der Ange¬
klagten entschieden ist, muß in uns mannigfache Betrachtungen hervorrufen.
Das erste Gefühl ist wol Mitleid mit den Unglücklichen, die eine allerdings
sehr strafbare, daneben aber auch lächerliche Spielerei so schwer büßen müssen.
Eine zweite Empfindung ist das Staunen über die falsche Gemüthsrichtung
in Beziehung auf Politik, Vie immer von neuem aufzukeimen scheint, so häufig
sich auch der Ernst der Ereignisse vernehmlich gemacht hat, Wir theilen zwar
nicht die Ansicht des Staatsanwalts, der dieser einfältigen Verschwörung eine
unmittelbar praktische Bedeutung beimißt; allein als ein Symptom der Zeit
ist die Sache doch sehr traurig. Unter den Angeklagten sind mehre ganz ge¬
bildete Männer, die nicht mehr in der ersten Jugend stehen und die in den
letzten Jahren doch schon durch die Schule der Erfahrung hätten gehen sollen.
Wie ist es nun möglich, daß solche Männer die Vorstellung fassen können,
durch Handgranaten einen Staat umzuwerfen! Vielleicht haben die meisten
darunter sich gar nicht lebhaft vorgestellt, was es für eine Bewandniß mit
einem Bürgerkrieg hat, wieviel unschuldiges Blut unnütz verspritzt wird, und
wie der Lauf der Ereignisse jede andere politische Partei eher begünstigt, als
diejenige, welche die Revolution gemacht hat. Wie ist es möglich, daß nach
den Erfahrungen von Frankfurt und von Paris noch immer die Idee nicht
ausgerottet ist, ein historisch entwickelter Staat könne von unten auf recon-
struirt werden! Setzen wir einmal den Fall, daß es durch eine wunderbare
Constellation von Umständen den Aufständischen gelingt, über die organisirten
Streitkräfte der bestehenden Macht den Sieg davonzutragen und so die vor¬
handene Ordnung umzustürzen, so wird doch die neu zu gründende Ordnung
nicht von den Männern, die sich an dem Aufstand betheiligt haben, gegründet
werden können, denen alle Mittel fehlen, ihre Zwecke mit Abwägung der posi¬
tiven Verhältnisse durchzusetzen, ja die in der Regel nicht einmal soweit sind,
sich überhaupt einen bestimmten Zweck vorzustellen. Es werden also, wenn
die kurze Zeit der Anarchi durch die nothwendige konservative Reaction, die


Grenzboten. IV. -I8si. 26
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[0209] Der HochvevrathsproceH in Berlin Der Proceß, der gegenwärtig in erster Instanz zum Nachtheil' der Ange¬ klagten entschieden ist, muß in uns mannigfache Betrachtungen hervorrufen. Das erste Gefühl ist wol Mitleid mit den Unglücklichen, die eine allerdings sehr strafbare, daneben aber auch lächerliche Spielerei so schwer büßen müssen. Eine zweite Empfindung ist das Staunen über die falsche Gemüthsrichtung in Beziehung auf Politik, Vie immer von neuem aufzukeimen scheint, so häufig sich auch der Ernst der Ereignisse vernehmlich gemacht hat, Wir theilen zwar nicht die Ansicht des Staatsanwalts, der dieser einfältigen Verschwörung eine unmittelbar praktische Bedeutung beimißt; allein als ein Symptom der Zeit ist die Sache doch sehr traurig. Unter den Angeklagten sind mehre ganz ge¬ bildete Männer, die nicht mehr in der ersten Jugend stehen und die in den letzten Jahren doch schon durch die Schule der Erfahrung hätten gehen sollen. Wie ist es nun möglich, daß solche Männer die Vorstellung fassen können, durch Handgranaten einen Staat umzuwerfen! Vielleicht haben die meisten darunter sich gar nicht lebhaft vorgestellt, was es für eine Bewandniß mit einem Bürgerkrieg hat, wieviel unschuldiges Blut unnütz verspritzt wird, und wie der Lauf der Ereignisse jede andere politische Partei eher begünstigt, als diejenige, welche die Revolution gemacht hat. Wie ist es möglich, daß nach den Erfahrungen von Frankfurt und von Paris noch immer die Idee nicht ausgerottet ist, ein historisch entwickelter Staat könne von unten auf recon- struirt werden! Setzen wir einmal den Fall, daß es durch eine wunderbare Constellation von Umständen den Aufständischen gelingt, über die organisirten Streitkräfte der bestehenden Macht den Sieg davonzutragen und so die vor¬ handene Ordnung umzustürzen, so wird doch die neu zu gründende Ordnung nicht von den Männern, die sich an dem Aufstand betheiligt haben, gegründet werden können, denen alle Mittel fehlen, ihre Zwecke mit Abwägung der posi¬ tiven Verhältnisse durchzusetzen, ja die in der Regel nicht einmal soweit sind, sich überhaupt einen bestimmten Zweck vorzustellen. Es werden also, wenn die kurze Zeit der Anarchi durch die nothwendige konservative Reaction, die Grenzboten. IV. -I8si. 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/209>, abgerufen am 22.07.2024.