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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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sich im ganzen Volke erhebt, gestürzt ist, neue Kräfte wiedereintreten müssen,
um den Bau zu beginnen, und aus welcher Richtung diese Kräfte kommen,
das wird in der Regel vom Zufall abhängen. So hat denn die Verschwörung,
nachdem sie das Vaterland in die Gefahr des Untergangs gestürzt hat, da jede
Revolution vorübergehend den Staat wehrlos macht, auch im Fall des Ge¬
lingens für sich und ihre Zwecke nichts erreicht; sie hat für andere gearbeitet,
und noch dazu ohne im voraus zu wissen, wer diese andern sein werden. Im
Fall des Mißlingens aber, der ohne Unterschied der wahrscheinlichere ist, be¬
fördert sie die Reaction; denn jeder mißglückte Aufstand' wirft die ganze Masse
der Bevölkerung, um den Greueln der Anarchie zu entgehen, willenlos der
Gewaltherrschaft in die Arme. Die Folge jeder Revolution, einer gelungenen
oder einer mißglückter, ist der Absolutismus, möge dieser von einer neuen oder
von der alten Gewalt ausgeübt werden.

Und nun um dieses Resultat zu erreichen, was für ein elendes Leben
führen die Verschwörer! Ein beständiges Brüten über chimärischen Entwürfen,
eine Absorption aller Kräfte nach einer ungesunden Richtung hin, die jede
nützliche und zweckmäßige Thätigkeit unmöglich mcvht; ein Umgang mit wüsten
Gesellen, die jeder wohlgebildeten Natur Ekel erregen müssen; ein allseitiges
Mißtrauen auch gegen diejenigen, die dem Vertrauen am nächsten stehen sollten,
ja gegen diese am meisten; ein beständiges Verbergen, Heucheln, Lügen und
Betrügen; eine angstvolle Erregung der Seele,, die von den unbedeutendsten
Umständen angegriffen wird; ein Aufgeben alles natürlichen menschlichen Ver¬
kehrs, -- das ist das Leben eines Verschwörers, bis dann eine Erplosion
kommt, die ihm den Kerker öffnet, oder ihn willenlos in den Strudel der Er¬
eignisse treibt.

Und dabei sehen wir noch ganz von den unsittlichen Wirkungen ab, die
indirect mit jeder Verschwörung verknüpft sind. Die Staatsgewalt kann den
Frieden des Landes unmöglich der Willkür einiger Tollköpfe preisgeben; wenn
also auch nicht grade die Existenz des Staates bedroht ist, so muß sie doch
den Landfrieden schützen; sie muß der Verschwörung, von der sich bald dunkle
Gerüchte verbreiten, auf die Spur zu kommen suchen, sie muß in die Pfade
der Verschwörer eintreten und ihre eignen Mittel gegen sie anwenden. Das
ist eine Nothwendigkeit, 'aber eine traurige. Nun wird von der andern Seite
das System der Heuchelei und Lüge in Anwendung gebracht, und die natür¬
lichen Begriffe von Ehre und Sittlichkeit gerathen in Verwirrung; selbst die
Standesehre, die sonst doch gewöhnlich von sehr festen Formen bestimmt ist,
erleidet Schwankungen. Wir hegen vor dem ehemaligen preußischen Kriegs¬
minister die aufrichtigste Hochachtung, aber der Ausspruch, den er nach der
Angabe der Staatsanwaltschaft in dieser Beziehung gefällt haben soll, hat uns
.mit dem tiefsten Bedauern erfüllt.


sich im ganzen Volke erhebt, gestürzt ist, neue Kräfte wiedereintreten müssen,
um den Bau zu beginnen, und aus welcher Richtung diese Kräfte kommen,
das wird in der Regel vom Zufall abhängen. So hat denn die Verschwörung,
nachdem sie das Vaterland in die Gefahr des Untergangs gestürzt hat, da jede
Revolution vorübergehend den Staat wehrlos macht, auch im Fall des Ge¬
lingens für sich und ihre Zwecke nichts erreicht; sie hat für andere gearbeitet,
und noch dazu ohne im voraus zu wissen, wer diese andern sein werden. Im
Fall des Mißlingens aber, der ohne Unterschied der wahrscheinlichere ist, be¬
fördert sie die Reaction; denn jeder mißglückte Aufstand' wirft die ganze Masse
der Bevölkerung, um den Greueln der Anarchie zu entgehen, willenlos der
Gewaltherrschaft in die Arme. Die Folge jeder Revolution, einer gelungenen
oder einer mißglückter, ist der Absolutismus, möge dieser von einer neuen oder
von der alten Gewalt ausgeübt werden.

Und nun um dieses Resultat zu erreichen, was für ein elendes Leben
führen die Verschwörer! Ein beständiges Brüten über chimärischen Entwürfen,
eine Absorption aller Kräfte nach einer ungesunden Richtung hin, die jede
nützliche und zweckmäßige Thätigkeit unmöglich mcvht; ein Umgang mit wüsten
Gesellen, die jeder wohlgebildeten Natur Ekel erregen müssen; ein allseitiges
Mißtrauen auch gegen diejenigen, die dem Vertrauen am nächsten stehen sollten,
ja gegen diese am meisten; ein beständiges Verbergen, Heucheln, Lügen und
Betrügen; eine angstvolle Erregung der Seele,, die von den unbedeutendsten
Umständen angegriffen wird; ein Aufgeben alles natürlichen menschlichen Ver¬
kehrs, — das ist das Leben eines Verschwörers, bis dann eine Erplosion
kommt, die ihm den Kerker öffnet, oder ihn willenlos in den Strudel der Er¬
eignisse treibt.

Und dabei sehen wir noch ganz von den unsittlichen Wirkungen ab, die
indirect mit jeder Verschwörung verknüpft sind. Die Staatsgewalt kann den
Frieden des Landes unmöglich der Willkür einiger Tollköpfe preisgeben; wenn
also auch nicht grade die Existenz des Staates bedroht ist, so muß sie doch
den Landfrieden schützen; sie muß der Verschwörung, von der sich bald dunkle
Gerüchte verbreiten, auf die Spur zu kommen suchen, sie muß in die Pfade
der Verschwörer eintreten und ihre eignen Mittel gegen sie anwenden. Das
ist eine Nothwendigkeit, 'aber eine traurige. Nun wird von der andern Seite
das System der Heuchelei und Lüge in Anwendung gebracht, und die natür¬
lichen Begriffe von Ehre und Sittlichkeit gerathen in Verwirrung; selbst die
Standesehre, die sonst doch gewöhnlich von sehr festen Formen bestimmt ist,
erleidet Schwankungen. Wir hegen vor dem ehemaligen preußischen Kriegs¬
minister die aufrichtigste Hochachtung, aber der Ausspruch, den er nach der
Angabe der Staatsanwaltschaft in dieser Beziehung gefällt haben soll, hat uns
.mit dem tiefsten Bedauern erfüllt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/210>, abgerufen am 22.07.2024.