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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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dieses Manöver vor, und unsre Knechte sagten, sie thäten dies immer an der
gefährlichsten Stelle, wo sie keine Schläge zu erwarten haben, da eine einzige
unglückliche Bewegung sie in den Abgrund stürzen kann.

In der That wurden oben ans dem Plateau auch blos Schmeichelworte
angewendet, um das Thier zum Aufstehen zu bewegen, aber umsonst. Es lag
wie verendet und rührte kein Glied. Nun blieb nichts übrig, als dasselbe
möglichst auf die Mitte des Plateaus zu ziehen , abzuladen, und so gut es
ging, das andere Thier zu belasten. Ich leistete hierbei hilfreiche' Hand und
bedauerte, in, meiner Jugend neben andern nützlichen Künsten nicht auch die
des Dach- oder Schieferdeckers erlernt zu haben, welche mir dort von be¬
deutendem Nutzen gewesen wäre.

Als wir auf der ander" Seite der Wand- wieder auf festen, d. h. breiten
und geräumigen Boden gekommen waren, bearbeiteten die Knechte das Maul¬
thier nach Herzenslust mit ihren zusammengedrehten Lassos, um sich für die
oben an dasselbe verschwendeten Artigkeiten zu revanchiren, und daS^ Thier
wußte genau den Grund, denn es schlug schon aus, als sie sich ihm nur von
weitem näherten. Aber, als ich noch oben stand bei dem widerspenstigen Thiere
und auf die erstiegene Strecke abwärts blickte, sie sast für gefährlich haltend,
unbedingt aber wohlzufrieden, daß sie zurückgelegt, kam in sorglosen Sätzen
am äußersten Rand, und, wie es schien, auf einem nur mittelmäßigen Klepper
reitend, ein chilenisches Weib desselben Weges. Sie hatte die Zügel auf deS
Pferdes Hals gelegt und liebkoste einen Säugling, den sie im Arme hielt. Ich
schämte mich, als ich eine Parallele zog zwischen des Weibes Reise und mei¬
nem Bedenken.

Es war die Wohnung jenes Weibes die letzte im Gebirge und nun be¬
gann die eigentliche -hohe Cordillera, nachdem wir noch einige Stunden auf
ziemlich guten Wegen scharf fortgeritten waren. Wir machten hierauf etwa
gegen 1 Uhr des Mittags Halt, ließen die Pferde grasen und nahmen selbst
ein kleines Mahl ein. Dort schon sammelte ich geognostische Handstücke und
mehre Insekten, worunter unter andern eine neue Art prosooM Wmrirv8tri8,
Kturm. Auch eine Menge von Scorpionen wurde gefunden und fast unter
jedem Steine, den wir aufhoben, streckte uns einer seine Scheren entgegen.

Nach anderthalbstündiger Ruhe stiegen wie wieder zu Pferde, und setzten
nach einiger Zeit über einen kleinen Fluß, woraus wir mehre Stunden steil
bergauf eilten und endlich aus einen ziemlich breiten Bergrücken ankamen.

Der Charakter der Landschaft hatte sich allmälig bedeutend geändert. Wir
hatten vorher wol Wald und pittoreske Felsenpartien, gefährliche Bergpfadc
und strömende Gewässer in wilden Schluchten, aber immer fehlte der Thpu.s
der tiefen Ruhe und Einsamkeit, der das eigentliche Hochgebirge bezeichnet. Jetzt
aber war auf der Höhe der Pflanzenwuchs bereits verschwunden und nur in


dieses Manöver vor, und unsre Knechte sagten, sie thäten dies immer an der
gefährlichsten Stelle, wo sie keine Schläge zu erwarten haben, da eine einzige
unglückliche Bewegung sie in den Abgrund stürzen kann.

In der That wurden oben ans dem Plateau auch blos Schmeichelworte
angewendet, um das Thier zum Aufstehen zu bewegen, aber umsonst. Es lag
wie verendet und rührte kein Glied. Nun blieb nichts übrig, als dasselbe
möglichst auf die Mitte des Plateaus zu ziehen , abzuladen, und so gut es
ging, das andere Thier zu belasten. Ich leistete hierbei hilfreiche' Hand und
bedauerte, in, meiner Jugend neben andern nützlichen Künsten nicht auch die
des Dach- oder Schieferdeckers erlernt zu haben, welche mir dort von be¬
deutendem Nutzen gewesen wäre.

Als wir auf der ander» Seite der Wand- wieder auf festen, d. h. breiten
und geräumigen Boden gekommen waren, bearbeiteten die Knechte das Maul¬
thier nach Herzenslust mit ihren zusammengedrehten Lassos, um sich für die
oben an dasselbe verschwendeten Artigkeiten zu revanchiren, und daS^ Thier
wußte genau den Grund, denn es schlug schon aus, als sie sich ihm nur von
weitem näherten. Aber, als ich noch oben stand bei dem widerspenstigen Thiere
und auf die erstiegene Strecke abwärts blickte, sie sast für gefährlich haltend,
unbedingt aber wohlzufrieden, daß sie zurückgelegt, kam in sorglosen Sätzen
am äußersten Rand, und, wie es schien, auf einem nur mittelmäßigen Klepper
reitend, ein chilenisches Weib desselben Weges. Sie hatte die Zügel auf deS
Pferdes Hals gelegt und liebkoste einen Säugling, den sie im Arme hielt. Ich
schämte mich, als ich eine Parallele zog zwischen des Weibes Reise und mei¬
nem Bedenken.

Es war die Wohnung jenes Weibes die letzte im Gebirge und nun be¬
gann die eigentliche -hohe Cordillera, nachdem wir noch einige Stunden auf
ziemlich guten Wegen scharf fortgeritten waren. Wir machten hierauf etwa
gegen 1 Uhr des Mittags Halt, ließen die Pferde grasen und nahmen selbst
ein kleines Mahl ein. Dort schon sammelte ich geognostische Handstücke und
mehre Insekten, worunter unter andern eine neue Art prosooM Wmrirv8tri8,
Kturm. Auch eine Menge von Scorpionen wurde gefunden und fast unter
jedem Steine, den wir aufhoben, streckte uns einer seine Scheren entgegen.

Nach anderthalbstündiger Ruhe stiegen wie wieder zu Pferde, und setzten
nach einiger Zeit über einen kleinen Fluß, woraus wir mehre Stunden steil
bergauf eilten und endlich aus einen ziemlich breiten Bergrücken ankamen.

Der Charakter der Landschaft hatte sich allmälig bedeutend geändert. Wir
hatten vorher wol Wald und pittoreske Felsenpartien, gefährliche Bergpfadc
und strömende Gewässer in wilden Schluchten, aber immer fehlte der Thpu.s
der tiefen Ruhe und Einsamkeit, der das eigentliche Hochgebirge bezeichnet. Jetzt
aber war auf der Höhe der Pflanzenwuchs bereits verschwunden und nur in


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[0183] dieses Manöver vor, und unsre Knechte sagten, sie thäten dies immer an der gefährlichsten Stelle, wo sie keine Schläge zu erwarten haben, da eine einzige unglückliche Bewegung sie in den Abgrund stürzen kann. In der That wurden oben ans dem Plateau auch blos Schmeichelworte angewendet, um das Thier zum Aufstehen zu bewegen, aber umsonst. Es lag wie verendet und rührte kein Glied. Nun blieb nichts übrig, als dasselbe möglichst auf die Mitte des Plateaus zu ziehen , abzuladen, und so gut es ging, das andere Thier zu belasten. Ich leistete hierbei hilfreiche' Hand und bedauerte, in, meiner Jugend neben andern nützlichen Künsten nicht auch die des Dach- oder Schieferdeckers erlernt zu haben, welche mir dort von be¬ deutendem Nutzen gewesen wäre. Als wir auf der ander» Seite der Wand- wieder auf festen, d. h. breiten und geräumigen Boden gekommen waren, bearbeiteten die Knechte das Maul¬ thier nach Herzenslust mit ihren zusammengedrehten Lassos, um sich für die oben an dasselbe verschwendeten Artigkeiten zu revanchiren, und daS^ Thier wußte genau den Grund, denn es schlug schon aus, als sie sich ihm nur von weitem näherten. Aber, als ich noch oben stand bei dem widerspenstigen Thiere und auf die erstiegene Strecke abwärts blickte, sie sast für gefährlich haltend, unbedingt aber wohlzufrieden, daß sie zurückgelegt, kam in sorglosen Sätzen am äußersten Rand, und, wie es schien, auf einem nur mittelmäßigen Klepper reitend, ein chilenisches Weib desselben Weges. Sie hatte die Zügel auf deS Pferdes Hals gelegt und liebkoste einen Säugling, den sie im Arme hielt. Ich schämte mich, als ich eine Parallele zog zwischen des Weibes Reise und mei¬ nem Bedenken. Es war die Wohnung jenes Weibes die letzte im Gebirge und nun be¬ gann die eigentliche -hohe Cordillera, nachdem wir noch einige Stunden auf ziemlich guten Wegen scharf fortgeritten waren. Wir machten hierauf etwa gegen 1 Uhr des Mittags Halt, ließen die Pferde grasen und nahmen selbst ein kleines Mahl ein. Dort schon sammelte ich geognostische Handstücke und mehre Insekten, worunter unter andern eine neue Art prosooM Wmrirv8tri8, Kturm. Auch eine Menge von Scorpionen wurde gefunden und fast unter jedem Steine, den wir aufhoben, streckte uns einer seine Scheren entgegen. Nach anderthalbstündiger Ruhe stiegen wie wieder zu Pferde, und setzten nach einiger Zeit über einen kleinen Fluß, woraus wir mehre Stunden steil bergauf eilten und endlich aus einen ziemlich breiten Bergrücken ankamen. Der Charakter der Landschaft hatte sich allmälig bedeutend geändert. Wir hatten vorher wol Wald und pittoreske Felsenpartien, gefährliche Bergpfadc und strömende Gewässer in wilden Schluchten, aber immer fehlte der Thpu.s der tiefen Ruhe und Einsamkeit, der das eigentliche Hochgebirge bezeichnet. Jetzt aber war auf der Höhe der Pflanzenwuchs bereits verschwunden und nur in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/183>, abgerufen am 29.06.2024.