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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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jene Vorberge der Cordillera besucht, so sind die Wege derselben meist nur von
holztragenden Maulthieren und ihren Führern betreten, diese aber halten be¬
stimmte Tageszeiten zum Hin- und Zurückgehen ein, weil für alle blos Sant¬
iago das Ziel der Reise ist. Gegenseitiges "'sich Entgegenkommen ist also bei
diesen ein seltener Fall. Ein anderes war es mit uns, die wir grade entgegen¬
gesetzte Richtung mit den zur Stadt ziehenden Holzverkäufern hatten, und mir
wäre fast ein Unfall begegnet, der üble Folgen hätte haben können.

Schon einige Mal waren wir solchen holztragenden Maulthieren begegnet,
aber stets an breiteren Stellen, wo man ausweichen konnte.*) Jetzt aber ritten
wir einen der schmalsten Pfade, der noch dazu sich öfters um den Fels bog,
und ich war eben der letz.te im Zuge, mis der vor mir reitende Knecht mir
zurief, rascher zu reiten. Ich gab dem Pferde die Sporen, aber schon stand
ein Maulthier vor mir mit den Holzbündeln, die auf beiden Seiten des
Rückens befestigt seine Last bilden. Einige hundert Schritte rückwärts war
eine breitere Stelle des Weges, auch vorn, durch die Felsenecke verborgen,
mußte eine solche sein, da die Norausreitenden den Lastthieren ausweichen
konnten, aber zwischen diesen und mir stand das Maulthier und der Kopf des
zweiten war bereits sichtbar. Umwenden schien mir unmöglich. Links eine
steile Felsenwand, rechts ein jäher Abhang, auf dem kaum Fuß zu fassen. Mein
erster Gedanke war das Maulthier vor den Kopf zu schießen, aber dann,
welcher Skandal mit den nachfolgenden Treibern, und ferner wäre mir das
vvrwärtsstürzende Thier ebenso gefährlich als vorher gewesen. So blieb ich
unentschlossen einige Augenblicke haltend, ausweichend soweit als möglich auf
der Seite des Abhangs. Das Maulthier aber rannte vorwärts und stieß mich
mit der Holzlast dergestalt an die Kniescheibe, daß ich fast sammt dem Pferde
in den Abgrund geworfen worden wäre. Meiiie alten deutschen Iagdstiefel
von starkem Rindsleber und handbreit über die Knie reichend, schützten mich
insofern, daß ich nicht argen Schaden litt, doch hatte ich durch das verwünschte
Holz eine ziemliche Kontusion erhalten. Ich begriff jetzt, daß ich auf irgend¬
eine Weise ausweichen mußte, denn schon stand das zweite Maulthier vor mir.
So sprMg ich denn auf der rechten Seite des Pferdes herab und suchte mich
auf dem steilen AbHange festzuhalten, so gut es eben ging, und das zwar
zuerst am Zügel meines Pferdes, den ich in den Händen behalten hatte. Das
Maulthier aber rannte mit seinen Holzbündeln so heftig wider dasselbe, daß
die zwei obersten Decken in Stücke zerrissen, der Gurt gesprengt wurde und



*) Auf der Straße nach Mendoza, mehrfach besucht von Reisenden, ist es Gesetz, daß
jedes Maulthier e.me Glucke trägt, um sich an gefährlichen Stellen gegenseitig zu hören und
vorher ausweichen zu können. Aus dem eben angegebenen Grunde, der Seltenheit des Be-
gegnens halber, hält man es indessen an dieser Stelle des Gebirges für ""nöthig, die Maul-
thiere mit Glocken zu versehen.

jene Vorberge der Cordillera besucht, so sind die Wege derselben meist nur von
holztragenden Maulthieren und ihren Führern betreten, diese aber halten be¬
stimmte Tageszeiten zum Hin- und Zurückgehen ein, weil für alle blos Sant¬
iago das Ziel der Reise ist. Gegenseitiges "'sich Entgegenkommen ist also bei
diesen ein seltener Fall. Ein anderes war es mit uns, die wir grade entgegen¬
gesetzte Richtung mit den zur Stadt ziehenden Holzverkäufern hatten, und mir
wäre fast ein Unfall begegnet, der üble Folgen hätte haben können.

Schon einige Mal waren wir solchen holztragenden Maulthieren begegnet,
aber stets an breiteren Stellen, wo man ausweichen konnte.*) Jetzt aber ritten
wir einen der schmalsten Pfade, der noch dazu sich öfters um den Fels bog,
und ich war eben der letz.te im Zuge, mis der vor mir reitende Knecht mir
zurief, rascher zu reiten. Ich gab dem Pferde die Sporen, aber schon stand
ein Maulthier vor mir mit den Holzbündeln, die auf beiden Seiten des
Rückens befestigt seine Last bilden. Einige hundert Schritte rückwärts war
eine breitere Stelle des Weges, auch vorn, durch die Felsenecke verborgen,
mußte eine solche sein, da die Norausreitenden den Lastthieren ausweichen
konnten, aber zwischen diesen und mir stand das Maulthier und der Kopf des
zweiten war bereits sichtbar. Umwenden schien mir unmöglich. Links eine
steile Felsenwand, rechts ein jäher Abhang, auf dem kaum Fuß zu fassen. Mein
erster Gedanke war das Maulthier vor den Kopf zu schießen, aber dann,
welcher Skandal mit den nachfolgenden Treibern, und ferner wäre mir das
vvrwärtsstürzende Thier ebenso gefährlich als vorher gewesen. So blieb ich
unentschlossen einige Augenblicke haltend, ausweichend soweit als möglich auf
der Seite des Abhangs. Das Maulthier aber rannte vorwärts und stieß mich
mit der Holzlast dergestalt an die Kniescheibe, daß ich fast sammt dem Pferde
in den Abgrund geworfen worden wäre. Meiiie alten deutschen Iagdstiefel
von starkem Rindsleber und handbreit über die Knie reichend, schützten mich
insofern, daß ich nicht argen Schaden litt, doch hatte ich durch das verwünschte
Holz eine ziemliche Kontusion erhalten. Ich begriff jetzt, daß ich auf irgend¬
eine Weise ausweichen mußte, denn schon stand das zweite Maulthier vor mir.
So sprMg ich denn auf der rechten Seite des Pferdes herab und suchte mich
auf dem steilen AbHange festzuhalten, so gut es eben ging, und das zwar
zuerst am Zügel meines Pferdes, den ich in den Händen behalten hatte. Das
Maulthier aber rannte mit seinen Holzbündeln so heftig wider dasselbe, daß
die zwei obersten Decken in Stücke zerrissen, der Gurt gesprengt wurde und



*) Auf der Straße nach Mendoza, mehrfach besucht von Reisenden, ist es Gesetz, daß
jedes Maulthier e.me Glucke trägt, um sich an gefährlichen Stellen gegenseitig zu hören und
vorher ausweichen zu können. Aus dem eben angegebenen Grunde, der Seltenheit des Be-
gegnens halber, hält man es indessen an dieser Stelle des Gebirges für »»nöthig, die Maul-
thiere mit Glocken zu versehen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/181>, abgerufen am 03.07.2024.