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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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und da den Fluß seinen Lauf verfolgen, und die Gegend nahm in kurzer Zeit
einen andern Charakter an.

Die unendliche Masse von scheinbar wild und ohne alle Ordnung durch-
einandergcworfenem Gesteine, in mannigfachen pittoresken Formen hier an¬
steigend, dort eine tiefe Schlucht, wieder an einer andern Stelle einen mauer-
artigen Kamm bildend, entzückt den Landschaftsmaler und begeistert ihn, während
der Geognost verwirrt wird, und anfänglich die Hoffnung aufgibt, irgendeine
anständige Theorie'zu finden, wie alle diese unendlichen Abstufungen und
Varietäten von Porphyr, Diorit, Dolerit und andere verwandte Felsarten so
bunt durcheinandergewürfelt dorthin gekommen sind.

Mit etwas Phantasie und einigem guten Willen läßt sich vieles leisten,
so ist denn endlich eine nothdürftige Erklärung fertig. Da tritt uns plötzlich
ein Granit entgegen, wir finden Gneis, Sienit an einer Stelle so friedlich
und unbefangen dastehen und leider sowenig in die eben fertige Erklärung
passend, daß wir uns endlich gestehen müssen, ein flüchtiger Blick auf jene
colossale Natur sei wol Halbweg hinreichend, uns ihre Größe erkennen zu
lassen, keineswegs aber, sie nur einigermaßen genügend zu erklären.

Mannigfacher Baumschlag decorirt die Landschaft, indem die Abhänge der
Schluchten meist bewaldet >sind. So ritten wir einmal eine ziemliche Strecke
unter einem natürlichen Bogengange von Psirstchbäumen dahin. Im übrigen
aber waren verschiedene Lanrusarten und einige Species von Berberis das
einzige, was ich erkannte, indem mir, dem leider ziemlich Unkundigen in bo¬
tanischen Studien, deren Betrieb während des Vorübergaloppirens noch
schwerer fiel, als die Auffassung geognostischer Verhältnisse.

An andern Stellen schien der große, dort nicht selten eine Höhe von
20--30 Fuß erreichende Cactus und einige andere kleinere, ebenfalls scharf mit
. Stacheln bewehrte Pflanzen, die ganze Vegetation zu bilden. Dort aber fallen
die Abhänge steil ab und man reitet nicht selten auf einem Pfade, der links
von einer senkrecht ansteigenden Felswand begrenzt wird, wahrend rechts ein
tausend Fuß tiefer Abgrund uns entgegengähnt. Häufig ist ein solcher Pfad,
den meine verwünschten Knechte einen ganz vortrefflichen Weg nannten, so
schmal, daß der eine Fuß an der Felswand streift, während der andere sammt
dem Bügel über dem Abgrund schwebt. Bisweilen lösen sich durch den Huf¬
schlag der Pferde Steine und Geröll ab, und stürzen neben uns in die Tiefe.
Aber all das schadet nicht, man reitet vorwärts und macht aus der Noth eine
Tugend, denn Umwenden geht aus moralischen und physischen Gründen nicht
mehr an.

Weniger gefährlich indessen als es aussieht, sind diese Bergpfade wegen
der Güte und Sicherheit der chilenischen Pferde, aber sie werden bedenklich in
hohem Grade bei Begegnungen. Da nur in seltenen Fällen ein Reisender


und da den Fluß seinen Lauf verfolgen, und die Gegend nahm in kurzer Zeit
einen andern Charakter an.

Die unendliche Masse von scheinbar wild und ohne alle Ordnung durch-
einandergcworfenem Gesteine, in mannigfachen pittoresken Formen hier an¬
steigend, dort eine tiefe Schlucht, wieder an einer andern Stelle einen mauer-
artigen Kamm bildend, entzückt den Landschaftsmaler und begeistert ihn, während
der Geognost verwirrt wird, und anfänglich die Hoffnung aufgibt, irgendeine
anständige Theorie'zu finden, wie alle diese unendlichen Abstufungen und
Varietäten von Porphyr, Diorit, Dolerit und andere verwandte Felsarten so
bunt durcheinandergewürfelt dorthin gekommen sind.

Mit etwas Phantasie und einigem guten Willen läßt sich vieles leisten,
so ist denn endlich eine nothdürftige Erklärung fertig. Da tritt uns plötzlich
ein Granit entgegen, wir finden Gneis, Sienit an einer Stelle so friedlich
und unbefangen dastehen und leider sowenig in die eben fertige Erklärung
passend, daß wir uns endlich gestehen müssen, ein flüchtiger Blick auf jene
colossale Natur sei wol Halbweg hinreichend, uns ihre Größe erkennen zu
lassen, keineswegs aber, sie nur einigermaßen genügend zu erklären.

Mannigfacher Baumschlag decorirt die Landschaft, indem die Abhänge der
Schluchten meist bewaldet >sind. So ritten wir einmal eine ziemliche Strecke
unter einem natürlichen Bogengange von Psirstchbäumen dahin. Im übrigen
aber waren verschiedene Lanrusarten und einige Species von Berberis das
einzige, was ich erkannte, indem mir, dem leider ziemlich Unkundigen in bo¬
tanischen Studien, deren Betrieb während des Vorübergaloppirens noch
schwerer fiel, als die Auffassung geognostischer Verhältnisse.

An andern Stellen schien der große, dort nicht selten eine Höhe von
20—30 Fuß erreichende Cactus und einige andere kleinere, ebenfalls scharf mit
. Stacheln bewehrte Pflanzen, die ganze Vegetation zu bilden. Dort aber fallen
die Abhänge steil ab und man reitet nicht selten auf einem Pfade, der links
von einer senkrecht ansteigenden Felswand begrenzt wird, wahrend rechts ein
tausend Fuß tiefer Abgrund uns entgegengähnt. Häufig ist ein solcher Pfad,
den meine verwünschten Knechte einen ganz vortrefflichen Weg nannten, so
schmal, daß der eine Fuß an der Felswand streift, während der andere sammt
dem Bügel über dem Abgrund schwebt. Bisweilen lösen sich durch den Huf¬
schlag der Pferde Steine und Geröll ab, und stürzen neben uns in die Tiefe.
Aber all das schadet nicht, man reitet vorwärts und macht aus der Noth eine
Tugend, denn Umwenden geht aus moralischen und physischen Gründen nicht
mehr an.

Weniger gefährlich indessen als es aussieht, sind diese Bergpfade wegen
der Güte und Sicherheit der chilenischen Pferde, aber sie werden bedenklich in
hohem Grade bei Begegnungen. Da nur in seltenen Fällen ein Reisender


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/180>, abgerufen am 29.12.2024.