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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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dichtes Schneegestöber einhüllt, und du hast eine Vorstellung von der Stim¬
mung, welche die Genfer ihren Landschaftsbildern zu geben suchen. Auf die
Erzeugung einer bestimmten Stimmung hin arbeitet die ganze Komposition.
Wir finden daher bei ihnen auch weniger Detail als bei den übrigen Land¬
schaften der Ausstellung, dagegen große Intensität der Farbe. Der eigen¬
thümliche Localton der Alpenlandschaften, namentlich der Pflanzenwelt, die
mit dem nie ruhenden Spiele der Wolken stets wechselnde Beleuchtung vom
hellen Sonnenschein bis zu dem düstern Dämmerlichte bei nahenden Unwetter,
die charakteristischen Tinten der Alpenseen und Gletscherbäche vom tiefsten
Violet bis zum milchweißen Schaum haben Calame und Diday mit gewaltiger
Naturwahrheit wiedergegeben, und in dieser Richtung sehen wir bei der gegen¬
wärtigen Ausstellung ihre Schüler fortwährend thätig.

Eine andere Gruppe schweizerischer Landschaftsmaler finden wir um den
Wierwaldstättersee niedergelassen, in Luzern, Uri und in Unterwalden. Die
Bewohner des letztem Ländchens, in dem es vor wenigen Jahren noch keinen
Pflug und keine Druckerei gab, besitzen ein merkwürdiges Talent sür die
Kunst. Hier sitzt der Kirchenmaler Deschwandcn, der verehrte Liebling aller
katholischen Landpfarrer, dessen sentimentale Engelköpfe und weiche Christus¬
bilder eine Menge schweizerischer Dorfkirchen schmücken und ein Gegenstand
fortwährender Bewunderung aller kindlich-andächtigen Gemüther sind; von hier
sind der in Rom weilende Bildhauer Jmhof und viele Andere.

Diese Maler am Vierwaldstättersee haben sich in Deutschland gebildet,
wenigstens tragen ihre Bilder weitmehr den deutschen Charakter als den Cha¬
rakter der Genfer Schule. Sie steigen seltner in die wilde Gebirgswelt hin¬
auf, sondern streifen am liebsten über die Ufer und die Wellen des Vierwald-
stätter und des Wallenstetter Sees. Die heimlichen, lauschigen Winkel dieser
Seen, die im glänzenden Sonnenlichte an die schilfigen Ufer sich herankräu¬
selnden Wellen oder die im brennenden Abendröthe vergoldeten steilen Ufer¬
wände, die im letzten scheidenden Sonnenstrahle schimmernden Bergkuppen und
Burgtrümmer, wenn das tiefere Thal schon in schweigender Dämmerung liegt,
oder der einsame, von der Mittagssonne beglänzte Gebirgspfad, das sind die
Orte, wo diese Maler am liebsten weilen. Ihre Stimmung ist nicht die ernste,
düstere der Genfer.


Es lächelt der See,
Er ladet zum Bade,
Der Knabe schlief ein
Am grünen Gestade. '
Da höret er Stimmen
Wie Flöten so süß,
Wie Stimmen der Engel
Im Paradies

dichtes Schneegestöber einhüllt, und du hast eine Vorstellung von der Stim¬
mung, welche die Genfer ihren Landschaftsbildern zu geben suchen. Auf die
Erzeugung einer bestimmten Stimmung hin arbeitet die ganze Komposition.
Wir finden daher bei ihnen auch weniger Detail als bei den übrigen Land¬
schaften der Ausstellung, dagegen große Intensität der Farbe. Der eigen¬
thümliche Localton der Alpenlandschaften, namentlich der Pflanzenwelt, die
mit dem nie ruhenden Spiele der Wolken stets wechselnde Beleuchtung vom
hellen Sonnenschein bis zu dem düstern Dämmerlichte bei nahenden Unwetter,
die charakteristischen Tinten der Alpenseen und Gletscherbäche vom tiefsten
Violet bis zum milchweißen Schaum haben Calame und Diday mit gewaltiger
Naturwahrheit wiedergegeben, und in dieser Richtung sehen wir bei der gegen¬
wärtigen Ausstellung ihre Schüler fortwährend thätig.

Eine andere Gruppe schweizerischer Landschaftsmaler finden wir um den
Wierwaldstättersee niedergelassen, in Luzern, Uri und in Unterwalden. Die
Bewohner des letztem Ländchens, in dem es vor wenigen Jahren noch keinen
Pflug und keine Druckerei gab, besitzen ein merkwürdiges Talent sür die
Kunst. Hier sitzt der Kirchenmaler Deschwandcn, der verehrte Liebling aller
katholischen Landpfarrer, dessen sentimentale Engelköpfe und weiche Christus¬
bilder eine Menge schweizerischer Dorfkirchen schmücken und ein Gegenstand
fortwährender Bewunderung aller kindlich-andächtigen Gemüther sind; von hier
sind der in Rom weilende Bildhauer Jmhof und viele Andere.

Diese Maler am Vierwaldstättersee haben sich in Deutschland gebildet,
wenigstens tragen ihre Bilder weitmehr den deutschen Charakter als den Cha¬
rakter der Genfer Schule. Sie steigen seltner in die wilde Gebirgswelt hin¬
auf, sondern streifen am liebsten über die Ufer und die Wellen des Vierwald-
stätter und des Wallenstetter Sees. Die heimlichen, lauschigen Winkel dieser
Seen, die im glänzenden Sonnenlichte an die schilfigen Ufer sich herankräu¬
selnden Wellen oder die im brennenden Abendröthe vergoldeten steilen Ufer¬
wände, die im letzten scheidenden Sonnenstrahle schimmernden Bergkuppen und
Burgtrümmer, wenn das tiefere Thal schon in schweigender Dämmerung liegt,
oder der einsame, von der Mittagssonne beglänzte Gebirgspfad, das sind die
Orte, wo diese Maler am liebsten weilen. Ihre Stimmung ist nicht die ernste,
düstere der Genfer.


Es lächelt der See,
Er ladet zum Bade,
Der Knabe schlief ein
Am grünen Gestade. '
Da höret er Stimmen
Wie Flöten so süß,
Wie Stimmen der Engel
Im Paradies

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/94>, abgerufen am 01.09.2024.