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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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malcrei an. Es ist dies in der Schweiz von jeher so gewesen, und von der
letzteren Hälfte des verflossenen Jahrhunderts bis auf unsre Tage zählt die
Schweiz eine Reihe tüchtiger Landschaftsmaler. In einem Lande, wo der Mater
sozusagen nur vor die Hausthüre hinauszutreten braucht, um aus einer
Fülle malerischer Motive eines Herauszugreisen, versteht sich dies von selbst.
Hat aber die Landschaftsmalerei, insofern sie nicht Gedanken, sondern nur Stim¬
mungen ausdrücken kann, die größte Verwandtschaft mit der Lyrik, so frappirt
uns wieder das überraschende Zusammentreffen, daß weitaus der größere Theil
der schweizerischen Dichter die lyrische Poesie gepflegt haben. Die schweizerische
Lyrik, auch wenn die Natur zu ihrem Gegenstande wird, hat von jeher einen
Hang zur Reflerion gehabt. Hallers Naturbilder sind nur schmückende Unter¬
lagen für seine moralisirenden Betrachtungen; Salis suchte in der Natur Bil¬
der für seine sentimentale Weltanschauung; selbst die Fabel hat sich in der
Schweiz durch Froehlich zu einem didaktisch-lyrischen Naturbilde umgewandelt.
Mit diesem Hange zur Reflerion möchten wir das bei einem großen Theile
der schweizerischen Landschaftsmaler stark vortretende Streben zusammenstellen,
das Landschaftsbild zum Ausdrucke einer besondern Lebensstimmung zu machen.

Die schweizerischen Landschaftsmaler sondern sich in Gruppen, deren Eigen¬
thümlichkeiten wir zu firiren suchen.

Vor allem begegnen wir hier der Genfer Schule, die in den Bahnen
wandelt, welche Calame und Diday, ihre Gründer, ihr vorgezeichnet. Wie
das Genre, so holt auch die Landschaftsmalerei der französischen Schweizer am
liebsten ihre Stoffe aus der Gebirgswelt des Berner Oberlandes, wenn sie nicht
an den vielgepriesenen Ufern des Lcmansees sich niederläßt. Die saftig grü¬
nen Weiden der untern Alpenregion mit ihren dichtbelaubten Nußbäumen' und
Buchen und den zitternden Streiflichtern auf Zweigen, Blättern und Gräsern,
die wildzerrissenen Gebirgsschluchten, aus denen wildschäumend die Gletscher¬
bäche über losgerissene Nagelfluh- und Granitblöcke hervorstürzen, an den
schroff abfallenden Abhängen uralte Tannen, deren dunkles Haar im Winde
flattert, und darüber vom Sturme gepeitschte Schneewolken, oder die einsa¬
men Thäler der Hochalpen, nur belebt von dem einsam hausenden Steinadler
und dem dunkelgrünen Gebirgsbache, der aus dem fernen Gletscher hervor¬
quillt, sind die häusigsten sujets der Genfer. Die Stimmung, die in den
Bildern sich ausspricht, ist meist eine ernste, düstere. Klettere einsam, hoch
über "dem Schalle der menschlichen Rede" herum zwischen den Felsentrümmern
der Gebirgswelt, wenn die Bergkuppen, die soeben noch im Sonnenlichte glänz¬
ten, auf einmal von Gewitterwolken eingewickelt werden, oder wandle einsam
über die Bergweiden, wenn aus den Abgründen links und rechts die phan¬
tastischen Gestalten unheimlicher Nebel aufsteigen, und kalt über die Weide
ziehende Windstöße das nahe "Gugsen" ankünden, das dich auf einmal in


malcrei an. Es ist dies in der Schweiz von jeher so gewesen, und von der
letzteren Hälfte des verflossenen Jahrhunderts bis auf unsre Tage zählt die
Schweiz eine Reihe tüchtiger Landschaftsmaler. In einem Lande, wo der Mater
sozusagen nur vor die Hausthüre hinauszutreten braucht, um aus einer
Fülle malerischer Motive eines Herauszugreisen, versteht sich dies von selbst.
Hat aber die Landschaftsmalerei, insofern sie nicht Gedanken, sondern nur Stim¬
mungen ausdrücken kann, die größte Verwandtschaft mit der Lyrik, so frappirt
uns wieder das überraschende Zusammentreffen, daß weitaus der größere Theil
der schweizerischen Dichter die lyrische Poesie gepflegt haben. Die schweizerische
Lyrik, auch wenn die Natur zu ihrem Gegenstande wird, hat von jeher einen
Hang zur Reflerion gehabt. Hallers Naturbilder sind nur schmückende Unter¬
lagen für seine moralisirenden Betrachtungen; Salis suchte in der Natur Bil¬
der für seine sentimentale Weltanschauung; selbst die Fabel hat sich in der
Schweiz durch Froehlich zu einem didaktisch-lyrischen Naturbilde umgewandelt.
Mit diesem Hange zur Reflerion möchten wir das bei einem großen Theile
der schweizerischen Landschaftsmaler stark vortretende Streben zusammenstellen,
das Landschaftsbild zum Ausdrucke einer besondern Lebensstimmung zu machen.

Die schweizerischen Landschaftsmaler sondern sich in Gruppen, deren Eigen¬
thümlichkeiten wir zu firiren suchen.

Vor allem begegnen wir hier der Genfer Schule, die in den Bahnen
wandelt, welche Calame und Diday, ihre Gründer, ihr vorgezeichnet. Wie
das Genre, so holt auch die Landschaftsmalerei der französischen Schweizer am
liebsten ihre Stoffe aus der Gebirgswelt des Berner Oberlandes, wenn sie nicht
an den vielgepriesenen Ufern des Lcmansees sich niederläßt. Die saftig grü¬
nen Weiden der untern Alpenregion mit ihren dichtbelaubten Nußbäumen' und
Buchen und den zitternden Streiflichtern auf Zweigen, Blättern und Gräsern,
die wildzerrissenen Gebirgsschluchten, aus denen wildschäumend die Gletscher¬
bäche über losgerissene Nagelfluh- und Granitblöcke hervorstürzen, an den
schroff abfallenden Abhängen uralte Tannen, deren dunkles Haar im Winde
flattert, und darüber vom Sturme gepeitschte Schneewolken, oder die einsa¬
men Thäler der Hochalpen, nur belebt von dem einsam hausenden Steinadler
und dem dunkelgrünen Gebirgsbache, der aus dem fernen Gletscher hervor¬
quillt, sind die häusigsten sujets der Genfer. Die Stimmung, die in den
Bildern sich ausspricht, ist meist eine ernste, düstere. Klettere einsam, hoch
über „dem Schalle der menschlichen Rede" herum zwischen den Felsentrümmern
der Gebirgswelt, wenn die Bergkuppen, die soeben noch im Sonnenlichte glänz¬
ten, auf einmal von Gewitterwolken eingewickelt werden, oder wandle einsam
über die Bergweiden, wenn aus den Abgründen links und rechts die phan¬
tastischen Gestalten unheimlicher Nebel aufsteigen, und kalt über die Weide
ziehende Windstöße das nahe „Gugsen" ankünden, das dich auf einmal in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/93>, abgerufen am 01.09.2024.