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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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als Gervinus in den Zusammenhang der Ideen hinein und zeigt dabei doch
jene Scheu vor übereilten Verallgemeinerungen, die dem wissenschaftlichen
Forscher ziemt. Nur eins hätten wir bei diesem Theile zu wünschen. Die-
Gegensätze zwischen Romantik und Alterthum sind bereits so häufig mit
einem so großen Aufwande von Scharfsinn und Phantasie behandelt worden,
daß es mehr daraus ankommt, zu sichten und auszumerzen, als durch neue
Bilder und Combinationen den Kreis des Raisonnements zu erweitern. Hier
scheint uns Herr Cholevius nicht immer energisch genug verfahren zu sein.
Da er einmal eine ganz specielle Seite der Betrachtung gewählt hat, so wäre
es nützlich gewesen, auch ein bestimmtes Urtheil über die Verwandtschaft der
beiden Literaturen und die Art und Weise, wie die eine auf die andre segens¬
reich einwirken konnte, zu Grunde zu legen, oder auf ein solches Resultat
wenigstens hinzuarbeiten. Es scheint uns aber, daß Herr Cholevius, trotz der
geistvollen Bemerkungen, die uns im einzelnen begegnen, sich diese Frage nicht
ernst genug vorgelegt, oder sie wenigstens nicht streng genug festgehalten hat.
Es ist das eine von den nachtheiligen Folgen, welche die bereits angedeutete
Methode, zweierlei zu vermischen, mit sich führt. Hätte der Verfasser nur eine
einfache Abhandlung geschrieben, so wäre er von selbst darauf geführt worden,
diesen Punkt mit vorzüglicher Aufmerksamkeit zu behandeln. Wäre er dagegen
blos monographisch zu Werke gegangen, so konnte er das Raisonnement neben
der Darstellung des Thatsächlichen als einen untergeordneten Zweck betrachten-
Nun hat sich aber beides vermischt und man hat das Gefühl, daß die Einheit
fehlt. Solange sich der Verfasser in der Geschichte des Mittelalters bewegt,
ja bis zum zweiten Viertel des 18. Jahrhunderts hin, macht sich dieser
Mangel weniger fühlbar. Seitdem aber durch das Wiederaufblühen unsrer
Dichtung auch die Altertumswissenschaft eine.ganz andere Bedeutung gewonnen
hat, setzen sich der Behandlung größere Schwierigkeiten entgegen. Wir haben,
offen gestanden, keine rechte Vorstellung davon, wie man eine Geschichte der
deutschen Poesie seit Goethe und Schiller schreiben will, soweit sie auf antike"
Elementen beruht, ohne sie zu einer Gesammtgeschichte der deutschen Poesie zu
erweitern. Schon bei den letzten Capiteln des vorliegenden Bandes macht es
sich fühlbar, daß die BeHandlungsweise keine ganz correcte ist. In den früher"
Zeiten, wo es vorzugsweise galt, unbekannte Thatsachen dem Publicum aus"
zudecken, war die monographische Behandlung in ihrem Recht, aber bei der
neuern Literatur, die uns in ihren Hauptwerken, ja auch in ihrer Bezie¬
hung zum Alterthum vollkommen gegenwärtig ist, können wir keinen rechte"
Zweck davon absehen. Indessen wäre es voreilig, urtheilen zu wollen, ehe der
Gegenstand des Urtheils vorliegt.

Noch eine Bemerkung müssen wir uns erlauben. Herr Cholevius soM
die indirecte Polemik vermeiden; namentlich in den letzten Capiteln seiner


als Gervinus in den Zusammenhang der Ideen hinein und zeigt dabei doch
jene Scheu vor übereilten Verallgemeinerungen, die dem wissenschaftlichen
Forscher ziemt. Nur eins hätten wir bei diesem Theile zu wünschen. Die-
Gegensätze zwischen Romantik und Alterthum sind bereits so häufig mit
einem so großen Aufwande von Scharfsinn und Phantasie behandelt worden,
daß es mehr daraus ankommt, zu sichten und auszumerzen, als durch neue
Bilder und Combinationen den Kreis des Raisonnements zu erweitern. Hier
scheint uns Herr Cholevius nicht immer energisch genug verfahren zu sein.
Da er einmal eine ganz specielle Seite der Betrachtung gewählt hat, so wäre
es nützlich gewesen, auch ein bestimmtes Urtheil über die Verwandtschaft der
beiden Literaturen und die Art und Weise, wie die eine auf die andre segens¬
reich einwirken konnte, zu Grunde zu legen, oder auf ein solches Resultat
wenigstens hinzuarbeiten. Es scheint uns aber, daß Herr Cholevius, trotz der
geistvollen Bemerkungen, die uns im einzelnen begegnen, sich diese Frage nicht
ernst genug vorgelegt, oder sie wenigstens nicht streng genug festgehalten hat.
Es ist das eine von den nachtheiligen Folgen, welche die bereits angedeutete
Methode, zweierlei zu vermischen, mit sich führt. Hätte der Verfasser nur eine
einfache Abhandlung geschrieben, so wäre er von selbst darauf geführt worden,
diesen Punkt mit vorzüglicher Aufmerksamkeit zu behandeln. Wäre er dagegen
blos monographisch zu Werke gegangen, so konnte er das Raisonnement neben
der Darstellung des Thatsächlichen als einen untergeordneten Zweck betrachten-
Nun hat sich aber beides vermischt und man hat das Gefühl, daß die Einheit
fehlt. Solange sich der Verfasser in der Geschichte des Mittelalters bewegt,
ja bis zum zweiten Viertel des 18. Jahrhunderts hin, macht sich dieser
Mangel weniger fühlbar. Seitdem aber durch das Wiederaufblühen unsrer
Dichtung auch die Altertumswissenschaft eine.ganz andere Bedeutung gewonnen
hat, setzen sich der Behandlung größere Schwierigkeiten entgegen. Wir haben,
offen gestanden, keine rechte Vorstellung davon, wie man eine Geschichte der
deutschen Poesie seit Goethe und Schiller schreiben will, soweit sie auf antike»
Elementen beruht, ohne sie zu einer Gesammtgeschichte der deutschen Poesie zu
erweitern. Schon bei den letzten Capiteln des vorliegenden Bandes macht es
sich fühlbar, daß die BeHandlungsweise keine ganz correcte ist. In den früher»
Zeiten, wo es vorzugsweise galt, unbekannte Thatsachen dem Publicum aus"
zudecken, war die monographische Behandlung in ihrem Recht, aber bei der
neuern Literatur, die uns in ihren Hauptwerken, ja auch in ihrer Bezie¬
hung zum Alterthum vollkommen gegenwärtig ist, können wir keinen rechte»
Zweck davon absehen. Indessen wäre es voreilig, urtheilen zu wollen, ehe der
Gegenstand des Urtheils vorliegt.

Noch eine Bemerkung müssen wir uns erlauben. Herr Cholevius soM
die indirecte Polemik vermeiden; namentlich in den letzten Capiteln seiner


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[0506] als Gervinus in den Zusammenhang der Ideen hinein und zeigt dabei doch jene Scheu vor übereilten Verallgemeinerungen, die dem wissenschaftlichen Forscher ziemt. Nur eins hätten wir bei diesem Theile zu wünschen. Die- Gegensätze zwischen Romantik und Alterthum sind bereits so häufig mit einem so großen Aufwande von Scharfsinn und Phantasie behandelt worden, daß es mehr daraus ankommt, zu sichten und auszumerzen, als durch neue Bilder und Combinationen den Kreis des Raisonnements zu erweitern. Hier scheint uns Herr Cholevius nicht immer energisch genug verfahren zu sein. Da er einmal eine ganz specielle Seite der Betrachtung gewählt hat, so wäre es nützlich gewesen, auch ein bestimmtes Urtheil über die Verwandtschaft der beiden Literaturen und die Art und Weise, wie die eine auf die andre segens¬ reich einwirken konnte, zu Grunde zu legen, oder auf ein solches Resultat wenigstens hinzuarbeiten. Es scheint uns aber, daß Herr Cholevius, trotz der geistvollen Bemerkungen, die uns im einzelnen begegnen, sich diese Frage nicht ernst genug vorgelegt, oder sie wenigstens nicht streng genug festgehalten hat. Es ist das eine von den nachtheiligen Folgen, welche die bereits angedeutete Methode, zweierlei zu vermischen, mit sich führt. Hätte der Verfasser nur eine einfache Abhandlung geschrieben, so wäre er von selbst darauf geführt worden, diesen Punkt mit vorzüglicher Aufmerksamkeit zu behandeln. Wäre er dagegen blos monographisch zu Werke gegangen, so konnte er das Raisonnement neben der Darstellung des Thatsächlichen als einen untergeordneten Zweck betrachten- Nun hat sich aber beides vermischt und man hat das Gefühl, daß die Einheit fehlt. Solange sich der Verfasser in der Geschichte des Mittelalters bewegt, ja bis zum zweiten Viertel des 18. Jahrhunderts hin, macht sich dieser Mangel weniger fühlbar. Seitdem aber durch das Wiederaufblühen unsrer Dichtung auch die Altertumswissenschaft eine.ganz andere Bedeutung gewonnen hat, setzen sich der Behandlung größere Schwierigkeiten entgegen. Wir haben, offen gestanden, keine rechte Vorstellung davon, wie man eine Geschichte der deutschen Poesie seit Goethe und Schiller schreiben will, soweit sie auf antike» Elementen beruht, ohne sie zu einer Gesammtgeschichte der deutschen Poesie zu erweitern. Schon bei den letzten Capiteln des vorliegenden Bandes macht es sich fühlbar, daß die BeHandlungsweise keine ganz correcte ist. In den früher» Zeiten, wo es vorzugsweise galt, unbekannte Thatsachen dem Publicum aus" zudecken, war die monographische Behandlung in ihrem Recht, aber bei der neuern Literatur, die uns in ihren Hauptwerken, ja auch in ihrer Bezie¬ hung zum Alterthum vollkommen gegenwärtig ist, können wir keinen rechte» Zweck davon absehen. Indessen wäre es voreilig, urtheilen zu wollen, ehe der Gegenstand des Urtheils vorliegt. Noch eine Bemerkung müssen wir uns erlauben. Herr Cholevius soM die indirecte Polemik vermeiden; namentlich in den letzten Capiteln seiner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/506>, abgerufen am 01.09.2024.