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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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ttung zollt, hat bei dem Studium desselben doch gefunden, daß manche Ge¬
sichtspunkte nicht scharf genug hervorgehoben, oder, nicht ausführlich genug
'verfolgt sind, und daß manches, um dem größern Publicum deutlich zu werde",
einer andern Fassung bedürfte. Er hat daher jene Lücken auszufüllen gesucht,
und um diesen Ergänzungen wenigstens einigermaßen die fragmentarische Form
Zu nehmen, auch manche Betrachtungen wieder aufgenommen, die wir bereits
bei Gervinus autreffen. Wenn wir im Interesse der Wissenschaft wünschen
möchten, er hätte das letztere unterlassen, und seine Untersuchungen als das
gegeben, was sie eigentlich sind, als Fragmente, so ist doch nicht abzuleug-
Uen, daß die Popularität des Buches durch diese Art der Fassung gewin¬
nen wird; und das ist ein Gesichtspunkt, den man nicht aus den Augen
lassen darf.

Gehen wir nun mit Beseitigung der Komposition auf den eigentlichen
Inhalt deS Werks ein, so müssen wir dem monographischen Theil entschieden
den Vorzug geben. Mit einer sehr ausgebreiteten Gelehrsamkeit weist der
Verfasser in den einzelnen Gedichten überall die Reminiscenzen oder directen
Nachbildungen nach, gibt eine Kritik derselben und stellt sie mit der Art
Und Weise der allgemeinen Bildung jenes Zeitalters in Zusammenhang.
Neben jener Gelehrsamkeit, die dem Werk einen unvergänglichen Werth geben
^ut, hat er noch den zweiten Vorzug, deutlich und anschaulich zu erzählen,
'pas in diesem Falle gewiß nicht leicht war, da bei der bunten Mannigfaltig¬
keit des Stoffes, sehr viel Ordnung des Geistes dazu gehörte, um ein ununter¬
brochen fortgehendes Interesse zu bewahren. Endlich ist auch die Unbefangenheit
Und Vielseitigkeit des Urtheils rühmend anzuerkennen.

Schon dieser eine Grund reicht nach unsrer Ansicht hin, dem Werk inner¬
halb unsrer Literatur eine bleibende und ehrenvolle Stellung zu sichern. Man
">uß es als eine unentbehrliche Ergänzung zu Gervinus betrachten, wenn es
auch natürlich nicht dazu bestimmt sein kann, an die Stelle desselben zu treten.

Ein zweiter Punkt, aus den wir aufmerksam sein müssen, ist der Theil,
^ in die Philosophie der Geschichte eingreift. Wenn dieser Ausdruck
gegenwärtig einigermaßen in Mißcredit gekommen ist, so liegt das nur
^rin, daß die Philosophen ihrem Raisonnement gewöhnlich einen vor¬
igen Abschluß gaben, d. h. daß sie das Urtheil sprachen, bevor die Acten
geschlossen-waren. An sich wird man aber gewiß zugeben, daß alle Geschicht-
^rschung nur dann einen Sinn hat, wenn sie zuletzt zu einem philosophischen
Abschluß d. h. zu einem idealen Gesammtgemälde führt; nur muß sie die reifste
"nicht vom Baume der Wissenschaft sein, sonst ist sie hohl und zerfällt in
Staub und Asche. -- Soweit nun Herr Cholevius sich auf allgemeines
Raisonnement einläßt, bemerken wir immer einen stärken realen Inhalt, daS
guttat bedeutender Studien und ernsthaften Nachdenkens. Er greift freier


Grenzboten. UI. -I8si.

ttung zollt, hat bei dem Studium desselben doch gefunden, daß manche Ge¬
sichtspunkte nicht scharf genug hervorgehoben, oder, nicht ausführlich genug
'verfolgt sind, und daß manches, um dem größern Publicum deutlich zu werde»,
einer andern Fassung bedürfte. Er hat daher jene Lücken auszufüllen gesucht,
und um diesen Ergänzungen wenigstens einigermaßen die fragmentarische Form
Zu nehmen, auch manche Betrachtungen wieder aufgenommen, die wir bereits
bei Gervinus autreffen. Wenn wir im Interesse der Wissenschaft wünschen
möchten, er hätte das letztere unterlassen, und seine Untersuchungen als das
gegeben, was sie eigentlich sind, als Fragmente, so ist doch nicht abzuleug-
Uen, daß die Popularität des Buches durch diese Art der Fassung gewin¬
nen wird; und das ist ein Gesichtspunkt, den man nicht aus den Augen
lassen darf.

Gehen wir nun mit Beseitigung der Komposition auf den eigentlichen
Inhalt deS Werks ein, so müssen wir dem monographischen Theil entschieden
den Vorzug geben. Mit einer sehr ausgebreiteten Gelehrsamkeit weist der
Verfasser in den einzelnen Gedichten überall die Reminiscenzen oder directen
Nachbildungen nach, gibt eine Kritik derselben und stellt sie mit der Art
Und Weise der allgemeinen Bildung jenes Zeitalters in Zusammenhang.
Neben jener Gelehrsamkeit, die dem Werk einen unvergänglichen Werth geben
^ut, hat er noch den zweiten Vorzug, deutlich und anschaulich zu erzählen,
'pas in diesem Falle gewiß nicht leicht war, da bei der bunten Mannigfaltig¬
keit des Stoffes, sehr viel Ordnung des Geistes dazu gehörte, um ein ununter¬
brochen fortgehendes Interesse zu bewahren. Endlich ist auch die Unbefangenheit
Und Vielseitigkeit des Urtheils rühmend anzuerkennen.

Schon dieser eine Grund reicht nach unsrer Ansicht hin, dem Werk inner¬
halb unsrer Literatur eine bleibende und ehrenvolle Stellung zu sichern. Man
">uß es als eine unentbehrliche Ergänzung zu Gervinus betrachten, wenn es
auch natürlich nicht dazu bestimmt sein kann, an die Stelle desselben zu treten.

Ein zweiter Punkt, aus den wir aufmerksam sein müssen, ist der Theil,
^ in die Philosophie der Geschichte eingreift. Wenn dieser Ausdruck
gegenwärtig einigermaßen in Mißcredit gekommen ist, so liegt das nur
^rin, daß die Philosophen ihrem Raisonnement gewöhnlich einen vor¬
igen Abschluß gaben, d. h. daß sie das Urtheil sprachen, bevor die Acten
geschlossen-waren. An sich wird man aber gewiß zugeben, daß alle Geschicht-
^rschung nur dann einen Sinn hat, wenn sie zuletzt zu einem philosophischen
Abschluß d. h. zu einem idealen Gesammtgemälde führt; nur muß sie die reifste
«nicht vom Baume der Wissenschaft sein, sonst ist sie hohl und zerfällt in
Staub und Asche. — Soweit nun Herr Cholevius sich auf allgemeines
Raisonnement einläßt, bemerken wir immer einen stärken realen Inhalt, daS
guttat bedeutender Studien und ernsthaften Nachdenkens. Er greift freier


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/505>, abgerufen am 01.09.2024.