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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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mehre Bemerkungen über die Römer und Germanen, bei denen man nicht recht
weiß, was sie mit der Geschichte der Musik zu thun haben; bis endlich mit
einem Bilde aus der Architektur auf die Musik übergegangen wird. "Der
christlich-germanische Dom entspricht seiner religiösen Idee: ascetischen Ver¬
neinen der Natur, - in individuellster jedoch dem gemeinsamen Grundzug deS
Volkes genau entsprechender Verinnerlichung des aus der Transcendenz in die
Welt herüberstrahlenden Göttlichen, -- und damit verbundenem, unendlich sehn¬
süchtigem sich Emporringen nach dem in den Fesseln der Sinnlichkeit nicht zu
erreichenden, überirdisch, persönlich gedachten Göttlichen, -- durch physisch wie
geistig benöthigteS Abschließen des Cultus in einen weiten geschlossenen Raum,
dessen beliebige Neberdachung erst durch die Ausbildung des Spitzbpgcnbaues
>n größter Maßgabe möglich ward, -- durch größte Individualisirung och De¬
tails, welches indeß bei aller Willkürlichkeit im einzelnen an mathematische
Gesetze gebunden ist, und namentlich dem Principe selbstständiger, sittlicher
Unterordnung in den KrvstallisationSformen entspricht, -- endlich durch das
Emporstreben der Bauglieder, welches sich culminirt im himmelanstrebenden
Thurmbau." -- DaS alles sind Dinge, die wir bereits einige Dutzend Male
^'hört und zwar besser gehört haben. Wenn man sie in einer Geschichte der
Baukunst wieder aufnimmt, so läßt sich daS noch rechtfertigen, sie aber in einor
Geschichte der Musik zu wiederholen, ist ebenso unstatthaft, wie die Anwendung
^'r für eine bestimmte Kunst berechneten Bilder auf ein andres Kunstgebiet. --
Tann folgen einige Notizen aus der wirklichen Geschichte der Musik, die aber
jenen philosophischen Deductionen in keine," Zusammenhange stehen, und
dann eine Erklärung der Reformation, von welcher wieder auf die Baukunst
"hergegangen wird, weil über diese Kunst die Reflexionen schon fertig vor-
^ge". Nebenbei bemerken wir, daß die Abhandlung auch einen Anstrich von
Gelehrsamkeit hat; es sind sehr lange lateinische Eleate darin. Was Herrn
^ass zufällig von Kuriositäten unter die Hände fällt, wird angebracht ohne daß
'"an sich je die Frage erlauben dürste, inwiefern denn daS zur Sache gehörig
"Ad namentlich inwiefern die Biene der Episode zu dem skizzirten der ganzen
Abhandlung paßt? -- In der "eueren Musik gibt die Religion das Motiv der
^wppirung. Bach und Händel werden als protestantische Gruppe zusammen¬
gestellt, Gluck, Haydn und Mozart als erste katholische, Beethoven, Weber und
Schubert als zweite katholische Gruppe. "Endlich gestaltet Richard Wagner mit
^blick auf die Antike.und negativer Belastung der Oper das Musikdrama
genuin deutsches und in seiner zeitigen Erscheinung subjectives Kunstwerk."
^ Bei dieser negativen Belastung der Oper mag es sein Bewenden haben.
^ Daß dergleichen in unsrer Zeit geschrieben wird, kann uns nicht wundern,
an die Herren Hoffmann und Oscar Schade, die doch wissen, was wis-


mehre Bemerkungen über die Römer und Germanen, bei denen man nicht recht
weiß, was sie mit der Geschichte der Musik zu thun haben; bis endlich mit
einem Bilde aus der Architektur auf die Musik übergegangen wird. „Der
christlich-germanische Dom entspricht seiner religiösen Idee: ascetischen Ver¬
neinen der Natur, - in individuellster jedoch dem gemeinsamen Grundzug deS
Volkes genau entsprechender Verinnerlichung des aus der Transcendenz in die
Welt herüberstrahlenden Göttlichen, — und damit verbundenem, unendlich sehn¬
süchtigem sich Emporringen nach dem in den Fesseln der Sinnlichkeit nicht zu
erreichenden, überirdisch, persönlich gedachten Göttlichen, — durch physisch wie
geistig benöthigteS Abschließen des Cultus in einen weiten geschlossenen Raum,
dessen beliebige Neberdachung erst durch die Ausbildung des Spitzbpgcnbaues
>n größter Maßgabe möglich ward, — durch größte Individualisirung och De¬
tails, welches indeß bei aller Willkürlichkeit im einzelnen an mathematische
Gesetze gebunden ist, und namentlich dem Principe selbstständiger, sittlicher
Unterordnung in den KrvstallisationSformen entspricht, — endlich durch das
Emporstreben der Bauglieder, welches sich culminirt im himmelanstrebenden
Thurmbau." — DaS alles sind Dinge, die wir bereits einige Dutzend Male
^'hört und zwar besser gehört haben. Wenn man sie in einer Geschichte der
Baukunst wieder aufnimmt, so läßt sich daS noch rechtfertigen, sie aber in einor
Geschichte der Musik zu wiederholen, ist ebenso unstatthaft, wie die Anwendung
^'r für eine bestimmte Kunst berechneten Bilder auf ein andres Kunstgebiet. —
Tann folgen einige Notizen aus der wirklichen Geschichte der Musik, die aber
jenen philosophischen Deductionen in keine,» Zusammenhange stehen, und
dann eine Erklärung der Reformation, von welcher wieder auf die Baukunst
"hergegangen wird, weil über diese Kunst die Reflexionen schon fertig vor-
^ge». Nebenbei bemerken wir, daß die Abhandlung auch einen Anstrich von
Gelehrsamkeit hat; es sind sehr lange lateinische Eleate darin. Was Herrn
^ass zufällig von Kuriositäten unter die Hände fällt, wird angebracht ohne daß
'»an sich je die Frage erlauben dürste, inwiefern denn daS zur Sache gehörig
"Ad namentlich inwiefern die Biene der Episode zu dem skizzirten der ganzen
Abhandlung paßt? — In der »eueren Musik gibt die Religion das Motiv der
^wppirung. Bach und Händel werden als protestantische Gruppe zusammen¬
gestellt, Gluck, Haydn und Mozart als erste katholische, Beethoven, Weber und
Schubert als zweite katholische Gruppe. „Endlich gestaltet Richard Wagner mit
^blick auf die Antike.und negativer Belastung der Oper das Musikdrama
genuin deutsches und in seiner zeitigen Erscheinung subjectives Kunstwerk."
^ Bei dieser negativen Belastung der Oper mag es sein Bewenden haben.
^ Daß dergleichen in unsrer Zeit geschrieben wird, kann uns nicht wundern,
an die Herren Hoffmann und Oscar Schade, die doch wissen, was wis-


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[0495] mehre Bemerkungen über die Römer und Germanen, bei denen man nicht recht weiß, was sie mit der Geschichte der Musik zu thun haben; bis endlich mit einem Bilde aus der Architektur auf die Musik übergegangen wird. „Der christlich-germanische Dom entspricht seiner religiösen Idee: ascetischen Ver¬ neinen der Natur, - in individuellster jedoch dem gemeinsamen Grundzug deS Volkes genau entsprechender Verinnerlichung des aus der Transcendenz in die Welt herüberstrahlenden Göttlichen, — und damit verbundenem, unendlich sehn¬ süchtigem sich Emporringen nach dem in den Fesseln der Sinnlichkeit nicht zu erreichenden, überirdisch, persönlich gedachten Göttlichen, — durch physisch wie geistig benöthigteS Abschließen des Cultus in einen weiten geschlossenen Raum, dessen beliebige Neberdachung erst durch die Ausbildung des Spitzbpgcnbaues >n größter Maßgabe möglich ward, — durch größte Individualisirung och De¬ tails, welches indeß bei aller Willkürlichkeit im einzelnen an mathematische Gesetze gebunden ist, und namentlich dem Principe selbstständiger, sittlicher Unterordnung in den KrvstallisationSformen entspricht, — endlich durch das Emporstreben der Bauglieder, welches sich culminirt im himmelanstrebenden Thurmbau." — DaS alles sind Dinge, die wir bereits einige Dutzend Male ^'hört und zwar besser gehört haben. Wenn man sie in einer Geschichte der Baukunst wieder aufnimmt, so läßt sich daS noch rechtfertigen, sie aber in einor Geschichte der Musik zu wiederholen, ist ebenso unstatthaft, wie die Anwendung ^'r für eine bestimmte Kunst berechneten Bilder auf ein andres Kunstgebiet. — Tann folgen einige Notizen aus der wirklichen Geschichte der Musik, die aber jenen philosophischen Deductionen in keine,» Zusammenhange stehen, und dann eine Erklärung der Reformation, von welcher wieder auf die Baukunst "hergegangen wird, weil über diese Kunst die Reflexionen schon fertig vor- ^ge». Nebenbei bemerken wir, daß die Abhandlung auch einen Anstrich von Gelehrsamkeit hat; es sind sehr lange lateinische Eleate darin. Was Herrn ^ass zufällig von Kuriositäten unter die Hände fällt, wird angebracht ohne daß '»an sich je die Frage erlauben dürste, inwiefern denn daS zur Sache gehörig "Ad namentlich inwiefern die Biene der Episode zu dem skizzirten der ganzen Abhandlung paßt? — In der »eueren Musik gibt die Religion das Motiv der ^wppirung. Bach und Händel werden als protestantische Gruppe zusammen¬ gestellt, Gluck, Haydn und Mozart als erste katholische, Beethoven, Weber und Schubert als zweite katholische Gruppe. „Endlich gestaltet Richard Wagner mit ^blick auf die Antike.und negativer Belastung der Oper das Musikdrama genuin deutsches und in seiner zeitigen Erscheinung subjectives Kunstwerk." ^ Bei dieser negativen Belastung der Oper mag es sein Bewenden haben. ^ Daß dergleichen in unsrer Zeit geschrieben wird, kann uns nicht wundern, an die Herren Hoffmann und Oscar Schade, die doch wissen, was wis-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/495>, abgerufen am 27.07.2024.