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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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vergegenwärtigen. Darum ist es nicht uuzweckmäsiig, wenn der Historiker bei
seinem Zurückgehen auf die Quellen sich alle späteren Bearbeitungen vorläufig
aus dem Sir" schlägt, wenn er auch bei der tteberarbeituug die Pflicht hat,
zu vergleichen, theils um alle bisherigen Resultate der Forschung zu benutze",
theils um die Wiederholung schon gesagter Dinge zu vermeiden. -- Du'
neuesten Kunsthistoriker aus der Wagnerschen Schule macheu es sich bequemer,
sie Handthieren mit den fertigen Kunstausdrücken der Aesthetik, zum Theil ohne
sie wirklich durchgearbeitet zu haben, auf eine mehr oder minder geschickte Weist,
und kleben dann, um den. Ganzen den Schein eines concreten Inhalts ZU
geben, was ihnen an Einzelnheiteii aus ihrer musikalischen Lectüre vorschwebt,
musivisch hinein. An einer früheren, >etzt wol schon wieder vergessenen Ge¬
schichte der Musik haben wir dao theilweise nachgewiesen, von dem gegenwär¬
tigen Versuche gilt es fast in noch höherem Grade.

Herr Raff hat seine kunst historische Skizze auf einigen 40 Seiten aus¬
geführt. In diesem ziemlich beschränkten Raume nimmt aber die Geschichte
der Musik den bei weitem kleinsten Theil ein, während sich die Philosophie der
Architektur, der Religion u. s. w. überall hervordrängt. Er hätte das ums"-
mehr vermeidni solUn, da er darin nichts Eignes gibt, sondern nur Re"u-
niscenzen aus Schlegel, Bischer u. s. w. und zwar Reminiscenzen, die er
entweder gar nicht oder nur halb verstanden hat. Namentlich hat der letztere
sehr lebhaft auf ihn eingewirkt. Wir haben in einem frühern Artikel nach¬
zuweisen gesucht, wie bei Bischer der höchst bedeutende Inhalt durch einen
Stil verkümmert wird, in dem sich. Abstractionen und Bilder auf eine n"-
organische Weise dnrcheinanderorängen. Aber bei Bischer hat man doch
immer das Gefühl, das; er etwas Bestimmtes meint, wenn er es a"eh
nicht gehet late ausdrückt. In dem gegenwärtigen Bersnch wird es eine 5
gebliche Mühe sein, über den Sinn nachzudenken. Als Beleg wollen wir
Z, B. die Einleitung über die Musik der Grieche" anführen"Die bruch¬
lose menichliche Seele erzeugt i" der Sehnsucht. eine bestimmte Empsi"du"g
muftkal.ich erklingen zu lassen, die Melodie, und beruhigt sich (acquiescirt) >--
derselben. -- Allein das zwiespältige Gemüth bedarf zu jener Melodie eines
Gegen,atzes. - Da eS aber in der entstandenen Entzweiung nicht verharre"
kann, hebt es sodann die Melodie und den Gegensatz in einem Dritten, dem
RhvlhmnS auf. welcher die Einheit wiederherstellt, ini'e.u er Satz und Gegen¬
satz im geordneten Zusammenklang und harmonischer Gliederung zur Total¬
erscheinung bringt." - Wenn diese tiefsinnige Erklärung für sich allein stände,
so könnte man sich dabei beruhigen. Aber Herr Raff zieht auch Folgerungen
daraus; er leitet die Thatsache, daß die griechische Musik nur Melodie ""d
nicht Harmonie enthält, aus der Bruchlosigk.it des griechischen Wesens her-
Auf diese Weise Geschichte zu schreiben ist freilich sehr bequem. Dann f^g"'


vergegenwärtigen. Darum ist es nicht uuzweckmäsiig, wenn der Historiker bei
seinem Zurückgehen auf die Quellen sich alle späteren Bearbeitungen vorläufig
aus dem Sir» schlägt, wenn er auch bei der tteberarbeituug die Pflicht hat,
zu vergleichen, theils um alle bisherigen Resultate der Forschung zu benutze»,
theils um die Wiederholung schon gesagter Dinge zu vermeiden. — Du'
neuesten Kunsthistoriker aus der Wagnerschen Schule macheu es sich bequemer,
sie Handthieren mit den fertigen Kunstausdrücken der Aesthetik, zum Theil ohne
sie wirklich durchgearbeitet zu haben, auf eine mehr oder minder geschickte Weist,
und kleben dann, um den. Ganzen den Schein eines concreten Inhalts ZU
geben, was ihnen an Einzelnheiteii aus ihrer musikalischen Lectüre vorschwebt,
musivisch hinein. An einer früheren, >etzt wol schon wieder vergessenen Ge¬
schichte der Musik haben wir dao theilweise nachgewiesen, von dem gegenwär¬
tigen Versuche gilt es fast in noch höherem Grade.

Herr Raff hat seine kunst historische Skizze auf einigen 40 Seiten aus¬
geführt. In diesem ziemlich beschränkten Raume nimmt aber die Geschichte
der Musik den bei weitem kleinsten Theil ein, während sich die Philosophie der
Architektur, der Religion u. s. w. überall hervordrängt. Er hätte das ums"-
mehr vermeidni solUn, da er darin nichts Eignes gibt, sondern nur Re»u-
niscenzen aus Schlegel, Bischer u. s. w. und zwar Reminiscenzen, die er
entweder gar nicht oder nur halb verstanden hat. Namentlich hat der letztere
sehr lebhaft auf ihn eingewirkt. Wir haben in einem frühern Artikel nach¬
zuweisen gesucht, wie bei Bischer der höchst bedeutende Inhalt durch einen
Stil verkümmert wird, in dem sich. Abstractionen und Bilder auf eine n»-
organische Weise dnrcheinanderorängen. Aber bei Bischer hat man doch
immer das Gefühl, das; er etwas Bestimmtes meint, wenn er es a»eh
nicht gehet late ausdrückt. In dem gegenwärtigen Bersnch wird es eine 5
gebliche Mühe sein, über den Sinn nachzudenken. Als Beleg wollen wir
Z, B. die Einleitung über die Musik der Grieche» anführen„Die bruch¬
lose menichliche Seele erzeugt i» der Sehnsucht. eine bestimmte Empsi»du"g
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Gegen,atzes. - Da eS aber in der entstandenen Entzweiung nicht verharre»
kann, hebt es sodann die Melodie und den Gegensatz in einem Dritten, dem
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satz im geordneten Zusammenklang und harmonischer Gliederung zur Total¬
erscheinung bringt." - Wenn diese tiefsinnige Erklärung für sich allein stände,
so könnte man sich dabei beruhigen. Aber Herr Raff zieht auch Folgerungen
daraus; er leitet die Thatsache, daß die griechische Musik nur Melodie »"d
nicht Harmonie enthält, aus der Bruchlosigk.it des griechischen Wesens her-
Auf diese Weise Geschichte zu schreiben ist freilich sehr bequem. Dann f^g"'


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/494>, abgerufen am 01.09.2024.