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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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abhängigen und wahrhaft populären Organe. Am wenigsten steht zu erwarten,
daß die Staaten von wirklichem Selbstbewußtsein und nationaler Bedeutsamkeit
den offengelassenen Octroyirungsweg betreten werden. Nur jene Politik, welche
überhaupt das Recht zu sprechen für eine Staatsgefahr erachtet, mag in so¬
genannter Bundestreue jenen gefährlichen Pfad einschlagen. Sie wird die
materiellen und politischen Nachtheile dann auch isolirt zu tragen haben, welche
ihr erwachsen, wenn nicht nur die intellectuelle Kraft, sondern ebenso die In¬
dustrie der Presse aus ihren Machtgrenzen entweicht, wenn ihre specifischen
Interessen im Verlause der kaum begonnenen europäischen Krisis unvertreten,
unbeachtet, ja selbst unbekannt bleiben. Sie wird dann nicht zu klagen haben,
wenn das Rad der dereinstigen Entscheidungen rücksichtslos über ihr Sonder-
leben dahinrollt.




Danzig und die russische Politik.

Die Thorheit, ohne Rücksicht ans den veränderten Charakter der politi¬
schen Weltlage sich an ein altes, aus ganz andern Verhältnissen entsprungenes
Allianzsystem zu klammern, richtet sich zwar von selbst; gleichwol ist bei der
gegenwärtigen Verwicklung auf die Trägheit der Menschen, die sich schwer in
ein durchweg verändertes Verhältniß findet, von gewisser Seite durch wieder¬
holte Erinnerung an die alte russische Waffenbrüderschaft mit solchem Erfolge
speculirt worden, daß selbst solche Personen, welche die Unzulässigkeit einer
Anwendung der Wünsche und Maximen von 18-13 auf unsre Tage sehr wohl
einsehen, dennoch die alten Beziehungen Preußens zu Rußland als einen er¬
heblichen Entschuldigungsgrund für die gegenwärtige preußische Politik gelten
^sser wollen. Diesen muß stets in Erinnerung gebracht werden, daß Rußland
dick weniger als irgendein anderer Staat unsrem Lande je aufrichtige und un¬
eigennützige Dienste geleistet hat, daß vielmehr der aggressive Geist der russischen
Politik, das fortwährende Gelüst, sich auf Kosten des Nachbarn zu bereichern,
^'lbst in den Zeiten der engsten Waffenbrüderschaft in der widerwärtigsten Weise
Unter der Hülle der Freundschaft zum Vorschein gekommen ist. Was Preußen
von Rußland zu erwarten hat, das lehrt der siebenjährige Krieg und die damalige
erzwungene Huldigung Königsbergs, das lehrt die Geschichte des preußisch-
russische,, Handels, das lehren die Enthüllungen unsrer Tage ohne Frage sehr
überzeugend ; aber die Zähigkeit, die UnVeränderlichkeit russischer Eroberungö-
gelüste wird, wie uns dünkt, erst dadurch in das volle Licht gestellt, daß sie
^'lbst durch die Bundesgenossenschaft von -1806 und -1807, und -18-13---1815
entweder rücksichtslos durchbrachen oder kaum zurückgedrängt werden konnten.


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abhängigen und wahrhaft populären Organe. Am wenigsten steht zu erwarten,
daß die Staaten von wirklichem Selbstbewußtsein und nationaler Bedeutsamkeit
den offengelassenen Octroyirungsweg betreten werden. Nur jene Politik, welche
überhaupt das Recht zu sprechen für eine Staatsgefahr erachtet, mag in so¬
genannter Bundestreue jenen gefährlichen Pfad einschlagen. Sie wird die
materiellen und politischen Nachtheile dann auch isolirt zu tragen haben, welche
ihr erwachsen, wenn nicht nur die intellectuelle Kraft, sondern ebenso die In¬
dustrie der Presse aus ihren Machtgrenzen entweicht, wenn ihre specifischen
Interessen im Verlause der kaum begonnenen europäischen Krisis unvertreten,
unbeachtet, ja selbst unbekannt bleiben. Sie wird dann nicht zu klagen haben,
wenn das Rad der dereinstigen Entscheidungen rücksichtslos über ihr Sonder-
leben dahinrollt.




Danzig und die russische Politik.

Die Thorheit, ohne Rücksicht ans den veränderten Charakter der politi¬
schen Weltlage sich an ein altes, aus ganz andern Verhältnissen entsprungenes
Allianzsystem zu klammern, richtet sich zwar von selbst; gleichwol ist bei der
gegenwärtigen Verwicklung auf die Trägheit der Menschen, die sich schwer in
ein durchweg verändertes Verhältniß findet, von gewisser Seite durch wieder¬
holte Erinnerung an die alte russische Waffenbrüderschaft mit solchem Erfolge
speculirt worden, daß selbst solche Personen, welche die Unzulässigkeit einer
Anwendung der Wünsche und Maximen von 18-13 auf unsre Tage sehr wohl
einsehen, dennoch die alten Beziehungen Preußens zu Rußland als einen er¬
heblichen Entschuldigungsgrund für die gegenwärtige preußische Politik gelten
^sser wollen. Diesen muß stets in Erinnerung gebracht werden, daß Rußland
dick weniger als irgendein anderer Staat unsrem Lande je aufrichtige und un¬
eigennützige Dienste geleistet hat, daß vielmehr der aggressive Geist der russischen
Politik, das fortwährende Gelüst, sich auf Kosten des Nachbarn zu bereichern,
^'lbst in den Zeiten der engsten Waffenbrüderschaft in der widerwärtigsten Weise
Unter der Hülle der Freundschaft zum Vorschein gekommen ist. Was Preußen
von Rußland zu erwarten hat, das lehrt der siebenjährige Krieg und die damalige
erzwungene Huldigung Königsbergs, das lehrt die Geschichte des preußisch-
russische,, Handels, das lehren die Enthüllungen unsrer Tage ohne Frage sehr
überzeugend ; aber die Zähigkeit, die UnVeränderlichkeit russischer Eroberungö-
gelüste wird, wie uns dünkt, erst dadurch in das volle Licht gestellt, daß sie
^'lbst durch die Bundesgenossenschaft von -1806 und -1807, und -18-13—-1815
entweder rücksichtslos durchbrachen oder kaum zurückgedrängt werden konnten.


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[0457] abhängigen und wahrhaft populären Organe. Am wenigsten steht zu erwarten, daß die Staaten von wirklichem Selbstbewußtsein und nationaler Bedeutsamkeit den offengelassenen Octroyirungsweg betreten werden. Nur jene Politik, welche überhaupt das Recht zu sprechen für eine Staatsgefahr erachtet, mag in so¬ genannter Bundestreue jenen gefährlichen Pfad einschlagen. Sie wird die materiellen und politischen Nachtheile dann auch isolirt zu tragen haben, welche ihr erwachsen, wenn nicht nur die intellectuelle Kraft, sondern ebenso die In¬ dustrie der Presse aus ihren Machtgrenzen entweicht, wenn ihre specifischen Interessen im Verlause der kaum begonnenen europäischen Krisis unvertreten, unbeachtet, ja selbst unbekannt bleiben. Sie wird dann nicht zu klagen haben, wenn das Rad der dereinstigen Entscheidungen rücksichtslos über ihr Sonder- leben dahinrollt. Danzig und die russische Politik. Die Thorheit, ohne Rücksicht ans den veränderten Charakter der politi¬ schen Weltlage sich an ein altes, aus ganz andern Verhältnissen entsprungenes Allianzsystem zu klammern, richtet sich zwar von selbst; gleichwol ist bei der gegenwärtigen Verwicklung auf die Trägheit der Menschen, die sich schwer in ein durchweg verändertes Verhältniß findet, von gewisser Seite durch wieder¬ holte Erinnerung an die alte russische Waffenbrüderschaft mit solchem Erfolge speculirt worden, daß selbst solche Personen, welche die Unzulässigkeit einer Anwendung der Wünsche und Maximen von 18-13 auf unsre Tage sehr wohl einsehen, dennoch die alten Beziehungen Preußens zu Rußland als einen er¬ heblichen Entschuldigungsgrund für die gegenwärtige preußische Politik gelten ^sser wollen. Diesen muß stets in Erinnerung gebracht werden, daß Rußland dick weniger als irgendein anderer Staat unsrem Lande je aufrichtige und un¬ eigennützige Dienste geleistet hat, daß vielmehr der aggressive Geist der russischen Politik, das fortwährende Gelüst, sich auf Kosten des Nachbarn zu bereichern, ^'lbst in den Zeiten der engsten Waffenbrüderschaft in der widerwärtigsten Weise Unter der Hülle der Freundschaft zum Vorschein gekommen ist. Was Preußen von Rußland zu erwarten hat, das lehrt der siebenjährige Krieg und die damalige erzwungene Huldigung Königsbergs, das lehrt die Geschichte des preußisch- russische,, Handels, das lehren die Enthüllungen unsrer Tage ohne Frage sehr überzeugend ; aber die Zähigkeit, die UnVeränderlichkeit russischer Eroberungö- gelüste wird, wie uns dünkt, erst dadurch in das volle Licht gestellt, daß sie ^'lbst durch die Bundesgenossenschaft von -1806 und -1807, und -18-13—-1815 entweder rücksichtslos durchbrachen oder kaum zurückgedrängt werden konnten. Grenzboten. III. -I8Si. 57

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/457>, abgerufen am 27.07.2024.