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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Nachdem Liese und Haß verstummt und die meisten hervorragenden Personen
aus jener Epoche vom Schauplatz abgetreten sind, hat die Historiographie in
den letzten Jahren das reiche Material zur Geschichte jener merkwürdigen Zeit
verarbeitet und vieles aufgeklärt, was bisher dunkel war; und es verdient
constatirt zu werden, daß in dieser Beziehung fast kein neues Werk erschienen
ist, welches nicht auf den zweideutigen Charakter der Politik unsres "alten
Verbündeten" neue und überraschende Schlaglichter geworfen hätte. Ja man
muß sagen, daß wir in Gefahr standen, trotz der russischen Bundesgenossen¬
schaft die Provinz Preußen an den eigennützigen Helfer zu verlieren, wenn
nicht die unbeugsame Vaterlandsliebe der großen Männer, welche jene Provinz
in der bewegten Zeit hervorgebracht hatte, sich den Anfängen russischer Herr¬
schaft mit rücksichtsloser Entschlossenheit entgegengestellt und die Russificirung
der Provinz durch die mächtigste Anregung des preußischen Geistes zurück¬
gedrängt hätten. Was in den Monaten Januar und Februar 1813 in Königs¬
berg vorging, das gewaltige Ringen Schöns, Yorks und Dohnas gegen ein
Hinübergleiten der Provinz in die russische Herrschaft, hat uns Droysen mit
unvergleichlicher Lebendigkeit und ergreifender Wahrheit geschildert; weniger
beachtet wurde, daß die russischen Heerführer in der zweiten Hauptstadt der
Provinz, in Danzig, in gleichem Sinne der russischen Ländergier zu diene"
suchten. Ein soeben erschienenes Werk: "Geschichte der Befestigungen
und Belagerungen Danzigö, von Karl Fri<!eins, Berlin, Veit".
Comp." gibt neben andern interessanten Details auch hierüber bemerkens-
werthe Aufschlüsse.

"Der Angriff, die Vertheidigung und Eroberung Danzigs in den Jahre"
-1813 und 1814," sagt der Verfasser in dem Vorwort, "gehören, obgleich der
Hauptkriegsschauplatz so entfernt davon war, daß kaum Zusammenhang und
Beziehung miteinander zu bestehen schienen, zu den wichtigsten Ereignissen des
vierjährigen Krieges von 1812--181Ü, und sind ein wesentlicher Theil des
großen Ganzen. Es war ein Krieg für sich, mit allen Schrecknissen, Zer¬
störungen und Verheerungen, wie die Geschichte Europas seit dem dreißig¬
jährigen Kriege kaum etwas Aehnliches zu erzählen weiß. Es galt eine"'
Strich Landes, den, so klein sein Umfang ist, Preußen doch nicht entbehren
kann, wenn es das Wohl seines Volkes gründen, schützen und befördern,
wenn es seinen ihm von der Weltregierung auferlegten Beruf, der Sadi""
und Schutz, der Aufklärung und der vernunftgemäßen Entwicklung des deut¬
schen Volkes zu sein, erfüllen will. Von dem Besitze Danzigs hing Preußens
Zukunft ab. -- Dennoch hat sich bis jetzt niemand gefunden, welcher von
diesem Standpunkte aus und in diesem Sinne eine Geschichte dieses abgeson¬
derten Kampfes zur allgemeinen Kenntniß gebracht hat. Als die Eroberung
Danzigs endlich erfolgt war, erhielt sie nicht die verdiente Aufmerksamkeit und


Nachdem Liese und Haß verstummt und die meisten hervorragenden Personen
aus jener Epoche vom Schauplatz abgetreten sind, hat die Historiographie in
den letzten Jahren das reiche Material zur Geschichte jener merkwürdigen Zeit
verarbeitet und vieles aufgeklärt, was bisher dunkel war; und es verdient
constatirt zu werden, daß in dieser Beziehung fast kein neues Werk erschienen
ist, welches nicht auf den zweideutigen Charakter der Politik unsres „alten
Verbündeten" neue und überraschende Schlaglichter geworfen hätte. Ja man
muß sagen, daß wir in Gefahr standen, trotz der russischen Bundesgenossen¬
schaft die Provinz Preußen an den eigennützigen Helfer zu verlieren, wenn
nicht die unbeugsame Vaterlandsliebe der großen Männer, welche jene Provinz
in der bewegten Zeit hervorgebracht hatte, sich den Anfängen russischer Herr¬
schaft mit rücksichtsloser Entschlossenheit entgegengestellt und die Russificirung
der Provinz durch die mächtigste Anregung des preußischen Geistes zurück¬
gedrängt hätten. Was in den Monaten Januar und Februar 1813 in Königs¬
berg vorging, das gewaltige Ringen Schöns, Yorks und Dohnas gegen ein
Hinübergleiten der Provinz in die russische Herrschaft, hat uns Droysen mit
unvergleichlicher Lebendigkeit und ergreifender Wahrheit geschildert; weniger
beachtet wurde, daß die russischen Heerführer in der zweiten Hauptstadt der
Provinz, in Danzig, in gleichem Sinne der russischen Ländergier zu diene»
suchten. Ein soeben erschienenes Werk: „Geschichte der Befestigungen
und Belagerungen Danzigö, von Karl Fri<!eins, Berlin, Veit».
Comp." gibt neben andern interessanten Details auch hierüber bemerkens-
werthe Aufschlüsse.

„Der Angriff, die Vertheidigung und Eroberung Danzigs in den Jahre"
-1813 und 1814," sagt der Verfasser in dem Vorwort, „gehören, obgleich der
Hauptkriegsschauplatz so entfernt davon war, daß kaum Zusammenhang und
Beziehung miteinander zu bestehen schienen, zu den wichtigsten Ereignissen des
vierjährigen Krieges von 1812—181Ü, und sind ein wesentlicher Theil des
großen Ganzen. Es war ein Krieg für sich, mit allen Schrecknissen, Zer¬
störungen und Verheerungen, wie die Geschichte Europas seit dem dreißig¬
jährigen Kriege kaum etwas Aehnliches zu erzählen weiß. Es galt eine»'
Strich Landes, den, so klein sein Umfang ist, Preußen doch nicht entbehren
kann, wenn es das Wohl seines Volkes gründen, schützen und befördern,
wenn es seinen ihm von der Weltregierung auferlegten Beruf, der Sadi"»
und Schutz, der Aufklärung und der vernunftgemäßen Entwicklung des deut¬
schen Volkes zu sein, erfüllen will. Von dem Besitze Danzigs hing Preußens
Zukunft ab. — Dennoch hat sich bis jetzt niemand gefunden, welcher von
diesem Standpunkte aus und in diesem Sinne eine Geschichte dieses abgeson¬
derten Kampfes zur allgemeinen Kenntniß gebracht hat. Als die Eroberung
Danzigs endlich erfolgt war, erhielt sie nicht die verdiente Aufmerksamkeit und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/458>, abgerufen am 08.01.2025.