Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

lassen. Freilich mag noch immer die Frage bleiben, ob die Cautiönspflichtig-
keit der politischen Zeitungen nicht ganze weite Landstriche, namentlich der
kleinern Staaten, ihres bisherigen Zusammenhanges mit den Weltvorgängcn,
der literarischen Vertretung ihrer Local- und Provinzialintercssen beraubt.
Indessen läßt sich nicht leugnen, daß grade diese kleine Tagespresse wol immer
am meisten zu den mißgünstigen und abfälligen Stimmungen beigerragen hat,
welche in den bedingenden Kreisen der deutschen Staatspolitik einem freien
Gebahren der Tagesliteratur überhaupt entgegenstehen.

Was aber freilich die> Concessionsbedingungen anbelangt, an welche das
Bundespreßgesetz die Herausgabe periodischer Schriften knüpft, so verläßt uns
hierbei selbst unser deutscher Trost. Der erste preußische Fachmanusentwurf
enthielt darüber nichts; er begnügte sich mit den allgemeinen Normen, welche
an andern Stellen des Gesetzes für die Ausübung des literarischen Prodüctions-
gewerbeS (man gestatte diesen Ausdruck) aufgestellt sind. Ebenso wurde unter
den Strafbestimmungen die Nomenclatur, welche in zwei langen Paragraphen
t'16 und 17) ein engmaschiges Netzwerk der gefährlichsten Schlingen für jede
Meinungsäußerung, ja selbst sür jede thatsächliche Mittheilung in den Zeitungen
bildet, nach dem einengendem Principe des östreichisch-hessischen Entwurfs zum
Beschluß erhoben. Einzelne sehr bedenkliche, selbst die Möglichkeit einer ofst-
ciellen und officiösen Journalistik gefährdende Sätze sind nun zwar aus dem
-17. Artikel herausgefallen. Allein jene ursprünglich einzige Bestimmung,
welche ganz allgemein von der "Strafgesetzgebung" fordert, daß sie "Angrisse,
welche mittelst der Presse auf die Autorität der Negierung, auf die sittlichen
Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft oder auf die Ehre von Privatperionen
gerichtet werden, mit entsprechenden Strafen bedroht" -- diese wahrlich
nügende Bestimmung blieb in eine Unzahl von einzelnen Bedrohungen aus¬
gelöst, deren stritte Ausführung unsrer Tagespresse allermindestens den Aus¬
druck ihres Vegetationslebens unter der Censurherrschaft vor dem Beginne der
dreißiger Jahre und am Schlüsse jenes- Jahrzehnts wieder aufprägen müßte-
Fast krampfhaft klammert sich darum die Verzweiflung wegen der ungeheuer"
Competenz der Administration in der Maßregelung der Zeitungen an je"^
kleine Einschiebsel (im-IL. §.), welches diesfällsige Anordnungen nur den "l"-'-
treffenden inländischen" Behörden zugesteht, während früher möglicherwe>!e
lichtensteinsche Verfügungen oder irgendein ministerielles Handbillet für die
ganze deutsche Zeitungswelt gefährlich werden konnten.

Wie die politischen Zustände heute gestaltet sind, ist es allerdings kaum
zu befahren, daß die deutschen Staaten, welche eine Preßgesetzgebung besitzen,
das "Bedürfniß" fühlen, dieselbe durch die Einführung des BundespreßgesetzeS
zu cumuliren. Die Cabinetspolitik bedarf heut der Presse, nicht blos der
officiellen und gouvernementalen, sondern häusig noch dringender der "n-


lassen. Freilich mag noch immer die Frage bleiben, ob die Cautiönspflichtig-
keit der politischen Zeitungen nicht ganze weite Landstriche, namentlich der
kleinern Staaten, ihres bisherigen Zusammenhanges mit den Weltvorgängcn,
der literarischen Vertretung ihrer Local- und Provinzialintercssen beraubt.
Indessen läßt sich nicht leugnen, daß grade diese kleine Tagespresse wol immer
am meisten zu den mißgünstigen und abfälligen Stimmungen beigerragen hat,
welche in den bedingenden Kreisen der deutschen Staatspolitik einem freien
Gebahren der Tagesliteratur überhaupt entgegenstehen.

Was aber freilich die> Concessionsbedingungen anbelangt, an welche das
Bundespreßgesetz die Herausgabe periodischer Schriften knüpft, so verläßt uns
hierbei selbst unser deutscher Trost. Der erste preußische Fachmanusentwurf
enthielt darüber nichts; er begnügte sich mit den allgemeinen Normen, welche
an andern Stellen des Gesetzes für die Ausübung des literarischen Prodüctions-
gewerbeS (man gestatte diesen Ausdruck) aufgestellt sind. Ebenso wurde unter
den Strafbestimmungen die Nomenclatur, welche in zwei langen Paragraphen
t'16 und 17) ein engmaschiges Netzwerk der gefährlichsten Schlingen für jede
Meinungsäußerung, ja selbst sür jede thatsächliche Mittheilung in den Zeitungen
bildet, nach dem einengendem Principe des östreichisch-hessischen Entwurfs zum
Beschluß erhoben. Einzelne sehr bedenkliche, selbst die Möglichkeit einer ofst-
ciellen und officiösen Journalistik gefährdende Sätze sind nun zwar aus dem
-17. Artikel herausgefallen. Allein jene ursprünglich einzige Bestimmung,
welche ganz allgemein von der „Strafgesetzgebung" fordert, daß sie „Angrisse,
welche mittelst der Presse auf die Autorität der Negierung, auf die sittlichen
Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft oder auf die Ehre von Privatperionen
gerichtet werden, mit entsprechenden Strafen bedroht" — diese wahrlich
nügende Bestimmung blieb in eine Unzahl von einzelnen Bedrohungen aus¬
gelöst, deren stritte Ausführung unsrer Tagespresse allermindestens den Aus¬
druck ihres Vegetationslebens unter der Censurherrschaft vor dem Beginne der
dreißiger Jahre und am Schlüsse jenes- Jahrzehnts wieder aufprägen müßte-
Fast krampfhaft klammert sich darum die Verzweiflung wegen der ungeheuer»
Competenz der Administration in der Maßregelung der Zeitungen an je»^
kleine Einschiebsel (im-IL. §.), welches diesfällsige Anordnungen nur den „l"-'-
treffenden inländischen" Behörden zugesteht, während früher möglicherwe>!e
lichtensteinsche Verfügungen oder irgendein ministerielles Handbillet für die
ganze deutsche Zeitungswelt gefährlich werden konnten.

Wie die politischen Zustände heute gestaltet sind, ist es allerdings kaum
zu befahren, daß die deutschen Staaten, welche eine Preßgesetzgebung besitzen,
das „Bedürfniß" fühlen, dieselbe durch die Einführung des BundespreßgesetzeS
zu cumuliren. Die Cabinetspolitik bedarf heut der Presse, nicht blos der
officiellen und gouvernementalen, sondern häusig noch dringender der »n-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0456" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/281607"/>
          <p xml:id="ID_1393" prev="#ID_1392"> lassen. Freilich mag noch immer die Frage bleiben, ob die Cautiönspflichtig-<lb/>
keit der politischen Zeitungen nicht ganze weite Landstriche, namentlich der<lb/>
kleinern Staaten, ihres bisherigen Zusammenhanges mit den Weltvorgängcn,<lb/>
der literarischen Vertretung ihrer Local- und Provinzialintercssen beraubt.<lb/>
Indessen läßt sich nicht leugnen, daß grade diese kleine Tagespresse wol immer<lb/>
am meisten zu den mißgünstigen und abfälligen Stimmungen beigerragen hat,<lb/>
welche in den bedingenden Kreisen der deutschen Staatspolitik einem freien<lb/>
Gebahren der Tagesliteratur überhaupt entgegenstehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1394"> Was aber freilich die&gt; Concessionsbedingungen anbelangt, an welche das<lb/>
Bundespreßgesetz die Herausgabe periodischer Schriften knüpft, so verläßt uns<lb/>
hierbei selbst unser deutscher Trost. Der erste preußische Fachmanusentwurf<lb/>
enthielt darüber nichts; er begnügte sich mit den allgemeinen Normen, welche<lb/>
an andern Stellen des Gesetzes für die Ausübung des literarischen Prodüctions-<lb/>
gewerbeS (man gestatte diesen Ausdruck) aufgestellt sind. Ebenso wurde unter<lb/>
den Strafbestimmungen die Nomenclatur, welche in zwei langen Paragraphen<lb/>
t'16 und 17) ein engmaschiges Netzwerk der gefährlichsten Schlingen für jede<lb/>
Meinungsäußerung, ja selbst sür jede thatsächliche Mittheilung in den Zeitungen<lb/>
bildet, nach dem einengendem Principe des östreichisch-hessischen Entwurfs zum<lb/>
Beschluß erhoben. Einzelne sehr bedenkliche, selbst die Möglichkeit einer ofst-<lb/>
ciellen und officiösen Journalistik gefährdende Sätze sind nun zwar aus dem<lb/>
-17. Artikel herausgefallen. Allein jene ursprünglich einzige Bestimmung,<lb/>
welche ganz allgemein von der &#x201E;Strafgesetzgebung" fordert, daß sie &#x201E;Angrisse,<lb/>
welche mittelst der Presse auf die Autorität der Negierung, auf die sittlichen<lb/>
Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft oder auf die Ehre von Privatperionen<lb/>
gerichtet werden, mit entsprechenden Strafen bedroht" &#x2014; diese wahrlich<lb/>
nügende Bestimmung blieb in eine Unzahl von einzelnen Bedrohungen aus¬<lb/>
gelöst, deren stritte Ausführung unsrer Tagespresse allermindestens den Aus¬<lb/>
druck ihres Vegetationslebens unter der Censurherrschaft vor dem Beginne der<lb/>
dreißiger Jahre und am Schlüsse jenes- Jahrzehnts wieder aufprägen müßte-<lb/>
Fast krampfhaft klammert sich darum die Verzweiflung wegen der ungeheuer»<lb/>
Competenz der Administration in der Maßregelung der Zeitungen an je»^<lb/>
kleine Einschiebsel (im-IL. §.), welches diesfällsige Anordnungen nur den &#x201E;l"-'-<lb/>
treffenden inländischen" Behörden zugesteht, während früher möglicherwe&gt;!e<lb/>
lichtensteinsche Verfügungen oder irgendein ministerielles Handbillet für die<lb/>
ganze deutsche Zeitungswelt gefährlich werden konnten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1395" next="#ID_1396"> Wie die politischen Zustände heute gestaltet sind, ist es allerdings kaum<lb/>
zu befahren, daß die deutschen Staaten, welche eine Preßgesetzgebung besitzen,<lb/>
das &#x201E;Bedürfniß" fühlen, dieselbe durch die Einführung des BundespreßgesetzeS<lb/>
zu cumuliren. Die Cabinetspolitik bedarf heut der Presse, nicht blos der<lb/>
officiellen und gouvernementalen, sondern häusig noch dringender der »n-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0456] lassen. Freilich mag noch immer die Frage bleiben, ob die Cautiönspflichtig- keit der politischen Zeitungen nicht ganze weite Landstriche, namentlich der kleinern Staaten, ihres bisherigen Zusammenhanges mit den Weltvorgängcn, der literarischen Vertretung ihrer Local- und Provinzialintercssen beraubt. Indessen läßt sich nicht leugnen, daß grade diese kleine Tagespresse wol immer am meisten zu den mißgünstigen und abfälligen Stimmungen beigerragen hat, welche in den bedingenden Kreisen der deutschen Staatspolitik einem freien Gebahren der Tagesliteratur überhaupt entgegenstehen. Was aber freilich die> Concessionsbedingungen anbelangt, an welche das Bundespreßgesetz die Herausgabe periodischer Schriften knüpft, so verläßt uns hierbei selbst unser deutscher Trost. Der erste preußische Fachmanusentwurf enthielt darüber nichts; er begnügte sich mit den allgemeinen Normen, welche an andern Stellen des Gesetzes für die Ausübung des literarischen Prodüctions- gewerbeS (man gestatte diesen Ausdruck) aufgestellt sind. Ebenso wurde unter den Strafbestimmungen die Nomenclatur, welche in zwei langen Paragraphen t'16 und 17) ein engmaschiges Netzwerk der gefährlichsten Schlingen für jede Meinungsäußerung, ja selbst sür jede thatsächliche Mittheilung in den Zeitungen bildet, nach dem einengendem Principe des östreichisch-hessischen Entwurfs zum Beschluß erhoben. Einzelne sehr bedenkliche, selbst die Möglichkeit einer ofst- ciellen und officiösen Journalistik gefährdende Sätze sind nun zwar aus dem -17. Artikel herausgefallen. Allein jene ursprünglich einzige Bestimmung, welche ganz allgemein von der „Strafgesetzgebung" fordert, daß sie „Angrisse, welche mittelst der Presse auf die Autorität der Negierung, auf die sittlichen Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft oder auf die Ehre von Privatperionen gerichtet werden, mit entsprechenden Strafen bedroht" — diese wahrlich nügende Bestimmung blieb in eine Unzahl von einzelnen Bedrohungen aus¬ gelöst, deren stritte Ausführung unsrer Tagespresse allermindestens den Aus¬ druck ihres Vegetationslebens unter der Censurherrschaft vor dem Beginne der dreißiger Jahre und am Schlüsse jenes- Jahrzehnts wieder aufprägen müßte- Fast krampfhaft klammert sich darum die Verzweiflung wegen der ungeheuer» Competenz der Administration in der Maßregelung der Zeitungen an je»^ kleine Einschiebsel (im-IL. §.), welches diesfällsige Anordnungen nur den „l"-'- treffenden inländischen" Behörden zugesteht, während früher möglicherwe>!e lichtensteinsche Verfügungen oder irgendein ministerielles Handbillet für die ganze deutsche Zeitungswelt gefährlich werden konnten. Wie die politischen Zustände heute gestaltet sind, ist es allerdings kaum zu befahren, daß die deutschen Staaten, welche eine Preßgesetzgebung besitzen, das „Bedürfniß" fühlen, dieselbe durch die Einführung des BundespreßgesetzeS zu cumuliren. Die Cabinetspolitik bedarf heut der Presse, nicht blos der officiellen und gouvernementalen, sondern häusig noch dringender der »n-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/456
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/456>, abgerufen am 27.07.2024.