Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

der Verfasser die mittelalterliche Teufelsidee ausdrücklich hinstellt als die ein¬
seitige Ausartung und Verzerrung einer viel älteren und edleren Vorstellung,
ähnlich der des Abaddona in Klopstocks Messias. Er geht aus von dem ur¬
alten Mythus, daß der Fürst dieser Welt ursprünglich ein Engel des Lichrs,
und zwar der schönste von allen war, der eben durch seine Herrlichkeit zum
Uebermuth verleitet und deswegen von Gott verbannt wurde, aber nicht auf
ewig, sondern mit einer sittlichen Aufgabe der Buße und mit der Hoffnung
auf Wiederkehr am Ende der irdischen Dinge. Als die geeignete typische Person
seiner Dichtung hat er deshalb gewählt den Demiurg der Gnostiker, diesen
Vasallen des Höchsten, der aus der Grenzlinie schwebt zwischen Gott und
Teufel; diesen Baumeister der Erdenwelt, in dessen Gestalt die Schattenseiten
des jüdischen Jehova (gleichsam die Schlacken, die von ihm zurückblieben bei
der EntpuppuuH der christlichen Gottesvorstellung) der persische Ahriman und
der astronomische Mythus der Chaldäer von Lucifer zu einem Bilde ver¬
schmolzen-sind." --

Gegen die Wahrheit des einleitenden Gedankens wird gewiß niemand
etwas einzuwenden haben, als vielleicht einige Pietisten, die überhaupt nichts
denken. Daß das Positive und das Negative nicht zwei Gegensätze sind, die
einander ausschließen, vielmehr nur die entgegengesetzten Pole des Seins, das
ohne dieselben nicht gedacht werden kann, weiß heutzutage jeder, der sich auch
"Ur flüchtig mit der Philosophie beschäftigt hat. Bekanntlich ist die ganze
Hegelsche Philosophie auf den Grundgedanken basirt: daß das Sein, um
überhaupt gedacht zu werden, mit dem Moment des Nichtseins gedacht werden
^uß. Allein eine andere Frage ist es, ob man diese richtige speculative Idee
poetisch darstellen kann?

Zunächst ist eS augenscheinlich, daß sie sich in den Nahmen einer wirk¬
ten Mythologie nicht fügt. Zu den wirklichen Mythologien rechnen wir
"der keineswegs die der Gnostiker, die aus Speculationen hervorgegangen war
"ud das Gepräge ihres Ursprungs an der Stirn trägt. Nur diejenige My¬
thologie kann poetisch benutzt werden, die ein unmittelbarer Ausfluß des Volks¬
glaubens ist und die lebendige und individuelle Gestalten enthält. So ists im
H°wer, in der Edda, in den indischen Gedichten u. s. w. So ist es Dante
"ud Milton gelungen, ihr specielles religiöses Gefühl in den Nahmen der
^ristlichen Dogmatik zu fassen; ja noch ein neuerer skeptischer Dichter, Lord
^ron, hat in seinen beiden Mysterien die alttestamentliche Geschichte bei¬
nhalten und ihr nur eine Beleuchtung gegeben, die ihr freilich ein ganz anderes
Aussehen verleiht, die aber doch nicht ohne innere, tiefere Beziehung zum innersten
^ern der Religion ist. Mit den Gnostikern ist aber nichts anzufangen, ihre
"M)vlogischen Gebilde sind Abstractionen und leisten den Absichten des Dichters
enim Widerstand, geben ihnen daher auch keine Form und kein Maß. Herr


52*

der Verfasser die mittelalterliche Teufelsidee ausdrücklich hinstellt als die ein¬
seitige Ausartung und Verzerrung einer viel älteren und edleren Vorstellung,
ähnlich der des Abaddona in Klopstocks Messias. Er geht aus von dem ur¬
alten Mythus, daß der Fürst dieser Welt ursprünglich ein Engel des Lichrs,
und zwar der schönste von allen war, der eben durch seine Herrlichkeit zum
Uebermuth verleitet und deswegen von Gott verbannt wurde, aber nicht auf
ewig, sondern mit einer sittlichen Aufgabe der Buße und mit der Hoffnung
auf Wiederkehr am Ende der irdischen Dinge. Als die geeignete typische Person
seiner Dichtung hat er deshalb gewählt den Demiurg der Gnostiker, diesen
Vasallen des Höchsten, der aus der Grenzlinie schwebt zwischen Gott und
Teufel; diesen Baumeister der Erdenwelt, in dessen Gestalt die Schattenseiten
des jüdischen Jehova (gleichsam die Schlacken, die von ihm zurückblieben bei
der EntpuppuuH der christlichen Gottesvorstellung) der persische Ahriman und
der astronomische Mythus der Chaldäer von Lucifer zu einem Bilde ver¬
schmolzen-sind." —

Gegen die Wahrheit des einleitenden Gedankens wird gewiß niemand
etwas einzuwenden haben, als vielleicht einige Pietisten, die überhaupt nichts
denken. Daß das Positive und das Negative nicht zwei Gegensätze sind, die
einander ausschließen, vielmehr nur die entgegengesetzten Pole des Seins, das
ohne dieselben nicht gedacht werden kann, weiß heutzutage jeder, der sich auch
"Ur flüchtig mit der Philosophie beschäftigt hat. Bekanntlich ist die ganze
Hegelsche Philosophie auf den Grundgedanken basirt: daß das Sein, um
überhaupt gedacht zu werden, mit dem Moment des Nichtseins gedacht werden
^uß. Allein eine andere Frage ist es, ob man diese richtige speculative Idee
poetisch darstellen kann?

Zunächst ist eS augenscheinlich, daß sie sich in den Nahmen einer wirk¬
ten Mythologie nicht fügt. Zu den wirklichen Mythologien rechnen wir
"der keineswegs die der Gnostiker, die aus Speculationen hervorgegangen war
"ud das Gepräge ihres Ursprungs an der Stirn trägt. Nur diejenige My¬
thologie kann poetisch benutzt werden, die ein unmittelbarer Ausfluß des Volks¬
glaubens ist und die lebendige und individuelle Gestalten enthält. So ists im
H°wer, in der Edda, in den indischen Gedichten u. s. w. So ist es Dante
"ud Milton gelungen, ihr specielles religiöses Gefühl in den Nahmen der
^ristlichen Dogmatik zu fassen; ja noch ein neuerer skeptischer Dichter, Lord
^ron, hat in seinen beiden Mysterien die alttestamentliche Geschichte bei¬
nhalten und ihr nur eine Beleuchtung gegeben, die ihr freilich ein ganz anderes
Aussehen verleiht, die aber doch nicht ohne innere, tiefere Beziehung zum innersten
^ern der Religion ist. Mit den Gnostikern ist aber nichts anzufangen, ihre
"M)vlogischen Gebilde sind Abstractionen und leisten den Absichten des Dichters
enim Widerstand, geben ihnen daher auch keine Form und kein Maß. Herr


52*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0419" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/281570"/>
          <p xml:id="ID_1259" prev="#ID_1258"> der Verfasser die mittelalterliche Teufelsidee ausdrücklich hinstellt als die ein¬<lb/>
seitige Ausartung und Verzerrung einer viel älteren und edleren Vorstellung,<lb/>
ähnlich der des Abaddona in Klopstocks Messias. Er geht aus von dem ur¬<lb/>
alten Mythus, daß der Fürst dieser Welt ursprünglich ein Engel des Lichrs,<lb/>
und zwar der schönste von allen war, der eben durch seine Herrlichkeit zum<lb/>
Uebermuth verleitet und deswegen von Gott verbannt wurde, aber nicht auf<lb/>
ewig, sondern mit einer sittlichen Aufgabe der Buße und mit der Hoffnung<lb/>
auf Wiederkehr am Ende der irdischen Dinge. Als die geeignete typische Person<lb/>
seiner Dichtung hat er deshalb gewählt den Demiurg der Gnostiker, diesen<lb/>
Vasallen des Höchsten, der aus der Grenzlinie schwebt zwischen Gott und<lb/>
Teufel; diesen Baumeister der Erdenwelt, in dessen Gestalt die Schattenseiten<lb/>
des jüdischen Jehova (gleichsam die Schlacken, die von ihm zurückblieben bei<lb/>
der EntpuppuuH der christlichen Gottesvorstellung) der persische Ahriman und<lb/>
der astronomische Mythus der Chaldäer von Lucifer zu einem Bilde ver¬<lb/>
schmolzen-sind." &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1260"> Gegen die Wahrheit des einleitenden Gedankens wird gewiß niemand<lb/>
etwas einzuwenden haben, als vielleicht einige Pietisten, die überhaupt nichts<lb/>
denken. Daß das Positive und das Negative nicht zwei Gegensätze sind, die<lb/>
einander ausschließen, vielmehr nur die entgegengesetzten Pole des Seins, das<lb/>
ohne dieselben nicht gedacht werden kann, weiß heutzutage jeder, der sich auch<lb/>
"Ur flüchtig mit der Philosophie beschäftigt hat. Bekanntlich ist die ganze<lb/>
Hegelsche Philosophie auf den Grundgedanken basirt: daß das Sein, um<lb/>
überhaupt gedacht zu werden, mit dem Moment des Nichtseins gedacht werden<lb/>
^uß. Allein eine andere Frage ist es, ob man diese richtige speculative Idee<lb/>
poetisch darstellen kann?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1261" next="#ID_1262"> Zunächst ist eS augenscheinlich, daß sie sich in den Nahmen einer wirk¬<lb/>
ten Mythologie nicht fügt. Zu den wirklichen Mythologien rechnen wir<lb/>
"der keineswegs die der Gnostiker, die aus Speculationen hervorgegangen war<lb/>
"ud das Gepräge ihres Ursprungs an der Stirn trägt. Nur diejenige My¬<lb/>
thologie kann poetisch benutzt werden, die ein unmittelbarer Ausfluß des Volks¬<lb/>
glaubens ist und die lebendige und individuelle Gestalten enthält. So ists im<lb/>
H°wer, in der Edda, in den indischen Gedichten u. s. w. So ist es Dante<lb/>
"ud Milton gelungen, ihr specielles religiöses Gefühl in den Nahmen der<lb/>
^ristlichen Dogmatik zu fassen; ja noch ein neuerer skeptischer Dichter, Lord<lb/>
^ron, hat in seinen beiden Mysterien die alttestamentliche Geschichte bei¬<lb/>
nhalten und ihr nur eine Beleuchtung gegeben, die ihr freilich ein ganz anderes<lb/>
Aussehen verleiht, die aber doch nicht ohne innere, tiefere Beziehung zum innersten<lb/>
^ern der Religion ist. Mit den Gnostikern ist aber nichts anzufangen, ihre<lb/>
"M)vlogischen Gebilde sind Abstractionen und leisten den Absichten des Dichters<lb/>
enim Widerstand, geben ihnen daher auch keine Form und kein Maß. Herr</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 52*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0419] der Verfasser die mittelalterliche Teufelsidee ausdrücklich hinstellt als die ein¬ seitige Ausartung und Verzerrung einer viel älteren und edleren Vorstellung, ähnlich der des Abaddona in Klopstocks Messias. Er geht aus von dem ur¬ alten Mythus, daß der Fürst dieser Welt ursprünglich ein Engel des Lichrs, und zwar der schönste von allen war, der eben durch seine Herrlichkeit zum Uebermuth verleitet und deswegen von Gott verbannt wurde, aber nicht auf ewig, sondern mit einer sittlichen Aufgabe der Buße und mit der Hoffnung auf Wiederkehr am Ende der irdischen Dinge. Als die geeignete typische Person seiner Dichtung hat er deshalb gewählt den Demiurg der Gnostiker, diesen Vasallen des Höchsten, der aus der Grenzlinie schwebt zwischen Gott und Teufel; diesen Baumeister der Erdenwelt, in dessen Gestalt die Schattenseiten des jüdischen Jehova (gleichsam die Schlacken, die von ihm zurückblieben bei der EntpuppuuH der christlichen Gottesvorstellung) der persische Ahriman und der astronomische Mythus der Chaldäer von Lucifer zu einem Bilde ver¬ schmolzen-sind." — Gegen die Wahrheit des einleitenden Gedankens wird gewiß niemand etwas einzuwenden haben, als vielleicht einige Pietisten, die überhaupt nichts denken. Daß das Positive und das Negative nicht zwei Gegensätze sind, die einander ausschließen, vielmehr nur die entgegengesetzten Pole des Seins, das ohne dieselben nicht gedacht werden kann, weiß heutzutage jeder, der sich auch "Ur flüchtig mit der Philosophie beschäftigt hat. Bekanntlich ist die ganze Hegelsche Philosophie auf den Grundgedanken basirt: daß das Sein, um überhaupt gedacht zu werden, mit dem Moment des Nichtseins gedacht werden ^uß. Allein eine andere Frage ist es, ob man diese richtige speculative Idee poetisch darstellen kann? Zunächst ist eS augenscheinlich, daß sie sich in den Nahmen einer wirk¬ ten Mythologie nicht fügt. Zu den wirklichen Mythologien rechnen wir "der keineswegs die der Gnostiker, die aus Speculationen hervorgegangen war "ud das Gepräge ihres Ursprungs an der Stirn trägt. Nur diejenige My¬ thologie kann poetisch benutzt werden, die ein unmittelbarer Ausfluß des Volks¬ glaubens ist und die lebendige und individuelle Gestalten enthält. So ists im H°wer, in der Edda, in den indischen Gedichten u. s. w. So ist es Dante "ud Milton gelungen, ihr specielles religiöses Gefühl in den Nahmen der ^ristlichen Dogmatik zu fassen; ja noch ein neuerer skeptischer Dichter, Lord ^ron, hat in seinen beiden Mysterien die alttestamentliche Geschichte bei¬ nhalten und ihr nur eine Beleuchtung gegeben, die ihr freilich ein ganz anderes Aussehen verleiht, die aber doch nicht ohne innere, tiefere Beziehung zum innersten ^ern der Religion ist. Mit den Gnostikern ist aber nichts anzufangen, ihre "M)vlogischen Gebilde sind Abstractionen und leisten den Absichten des Dichters enim Widerstand, geben ihnen daher auch keine Form und kein Maß. Herr 52*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/419
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/419>, abgerufen am 27.07.2024.