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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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in der Natur. Zwar ist die Einkleidung auch hier ungeschickt, ein innerer Zu¬
sammenhang des Vorhergehenden mit dem Nachfolgenden ist nicht hergestellt und
die Gesprächsform, in welcher der eine der Beteiligten offenbar an Alexander
v. Humboldt erinnern soll, hätte füglich wegbleiben können; allein hier sieht
man, daß dem Dichter ein reicher Stoff zu Gebote stand, und daß er demselben
ein warmes Gefühl und eine lebhafte Phantasie entgegenbrachte. Einzelne
Stellen sind wirklich poetisch und der bei weitem größere Theil regt zu jenem
angenehmen Nachdenken auf, welches die Einbildungskraft und das Gemüth
nicht ausschließt, durch jene liebenswürdige Mischung von Spiel und Ernst, die
den Charakter des sogenannten Lehrgedichts ausmacht. Gegen diese Gattung
sind die neueren Kunstrichter von einem ungerechten Vorurtheil erfüllt. Dem
Lucrez wird gewiß niemand die Poesie absprechen, und vieles, was Goethe und
Schiller nach dieser Richtung hin versucht haben, gehört zu den besten Leistungen
unsrer Poesie. Ja unsre ganze Naturphilosophie war eigentlich ein poetischer
Trieb, der nur in eine falsche Bahn gelenkt wurde; und wenn ein neuerer
Dichter die großen Perspektiven, welche die Speculation uns eröffnet, in das
concrete, reale Leben der Natur einzuführen versteht, so kann daraus eine be¬
deutende Dichtung hervorgehen. Vielleicht hat Herr Jordan dazu den Beruf;
für das Talent sprechen einzelne schöne Stellen, und ernstere Studien scheint
er auch gemacht zu haben. Aber die politische Poesie möge er bei Seite lassen-
Hier wird er nie über den Dilettantismus hinausgehen können.

Wenn unsre Kritik sich bisher nur bei den Episoden aufgehalten hat, so
müssen wir doch hinzusehen, daß wir in' diesen ausschließlich den realen Gehalt
der Dichtung suchen; denn der allegorische Faden ist nichts als eine prosaische
Neflerion. Um aber auch von dieser Seite dem Dichter gerecht zu werden,
wollen wir ihn über seinen Plan selbst hören.

"Für das Weltganze gibt es nichts Böses. Was wir so nennen, ist ein
Schein der menschlichen Perspektive; er verschwindet um so vollständiger, jemehr
uns die Annäherung zum Gottesstandpunkt gelingt. Das Vorhandene ist daS
Bestmögliche. Das Leben der Menschheit jedoch bewegt sich in dem Wider¬
spruch, daß sie alles Geschehene anerkennen muß als den Willensausfluß einer
allgütigen und allweisen Vorsehung, daß sie also mit ihrem Glauben den
jedesmaligen Zustand hinnehmen muß als den erdenkbar besten, daß sie aber
dennoch nicht zufrieden sein darf mit diesem Zustande, sondern, um nicht zurück-'
zusinken ins Thierische, genöthigt ist, sich aus ihm hinauszuarbeiten in einem
bessern, kurz, Ideale zu verfolgen und nach ihrer Verwirklichung zu trachte"-
Die Versöhnung dieses Optimismus mit seinem Gegenschein, dem Idealismus,
ist das Thema des "Demiurgos". Die Ausführung geschieht in der Art, daß
man der Dichtung den Nebentitel: "die Verklärung des Teufels" beilegen
könnte. Doch wäre diese Bezeichnung insofern schief und nicht zutreffend, als


in der Natur. Zwar ist die Einkleidung auch hier ungeschickt, ein innerer Zu¬
sammenhang des Vorhergehenden mit dem Nachfolgenden ist nicht hergestellt und
die Gesprächsform, in welcher der eine der Beteiligten offenbar an Alexander
v. Humboldt erinnern soll, hätte füglich wegbleiben können; allein hier sieht
man, daß dem Dichter ein reicher Stoff zu Gebote stand, und daß er demselben
ein warmes Gefühl und eine lebhafte Phantasie entgegenbrachte. Einzelne
Stellen sind wirklich poetisch und der bei weitem größere Theil regt zu jenem
angenehmen Nachdenken auf, welches die Einbildungskraft und das Gemüth
nicht ausschließt, durch jene liebenswürdige Mischung von Spiel und Ernst, die
den Charakter des sogenannten Lehrgedichts ausmacht. Gegen diese Gattung
sind die neueren Kunstrichter von einem ungerechten Vorurtheil erfüllt. Dem
Lucrez wird gewiß niemand die Poesie absprechen, und vieles, was Goethe und
Schiller nach dieser Richtung hin versucht haben, gehört zu den besten Leistungen
unsrer Poesie. Ja unsre ganze Naturphilosophie war eigentlich ein poetischer
Trieb, der nur in eine falsche Bahn gelenkt wurde; und wenn ein neuerer
Dichter die großen Perspektiven, welche die Speculation uns eröffnet, in das
concrete, reale Leben der Natur einzuführen versteht, so kann daraus eine be¬
deutende Dichtung hervorgehen. Vielleicht hat Herr Jordan dazu den Beruf;
für das Talent sprechen einzelne schöne Stellen, und ernstere Studien scheint
er auch gemacht zu haben. Aber die politische Poesie möge er bei Seite lassen-
Hier wird er nie über den Dilettantismus hinausgehen können.

Wenn unsre Kritik sich bisher nur bei den Episoden aufgehalten hat, so
müssen wir doch hinzusehen, daß wir in' diesen ausschließlich den realen Gehalt
der Dichtung suchen; denn der allegorische Faden ist nichts als eine prosaische
Neflerion. Um aber auch von dieser Seite dem Dichter gerecht zu werden,
wollen wir ihn über seinen Plan selbst hören.

„Für das Weltganze gibt es nichts Böses. Was wir so nennen, ist ein
Schein der menschlichen Perspektive; er verschwindet um so vollständiger, jemehr
uns die Annäherung zum Gottesstandpunkt gelingt. Das Vorhandene ist daS
Bestmögliche. Das Leben der Menschheit jedoch bewegt sich in dem Wider¬
spruch, daß sie alles Geschehene anerkennen muß als den Willensausfluß einer
allgütigen und allweisen Vorsehung, daß sie also mit ihrem Glauben den
jedesmaligen Zustand hinnehmen muß als den erdenkbar besten, daß sie aber
dennoch nicht zufrieden sein darf mit diesem Zustande, sondern, um nicht zurück-'
zusinken ins Thierische, genöthigt ist, sich aus ihm hinauszuarbeiten in einem
bessern, kurz, Ideale zu verfolgen und nach ihrer Verwirklichung zu trachte"-
Die Versöhnung dieses Optimismus mit seinem Gegenschein, dem Idealismus,
ist das Thema des „Demiurgos". Die Ausführung geschieht in der Art, daß
man der Dichtung den Nebentitel: „die Verklärung des Teufels" beilegen
könnte. Doch wäre diese Bezeichnung insofern schief und nicht zutreffend, als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/418>, abgerufen am 27.07.2024.