Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Wie, wenn sich wie auf ein Gebot
Millionen Arme hastig regen
Und eine weite Hungersnot!),
Der sonst sie scharenweis erlegen,
Bekämpfen mit vereinter Macht,
Und nun auf hunderttausend Wegen
Zusammenströmt die SegcnSsracht
Bis von der Erde fernsten Enden:
Wer spürte da nicht in den Menschenhänden
Das Wirken von dem Hcilandsgeistc,
Der die Fünftausend speiste?

Wenn ein lichtfreundlicher Prediger auf einen'solchen Einfall käme, so
würden wir nichts dagegen einwenden; ins Gedicht gehört er aber unter keiner
Bedingung. -- Diese ganze Episode, die den größten Theil des dritten Bandes
ausfüllt, würde sehr gewonnen haben, wenn sie der Dichter subjectiv gehalten,
d- h. die Geschichte seiner innern religiösen Entwicklung geschildert hätte. Ge¬
genwärtig ist es doch nur eine Sammlung unverarbeiteter Reminiscenzen, mit
eignen Einfällen vermehrt, die aber gegen das Empfangene sehr stark abstechen.

Wir gehen zu einer zweiten Episode über, die den größeren Theil des zwei¬
ten Bandes ausfüllt und im Grunde ebenso abgeschlossen in sich ist als die erste.
Hier treten wir aus dem Nebelreich der Abstraction vollständig heraus und
suhlen festen Boden unter den Füßen. Wir können daher prüfen, wie weit
Talent des Dichters in der Behandlung concreter Gegenstände ausreicht. --
Die Scene spielt in Frankfurt zur Zeit des Parlaments. Zwei NeichstagSab-
Keordncte, Heinrich und Felir, unterreden sich miteinander über die Hoffnungen
^'s deutschen Volks. Bon dem letzteren wird ausgesagt, daß er ein Fürst sei
^'"d im Heere des Don Carlos gedient habe. Noch mehre Umstünce kommen hin-
iu, die es außer Zweifel setzen, daß hier die Person des Fürsten Felir Lichnowsky
ö^meint ist. Heinrich ist ein Idealist, der in dein wirklichen Leben noch wenig
Wahrung gemacht hat und sich daher bei dem allgemeinen Aufschwung der
Blöder auf die Seite des Radikalismus neigt, doch mit entschiedener Abneigung
^gen die rohen Formen, in denen sich diese Richtung gewöhnlich ausprägt.
^ gelingt daher dem Fürsten Felir leicht, umsomehr, da er dnrch persönliche
Eichungen mit ihm verknüpft ist, ihn vou dieser Seite aus für eine mildere
^"fsassuug der bestehenden Verhältnisse zu gewinnen. Heinrich ist schon halb
^ehrt, als die bekannte Emeute ausbricht, in welcher Fürst Lichnowskv auf
so schmähliche Weise umgebracht wird. Der Zorn über die an seinem
^'"nde verübte Unthat erregt nun in Heinrich einen leidenschaftlichen Haß ge-
die Partei, der er bisher angehörte, und da von der andern Seite seine
Fusionen bald getäuscht werden, eine trübe Mißstimmung gegen das politische
^ en überhaupt, die sich zuweilen sogar bis zum Selbstmordgedanken steigert.


Wie, wenn sich wie auf ein Gebot
Millionen Arme hastig regen
Und eine weite Hungersnot!),
Der sonst sie scharenweis erlegen,
Bekämpfen mit vereinter Macht,
Und nun auf hunderttausend Wegen
Zusammenströmt die SegcnSsracht
Bis von der Erde fernsten Enden:
Wer spürte da nicht in den Menschenhänden
Das Wirken von dem Hcilandsgeistc,
Der die Fünftausend speiste?

Wenn ein lichtfreundlicher Prediger auf einen'solchen Einfall käme, so
würden wir nichts dagegen einwenden; ins Gedicht gehört er aber unter keiner
Bedingung. — Diese ganze Episode, die den größten Theil des dritten Bandes
ausfüllt, würde sehr gewonnen haben, wenn sie der Dichter subjectiv gehalten,
d- h. die Geschichte seiner innern religiösen Entwicklung geschildert hätte. Ge¬
genwärtig ist es doch nur eine Sammlung unverarbeiteter Reminiscenzen, mit
eignen Einfällen vermehrt, die aber gegen das Empfangene sehr stark abstechen.

Wir gehen zu einer zweiten Episode über, die den größeren Theil des zwei¬
ten Bandes ausfüllt und im Grunde ebenso abgeschlossen in sich ist als die erste.
Hier treten wir aus dem Nebelreich der Abstraction vollständig heraus und
suhlen festen Boden unter den Füßen. Wir können daher prüfen, wie weit
Talent des Dichters in der Behandlung concreter Gegenstände ausreicht. —
Die Scene spielt in Frankfurt zur Zeit des Parlaments. Zwei NeichstagSab-
Keordncte, Heinrich und Felir, unterreden sich miteinander über die Hoffnungen
^'s deutschen Volks. Bon dem letzteren wird ausgesagt, daß er ein Fürst sei
^'"d im Heere des Don Carlos gedient habe. Noch mehre Umstünce kommen hin-
iu, die es außer Zweifel setzen, daß hier die Person des Fürsten Felir Lichnowsky
ö^meint ist. Heinrich ist ein Idealist, der in dein wirklichen Leben noch wenig
Wahrung gemacht hat und sich daher bei dem allgemeinen Aufschwung der
Blöder auf die Seite des Radikalismus neigt, doch mit entschiedener Abneigung
^gen die rohen Formen, in denen sich diese Richtung gewöhnlich ausprägt.
^ gelingt daher dem Fürsten Felir leicht, umsomehr, da er dnrch persönliche
Eichungen mit ihm verknüpft ist, ihn vou dieser Seite aus für eine mildere
^"fsassuug der bestehenden Verhältnisse zu gewinnen. Heinrich ist schon halb
^ehrt, als die bekannte Emeute ausbricht, in welcher Fürst Lichnowskv auf
so schmähliche Weise umgebracht wird. Der Zorn über die an seinem
^'"nde verübte Unthat erregt nun in Heinrich einen leidenschaftlichen Haß ge-
die Partei, der er bisher angehörte, und da von der andern Seite seine
Fusionen bald getäuscht werden, eine trübe Mißstimmung gegen das politische
^ en überhaupt, die sich zuweilen sogar bis zum Selbstmordgedanken steigert.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0415" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/281566"/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_11" type="poem">
              <l> Wie, wenn sich wie auf ein Gebot<lb/>
Millionen Arme hastig regen<lb/>
Und eine weite Hungersnot!),<lb/>
Der sonst sie scharenweis erlegen,<lb/>
Bekämpfen mit vereinter Macht,<lb/>
Und nun auf hunderttausend Wegen<lb/>
Zusammenströmt die SegcnSsracht<lb/>
Bis von der Erde fernsten Enden:<lb/>
Wer spürte da nicht in den Menschenhänden<lb/>
Das Wirken von dem Hcilandsgeistc,<lb/>
Der die Fünftausend speiste?</l>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1249"> Wenn ein lichtfreundlicher Prediger auf einen'solchen Einfall käme, so<lb/>
würden wir nichts dagegen einwenden; ins Gedicht gehört er aber unter keiner<lb/>
Bedingung. &#x2014; Diese ganze Episode, die den größten Theil des dritten Bandes<lb/>
ausfüllt, würde sehr gewonnen haben, wenn sie der Dichter subjectiv gehalten,<lb/>
d- h. die Geschichte seiner innern religiösen Entwicklung geschildert hätte. Ge¬<lb/>
genwärtig ist es doch nur eine Sammlung unverarbeiteter Reminiscenzen, mit<lb/>
eignen Einfällen vermehrt, die aber gegen das Empfangene sehr stark abstechen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1250"> Wir gehen zu einer zweiten Episode über, die den größeren Theil des zwei¬<lb/>
ten Bandes ausfüllt und im Grunde ebenso abgeschlossen in sich ist als die erste.<lb/>
Hier treten wir aus dem Nebelreich der Abstraction vollständig heraus und<lb/>
suhlen festen Boden unter den Füßen. Wir können daher prüfen, wie weit<lb/>
Talent des Dichters in der Behandlung concreter Gegenstände ausreicht. &#x2014;<lb/>
Die Scene spielt in Frankfurt zur Zeit des Parlaments. Zwei NeichstagSab-<lb/>
Keordncte, Heinrich und Felir, unterreden sich miteinander über die Hoffnungen<lb/>
^'s deutschen Volks. Bon dem letzteren wird ausgesagt, daß er ein Fürst sei<lb/>
^'"d im Heere des Don Carlos gedient habe. Noch mehre Umstünce kommen hin-<lb/>
iu, die es außer Zweifel setzen, daß hier die Person des Fürsten Felir Lichnowsky<lb/>
ö^meint ist. Heinrich ist ein Idealist, der in dein wirklichen Leben noch wenig<lb/>
Wahrung gemacht hat und sich daher bei dem allgemeinen Aufschwung der<lb/>
Blöder auf die Seite des Radikalismus neigt, doch mit entschiedener Abneigung<lb/>
^gen die rohen Formen, in denen sich diese Richtung gewöhnlich ausprägt.<lb/>
^ gelingt daher dem Fürsten Felir leicht, umsomehr, da er dnrch persönliche<lb/>
Eichungen mit ihm verknüpft ist, ihn vou dieser Seite aus für eine mildere<lb/>
^"fsassuug der bestehenden Verhältnisse zu gewinnen.  Heinrich ist schon halb<lb/>
^ehrt, als die bekannte Emeute ausbricht, in welcher Fürst Lichnowskv auf<lb/>
so schmähliche Weise umgebracht wird.  Der Zorn über die an seinem<lb/>
^'"nde verübte Unthat erregt nun in Heinrich einen leidenschaftlichen Haß ge-<lb/>
die Partei, der er bisher angehörte, und da von der andern Seite seine<lb/>
Fusionen bald getäuscht werden, eine trübe Mißstimmung gegen das politische<lb/>
^ en überhaupt, die sich zuweilen sogar bis zum Selbstmordgedanken steigert.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0415] Wie, wenn sich wie auf ein Gebot Millionen Arme hastig regen Und eine weite Hungersnot!), Der sonst sie scharenweis erlegen, Bekämpfen mit vereinter Macht, Und nun auf hunderttausend Wegen Zusammenströmt die SegcnSsracht Bis von der Erde fernsten Enden: Wer spürte da nicht in den Menschenhänden Das Wirken von dem Hcilandsgeistc, Der die Fünftausend speiste? Wenn ein lichtfreundlicher Prediger auf einen'solchen Einfall käme, so würden wir nichts dagegen einwenden; ins Gedicht gehört er aber unter keiner Bedingung. — Diese ganze Episode, die den größten Theil des dritten Bandes ausfüllt, würde sehr gewonnen haben, wenn sie der Dichter subjectiv gehalten, d- h. die Geschichte seiner innern religiösen Entwicklung geschildert hätte. Ge¬ genwärtig ist es doch nur eine Sammlung unverarbeiteter Reminiscenzen, mit eignen Einfällen vermehrt, die aber gegen das Empfangene sehr stark abstechen. Wir gehen zu einer zweiten Episode über, die den größeren Theil des zwei¬ ten Bandes ausfüllt und im Grunde ebenso abgeschlossen in sich ist als die erste. Hier treten wir aus dem Nebelreich der Abstraction vollständig heraus und suhlen festen Boden unter den Füßen. Wir können daher prüfen, wie weit Talent des Dichters in der Behandlung concreter Gegenstände ausreicht. — Die Scene spielt in Frankfurt zur Zeit des Parlaments. Zwei NeichstagSab- Keordncte, Heinrich und Felir, unterreden sich miteinander über die Hoffnungen ^'s deutschen Volks. Bon dem letzteren wird ausgesagt, daß er ein Fürst sei ^'"d im Heere des Don Carlos gedient habe. Noch mehre Umstünce kommen hin- iu, die es außer Zweifel setzen, daß hier die Person des Fürsten Felir Lichnowsky ö^meint ist. Heinrich ist ein Idealist, der in dein wirklichen Leben noch wenig Wahrung gemacht hat und sich daher bei dem allgemeinen Aufschwung der Blöder auf die Seite des Radikalismus neigt, doch mit entschiedener Abneigung ^gen die rohen Formen, in denen sich diese Richtung gewöhnlich ausprägt. ^ gelingt daher dem Fürsten Felir leicht, umsomehr, da er dnrch persönliche Eichungen mit ihm verknüpft ist, ihn vou dieser Seite aus für eine mildere ^"fsassuug der bestehenden Verhältnisse zu gewinnen. Heinrich ist schon halb ^ehrt, als die bekannte Emeute ausbricht, in welcher Fürst Lichnowskv auf so schmähliche Weise umgebracht wird. Der Zorn über die an seinem ^'"nde verübte Unthat erregt nun in Heinrich einen leidenschaftlichen Haß ge- die Partei, der er bisher angehörte, und da von der andern Seite seine Fusionen bald getäuscht werden, eine trübe Mißstimmung gegen das politische ^ en überhaupt, die sich zuweilen sogar bis zum Selbstmordgedanken steigert.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/415
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/415>, abgerufen am 01.09.2024.