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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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und das Gespräch des Herrn mit Mephistopheles sind in demselben Ton, sogar in
demselben Versmaß reproducirt, aber der Inhalt ist etwas verändert. So z.B.


In unvcrsicgten Wcrdenswonnen
Erhält, o Herr, dein Athemzug
Das All, und Millionen Sonnen
Beginnen ihren Welten flug
In unerschöpflich neuen Arten
Für Millionen, die verglüht;
Denn doppelt hat im Himmelsgarten
- Noch keine Erdenform geblüht.

Ferner, wenn der Herr zum Schluß dem Mephistopheles eröffnet:


Du selber führe meinen Knecht zum Ziele
Und hülle dich ins Flitterkleid
Der tiefen -- Oberflächlichkeit,
Das du gewählt beim heut'gar MaSkcuspiele.
Und mußt du dann beschämt bekennen:
Er ist von mir durch nichts für alle Zeit zu trennen
Und merkt bereits des Weges Spur,
Auf dem er anch als Meister der Natur
Zum höchsten Glauben, neu verklärt,
Und heil'gar Ordnung wiederkehrt:
Dann magst du deinen Groll zu neuen Listen spinnen,
Verdammt in Ewigkeit nur Täuschung zu gewinnen.

Was soll man nun dazu sagen? Wenn wir es wagten, Goethe zu tadeln,
wo wir ihn unsrer sittlichen Ueberzeugung nach tadeln mußten, haben wir das
stets als eine Vermessenheit empfunden. Wir haben gewissermaßen immer um
Verzeihung gebeten, daß wir uns erkühnten, recht zu haben. Aber dem Dichter
auf sein eignes Gebiet zu folgen, ihm in seiner Sprache uachzustammeln, W
gleichsam poetisch zu corrigiren, das scheint uns noch mehr als Vermessenheit
zu sein. -- Nach dein Prolog im Himmel folgt noch ein langes Gespräch Zi¬
schen Faustin und dem Wurzeireißer oder zwischen Faust' und Mephistopheles,
in welchem der letztere sich aus Seiten der Junghegelianer stellt, die das Chn-
stenthum nur als eine pathologische Erscheinung der Menschheit betrachten,
Faustin dagegen sich des Christenthums als einer großen welthistorischen Er¬
scheinung annimmt. Wir treten in dieser Beziehung ganz auf Seiten Faustins
und des Dichters. Wir wünschen dem letzteren Glück dazu, daß er eine frühere
burschikose Aeußerung über das Christenthum, die in die Oeffentlichkeit überging,
und ihrer Zeit viel Aufsehen machte, hier feierlich zurückgenommen hat. Aber
wir können daraus noch nicht die Berechtigung herleiten, einen >an sich g"^
richtigen Gedankengang aus der Prosa in eine scheinbare Poesie zu übersetzen,
umsoweniger, da er die christlichen Gleichnisse und Sagen zuweilen auf eine
ganz sophistische Weise auslegt, z. V.


und das Gespräch des Herrn mit Mephistopheles sind in demselben Ton, sogar in
demselben Versmaß reproducirt, aber der Inhalt ist etwas verändert. So z.B.


In unvcrsicgten Wcrdenswonnen
Erhält, o Herr, dein Athemzug
Das All, und Millionen Sonnen
Beginnen ihren Welten flug
In unerschöpflich neuen Arten
Für Millionen, die verglüht;
Denn doppelt hat im Himmelsgarten
- Noch keine Erdenform geblüht.

Ferner, wenn der Herr zum Schluß dem Mephistopheles eröffnet:


Du selber führe meinen Knecht zum Ziele
Und hülle dich ins Flitterkleid
Der tiefen — Oberflächlichkeit,
Das du gewählt beim heut'gar MaSkcuspiele.
Und mußt du dann beschämt bekennen:
Er ist von mir durch nichts für alle Zeit zu trennen
Und merkt bereits des Weges Spur,
Auf dem er anch als Meister der Natur
Zum höchsten Glauben, neu verklärt,
Und heil'gar Ordnung wiederkehrt:
Dann magst du deinen Groll zu neuen Listen spinnen,
Verdammt in Ewigkeit nur Täuschung zu gewinnen.

Was soll man nun dazu sagen? Wenn wir es wagten, Goethe zu tadeln,
wo wir ihn unsrer sittlichen Ueberzeugung nach tadeln mußten, haben wir das
stets als eine Vermessenheit empfunden. Wir haben gewissermaßen immer um
Verzeihung gebeten, daß wir uns erkühnten, recht zu haben. Aber dem Dichter
auf sein eignes Gebiet zu folgen, ihm in seiner Sprache uachzustammeln, W
gleichsam poetisch zu corrigiren, das scheint uns noch mehr als Vermessenheit
zu sein. — Nach dein Prolog im Himmel folgt noch ein langes Gespräch Zi¬
schen Faustin und dem Wurzeireißer oder zwischen Faust' und Mephistopheles,
in welchem der letztere sich aus Seiten der Junghegelianer stellt, die das Chn-
stenthum nur als eine pathologische Erscheinung der Menschheit betrachten,
Faustin dagegen sich des Christenthums als einer großen welthistorischen Er¬
scheinung annimmt. Wir treten in dieser Beziehung ganz auf Seiten Faustins
und des Dichters. Wir wünschen dem letzteren Glück dazu, daß er eine frühere
burschikose Aeußerung über das Christenthum, die in die Oeffentlichkeit überging,
und ihrer Zeit viel Aufsehen machte, hier feierlich zurückgenommen hat. Aber
wir können daraus noch nicht die Berechtigung herleiten, einen >an sich g"^
richtigen Gedankengang aus der Prosa in eine scheinbare Poesie zu übersetzen,
umsoweniger, da er die christlichen Gleichnisse und Sagen zuweilen auf eine
ganz sophistische Weise auslegt, z. V.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/414>, abgerufen am 27.07.2024.