Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Ziehen wir nun unsre Erinnerungen aus der Frankfurter Zeit zu Rathe,
so ist augenscheinlich, daß der Dichter in dieser Person seinen eignen Charakter
und seine eigne Entwicklung während jener Periode dargestellt hat. Da es
ihm hier mehr darauf ankommt, Principien und Richtungen zu charakterisiren,
als wirkliche Erlebnisse, so ist wol nach beiden Seiten hin idealisirt, aber die
Grundlage der persönlichen Erfahrung ist augenscheinlich. Um nun eine Probe
davon zu geben, wie wunderlich sich die Fäden in diesem Gedicht verknüpft",
fügen wir hinzu, daß Heinrich nicht Herr Wilhelm Jordan, sondern der Gott
Agathodämon ist, der Mensch wurde, um das Verhältniß des Guten und
Bösen im menschlichen Leben an seiner eignen Erfahrung zu prüfen. Wir
wollen die sehr nahe liegende komische Seite dieser Combinationen nicht her¬
vorheben, da die Entstehung derselben leicht erklärlich ist. Herr Jordan hat
seine einzelnen Erfahrungen im Gebiet der Politik, des wissenschaftlichen Lebens,
der Dichtkunst u. s. w. jede für sich durchdacht, vielleicht auch niedergeschrieben,
und hat nachher gefunden, daß sie durch den allegorischen Faden zusammen¬
gehalten und zu einem fortlaufenden Gewebe verknüpft werden könnten. Für
die Episode selbst ist es vollkommen gleichgiltig, ob Heinrich ein verkappter
Gott oder ein flüchtiger Schriftsteller ist; denn seine Erfahrungen sind rein
menschlicher Natur und können nur vom rein menschlichen Standpunkte ge¬
würdigt werden. ,

Als Herr Jordan plötzlich von der demokratischen Partei abfiel, erregte
diese Sinnesänderung, wie stets zu geschehen pflegt, die lebhafteste Entrüstung
bei seinen bisherigen politischen Freunden. Man wurde nicht müde, ihm die
gemeinsten Motive unterzuschieben, und äußere Umstände, die hier nicht zur
Sache gehören, trugen dazu bei, daß auch von Seiten seiner neuen Freunde
dieser Auffassung nicht lebhaft widersprochen wurde. Wir haben damals die
schnelle Umwandlung eines Gemüths, welches eifrig und lebhaft das G"te
sucht, aber zu sehr von augenblicklichen Eindrücken bestimmt wird, sehr erklärlich
gefunden, und wir haben die unschöne Weise, in der sich die neugewonnene
Ueberzeugung von Zeit zu Zeit Luft machte, damit entschuldigt, daß, wenn man
einmal seine Persönlichkeit in dem Gange der allgemeinen Bewegung etwas
mehr, als zur Sache gehört, zur Schau trägt, Rückwirkungen nach beiden
Seiten hin nicht ausbleiben können; daß dann eine Gehässigkeit die andere
nach sich zieht und daß das verletzte Gefühl sich auf Konsequenzen einläßt, du'
der ruhige Verstand niemals billigen würde. Aber was wir von einer gutge-
formten Natur erwarten und verlange", ist, daß nach der Katastrophe eine in¬
nere Reinigung des Gemüths eintritt, daß die persönlichen Beziehungen ver¬
schwinden und daß man eine, wenn auch nicht große, doch stark erregte
in den richtigen Dimensionen empfindet. Leider scheint das bei Herrn Jordan
nicht der Fall zu sein. Wer heute, im Jahre in einem Gedicht, we ^


Ziehen wir nun unsre Erinnerungen aus der Frankfurter Zeit zu Rathe,
so ist augenscheinlich, daß der Dichter in dieser Person seinen eignen Charakter
und seine eigne Entwicklung während jener Periode dargestellt hat. Da es
ihm hier mehr darauf ankommt, Principien und Richtungen zu charakterisiren,
als wirkliche Erlebnisse, so ist wol nach beiden Seiten hin idealisirt, aber die
Grundlage der persönlichen Erfahrung ist augenscheinlich. Um nun eine Probe
davon zu geben, wie wunderlich sich die Fäden in diesem Gedicht verknüpft»,
fügen wir hinzu, daß Heinrich nicht Herr Wilhelm Jordan, sondern der Gott
Agathodämon ist, der Mensch wurde, um das Verhältniß des Guten und
Bösen im menschlichen Leben an seiner eignen Erfahrung zu prüfen. Wir
wollen die sehr nahe liegende komische Seite dieser Combinationen nicht her¬
vorheben, da die Entstehung derselben leicht erklärlich ist. Herr Jordan hat
seine einzelnen Erfahrungen im Gebiet der Politik, des wissenschaftlichen Lebens,
der Dichtkunst u. s. w. jede für sich durchdacht, vielleicht auch niedergeschrieben,
und hat nachher gefunden, daß sie durch den allegorischen Faden zusammen¬
gehalten und zu einem fortlaufenden Gewebe verknüpft werden könnten. Für
die Episode selbst ist es vollkommen gleichgiltig, ob Heinrich ein verkappter
Gott oder ein flüchtiger Schriftsteller ist; denn seine Erfahrungen sind rein
menschlicher Natur und können nur vom rein menschlichen Standpunkte ge¬
würdigt werden. ,

Als Herr Jordan plötzlich von der demokratischen Partei abfiel, erregte
diese Sinnesänderung, wie stets zu geschehen pflegt, die lebhafteste Entrüstung
bei seinen bisherigen politischen Freunden. Man wurde nicht müde, ihm die
gemeinsten Motive unterzuschieben, und äußere Umstände, die hier nicht zur
Sache gehören, trugen dazu bei, daß auch von Seiten seiner neuen Freunde
dieser Auffassung nicht lebhaft widersprochen wurde. Wir haben damals die
schnelle Umwandlung eines Gemüths, welches eifrig und lebhaft das G"te
sucht, aber zu sehr von augenblicklichen Eindrücken bestimmt wird, sehr erklärlich
gefunden, und wir haben die unschöne Weise, in der sich die neugewonnene
Ueberzeugung von Zeit zu Zeit Luft machte, damit entschuldigt, daß, wenn man
einmal seine Persönlichkeit in dem Gange der allgemeinen Bewegung etwas
mehr, als zur Sache gehört, zur Schau trägt, Rückwirkungen nach beiden
Seiten hin nicht ausbleiben können; daß dann eine Gehässigkeit die andere
nach sich zieht und daß das verletzte Gefühl sich auf Konsequenzen einläßt, du'
der ruhige Verstand niemals billigen würde. Aber was wir von einer gutge-
formten Natur erwarten und verlange», ist, daß nach der Katastrophe eine in¬
nere Reinigung des Gemüths eintritt, daß die persönlichen Beziehungen ver¬
schwinden und daß man eine, wenn auch nicht große, doch stark erregte
in den richtigen Dimensionen empfindet. Leider scheint das bei Herrn Jordan
nicht der Fall zu sein. Wer heute, im Jahre in einem Gedicht, we ^


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0416" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/281567"/>
          <p xml:id="ID_1251"> Ziehen wir nun unsre Erinnerungen aus der Frankfurter Zeit zu Rathe,<lb/>
so ist augenscheinlich, daß der Dichter in dieser Person seinen eignen Charakter<lb/>
und seine eigne Entwicklung während jener Periode dargestellt hat. Da es<lb/>
ihm hier mehr darauf ankommt, Principien und Richtungen zu charakterisiren,<lb/>
als wirkliche Erlebnisse, so ist wol nach beiden Seiten hin idealisirt, aber die<lb/>
Grundlage der persönlichen Erfahrung ist augenscheinlich. Um nun eine Probe<lb/>
davon zu geben, wie wunderlich sich die Fäden in diesem Gedicht verknüpft»,<lb/>
fügen wir hinzu, daß Heinrich nicht Herr Wilhelm Jordan, sondern der Gott<lb/>
Agathodämon ist, der Mensch wurde, um das Verhältniß des Guten und<lb/>
Bösen im menschlichen Leben an seiner eignen Erfahrung zu prüfen. Wir<lb/>
wollen die sehr nahe liegende komische Seite dieser Combinationen nicht her¬<lb/>
vorheben, da die Entstehung derselben leicht erklärlich ist. Herr Jordan hat<lb/>
seine einzelnen Erfahrungen im Gebiet der Politik, des wissenschaftlichen Lebens,<lb/>
der Dichtkunst u. s. w. jede für sich durchdacht, vielleicht auch niedergeschrieben,<lb/>
und hat nachher gefunden, daß sie durch den allegorischen Faden zusammen¬<lb/>
gehalten und zu einem fortlaufenden Gewebe verknüpft werden könnten. Für<lb/>
die Episode selbst ist es vollkommen gleichgiltig, ob Heinrich ein verkappter<lb/>
Gott oder ein flüchtiger Schriftsteller ist; denn seine Erfahrungen sind rein<lb/>
menschlicher Natur und können nur vom rein menschlichen Standpunkte ge¬<lb/>
würdigt werden. ,</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1252" next="#ID_1253"> Als Herr Jordan plötzlich von der demokratischen Partei abfiel, erregte<lb/>
diese Sinnesänderung, wie stets zu geschehen pflegt, die lebhafteste Entrüstung<lb/>
bei seinen bisherigen politischen Freunden. Man wurde nicht müde, ihm die<lb/>
gemeinsten Motive unterzuschieben, und äußere Umstände, die hier nicht zur<lb/>
Sache gehören, trugen dazu bei, daß auch von Seiten seiner neuen Freunde<lb/>
dieser Auffassung nicht lebhaft widersprochen wurde. Wir haben damals die<lb/>
schnelle Umwandlung eines Gemüths, welches eifrig und lebhaft das G"te<lb/>
sucht, aber zu sehr von augenblicklichen Eindrücken bestimmt wird, sehr erklärlich<lb/>
gefunden, und wir haben die unschöne Weise, in der sich die neugewonnene<lb/>
Ueberzeugung von Zeit zu Zeit Luft machte, damit entschuldigt, daß, wenn man<lb/>
einmal seine Persönlichkeit in dem Gange der allgemeinen Bewegung etwas<lb/>
mehr, als zur Sache gehört, zur Schau trägt, Rückwirkungen nach beiden<lb/>
Seiten hin nicht ausbleiben können; daß dann eine Gehässigkeit die andere<lb/>
nach sich zieht und daß das verletzte Gefühl sich auf Konsequenzen einläßt, du'<lb/>
der ruhige Verstand niemals billigen würde. Aber was wir von einer gutge-<lb/>
formten Natur erwarten und verlange», ist, daß nach der Katastrophe eine in¬<lb/>
nere Reinigung des Gemüths eintritt, daß die persönlichen Beziehungen ver¬<lb/>
schwinden und daß man eine, wenn auch nicht große, doch stark erregte<lb/>
in den richtigen Dimensionen empfindet. Leider scheint das bei Herrn Jordan<lb/>
nicht der Fall zu sein.  Wer heute, im Jahre in einem Gedicht, we ^</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0416] Ziehen wir nun unsre Erinnerungen aus der Frankfurter Zeit zu Rathe, so ist augenscheinlich, daß der Dichter in dieser Person seinen eignen Charakter und seine eigne Entwicklung während jener Periode dargestellt hat. Da es ihm hier mehr darauf ankommt, Principien und Richtungen zu charakterisiren, als wirkliche Erlebnisse, so ist wol nach beiden Seiten hin idealisirt, aber die Grundlage der persönlichen Erfahrung ist augenscheinlich. Um nun eine Probe davon zu geben, wie wunderlich sich die Fäden in diesem Gedicht verknüpft», fügen wir hinzu, daß Heinrich nicht Herr Wilhelm Jordan, sondern der Gott Agathodämon ist, der Mensch wurde, um das Verhältniß des Guten und Bösen im menschlichen Leben an seiner eignen Erfahrung zu prüfen. Wir wollen die sehr nahe liegende komische Seite dieser Combinationen nicht her¬ vorheben, da die Entstehung derselben leicht erklärlich ist. Herr Jordan hat seine einzelnen Erfahrungen im Gebiet der Politik, des wissenschaftlichen Lebens, der Dichtkunst u. s. w. jede für sich durchdacht, vielleicht auch niedergeschrieben, und hat nachher gefunden, daß sie durch den allegorischen Faden zusammen¬ gehalten und zu einem fortlaufenden Gewebe verknüpft werden könnten. Für die Episode selbst ist es vollkommen gleichgiltig, ob Heinrich ein verkappter Gott oder ein flüchtiger Schriftsteller ist; denn seine Erfahrungen sind rein menschlicher Natur und können nur vom rein menschlichen Standpunkte ge¬ würdigt werden. , Als Herr Jordan plötzlich von der demokratischen Partei abfiel, erregte diese Sinnesänderung, wie stets zu geschehen pflegt, die lebhafteste Entrüstung bei seinen bisherigen politischen Freunden. Man wurde nicht müde, ihm die gemeinsten Motive unterzuschieben, und äußere Umstände, die hier nicht zur Sache gehören, trugen dazu bei, daß auch von Seiten seiner neuen Freunde dieser Auffassung nicht lebhaft widersprochen wurde. Wir haben damals die schnelle Umwandlung eines Gemüths, welches eifrig und lebhaft das G"te sucht, aber zu sehr von augenblicklichen Eindrücken bestimmt wird, sehr erklärlich gefunden, und wir haben die unschöne Weise, in der sich die neugewonnene Ueberzeugung von Zeit zu Zeit Luft machte, damit entschuldigt, daß, wenn man einmal seine Persönlichkeit in dem Gange der allgemeinen Bewegung etwas mehr, als zur Sache gehört, zur Schau trägt, Rückwirkungen nach beiden Seiten hin nicht ausbleiben können; daß dann eine Gehässigkeit die andere nach sich zieht und daß das verletzte Gefühl sich auf Konsequenzen einläßt, du' der ruhige Verstand niemals billigen würde. Aber was wir von einer gutge- formten Natur erwarten und verlange», ist, daß nach der Katastrophe eine in¬ nere Reinigung des Gemüths eintritt, daß die persönlichen Beziehungen ver¬ schwinden und daß man eine, wenn auch nicht große, doch stark erregte in den richtigen Dimensionen empfindet. Leider scheint das bei Herrn Jordan nicht der Fall zu sein. Wer heute, im Jahre in einem Gedicht, we ^

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/416
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/416>, abgerufen am 27.07.2024.