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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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daß sein Gegner einst seiner Rache entzogen wird: das sind Begriffe, die wir
mit unsrer Vorstellung von der Gottheit umsoweniger zusammenreimen können,
da der streng religiöse Dichter es wagte, sie in einer religiösen Feier öffentlich
auszusprechen. Es kann uns natürlich nicht einfallen, eine Vorahnung des
Christenthums darin zu finden; aber den spätern Ausgang in diese Empfin¬
dungen symbolisch hineinspielen zu lassen, können wir uns nicht erwehren. --
Das Buch Hiob ist seinerseits eine ebenso merkwürdige Erscheinung innerhalb
des alten Testaments, als der Prometheus innerhalb der griechischen Mytho¬
logie, denn strenger als irgendeine andere Religion ist deo Jehovaglaube auf
Autorität gegründet, und bei jeder vermessenen Frage ist der Blitz des All¬
mächtigen bei der Hand, dem Zweifel durch Vernichtung Ruhe zu gebieten.
Jehova ist ein starker, eifriger Gott, der nur Feinde und Gläubige kennt, und
der es verschmäht, sich vor den letztern anders als durch Wunder oder Gesetze
zu erpliciren. Das Buch Hiob ist aber die entschiedenste Auflehnung gegen
diese Autorität. Zwar wird Gott zum Schluß gerechtfertigt, aber das hebt die
Härte der früheren Anklagen, die nach dem religiösen Gefühl der Juden als
Blasphemien betrachtet werden mußten, nicht auf, und dabei ist doch wieder
uicht zu verkennen, daß diese Anklagen Gottes, so sehr sie der religiösen Sitte
widersprechen, dennoch aus dem innersten Wesen des religiösen und nationalen
Bewußtseins herausgeschöpft zu sein scheinen. -- Der Faust gehört nur ganz
Uneigentlich in diese Reihe, er ist nicht aus einer bestimmten Religion hervor¬
gegangen, auch nicht gegen eine bestimmte Religion gerichtet. Denn wenn
"Ach viel christliches Costüm darin vorkommt, so hat doch der Gott, der sich
Mit dem Mephistopheles unterredet, mit dem christlichen Gott so wenig zu
schaffen, als der Gott, den Faust mit den Worten beschreibt: Wer darf ihn
kennen, und wer bekennen u. s. w. -- so wenig als beide miteinander zu
^Haffen haben. Ueberhaupt sind diejenigen Stellen im Faust, in denen man
allenfalls eine Theodicee finden könnte, bei weitem die schwächsten und unbe¬
deutendsten. Sie formuliren nicht einmal einen bestimmten Gegensatz des Be¬
wußtseins gegen das religiöse Gefühl, denn sie sind ganz individueller Natur.

Nun erhebt sich aber vor allem die Frage, was hat sich Herr Jordan
^gentiles dabei gedacht, als er diese Dichtungen, die doch theils im Original,
theils in Uebersetzungen in aller Händen sind, in seine eigne Dichtung wieder
aufnahm, da doch ein Hinweis vollkommen genügt hätte? Es ist das ein
Beleg zu Epigonenthum dieses Versuchs, auf das wir im Früheren hinge¬
deutet haben. Die beiden ersten Stücke sind zwar frei übersetzt, es ist vieles
^gelassen, manches modernisirt, aber es ist doch wesentlich Reproduction.
Bei einem Werk, welches in einer fremden Sprache geschrieben ist, kann man
>ich wenigstens den Zweck einer solchen Arbeit vorstellen. Ganz wunderlich aber
'se die Reproduction des Faust. Der Prolog im Himmel, der Chor der Engel


daß sein Gegner einst seiner Rache entzogen wird: das sind Begriffe, die wir
mit unsrer Vorstellung von der Gottheit umsoweniger zusammenreimen können,
da der streng religiöse Dichter es wagte, sie in einer religiösen Feier öffentlich
auszusprechen. Es kann uns natürlich nicht einfallen, eine Vorahnung des
Christenthums darin zu finden; aber den spätern Ausgang in diese Empfin¬
dungen symbolisch hineinspielen zu lassen, können wir uns nicht erwehren. —
Das Buch Hiob ist seinerseits eine ebenso merkwürdige Erscheinung innerhalb
des alten Testaments, als der Prometheus innerhalb der griechischen Mytho¬
logie, denn strenger als irgendeine andere Religion ist deo Jehovaglaube auf
Autorität gegründet, und bei jeder vermessenen Frage ist der Blitz des All¬
mächtigen bei der Hand, dem Zweifel durch Vernichtung Ruhe zu gebieten.
Jehova ist ein starker, eifriger Gott, der nur Feinde und Gläubige kennt, und
der es verschmäht, sich vor den letztern anders als durch Wunder oder Gesetze
zu erpliciren. Das Buch Hiob ist aber die entschiedenste Auflehnung gegen
diese Autorität. Zwar wird Gott zum Schluß gerechtfertigt, aber das hebt die
Härte der früheren Anklagen, die nach dem religiösen Gefühl der Juden als
Blasphemien betrachtet werden mußten, nicht auf, und dabei ist doch wieder
uicht zu verkennen, daß diese Anklagen Gottes, so sehr sie der religiösen Sitte
widersprechen, dennoch aus dem innersten Wesen des religiösen und nationalen
Bewußtseins herausgeschöpft zu sein scheinen. — Der Faust gehört nur ganz
Uneigentlich in diese Reihe, er ist nicht aus einer bestimmten Religion hervor¬
gegangen, auch nicht gegen eine bestimmte Religion gerichtet. Denn wenn
"Ach viel christliches Costüm darin vorkommt, so hat doch der Gott, der sich
Mit dem Mephistopheles unterredet, mit dem christlichen Gott so wenig zu
schaffen, als der Gott, den Faust mit den Worten beschreibt: Wer darf ihn
kennen, und wer bekennen u. s. w. — so wenig als beide miteinander zu
^Haffen haben. Ueberhaupt sind diejenigen Stellen im Faust, in denen man
allenfalls eine Theodicee finden könnte, bei weitem die schwächsten und unbe¬
deutendsten. Sie formuliren nicht einmal einen bestimmten Gegensatz des Be¬
wußtseins gegen das religiöse Gefühl, denn sie sind ganz individueller Natur.

Nun erhebt sich aber vor allem die Frage, was hat sich Herr Jordan
^gentiles dabei gedacht, als er diese Dichtungen, die doch theils im Original,
theils in Uebersetzungen in aller Händen sind, in seine eigne Dichtung wieder
aufnahm, da doch ein Hinweis vollkommen genügt hätte? Es ist das ein
Beleg zu Epigonenthum dieses Versuchs, auf das wir im Früheren hinge¬
deutet haben. Die beiden ersten Stücke sind zwar frei übersetzt, es ist vieles
^gelassen, manches modernisirt, aber es ist doch wesentlich Reproduction.
Bei einem Werk, welches in einer fremden Sprache geschrieben ist, kann man
>ich wenigstens den Zweck einer solchen Arbeit vorstellen. Ganz wunderlich aber
'se die Reproduction des Faust. Der Prolog im Himmel, der Chor der Engel


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[0413] daß sein Gegner einst seiner Rache entzogen wird: das sind Begriffe, die wir mit unsrer Vorstellung von der Gottheit umsoweniger zusammenreimen können, da der streng religiöse Dichter es wagte, sie in einer religiösen Feier öffentlich auszusprechen. Es kann uns natürlich nicht einfallen, eine Vorahnung des Christenthums darin zu finden; aber den spätern Ausgang in diese Empfin¬ dungen symbolisch hineinspielen zu lassen, können wir uns nicht erwehren. — Das Buch Hiob ist seinerseits eine ebenso merkwürdige Erscheinung innerhalb des alten Testaments, als der Prometheus innerhalb der griechischen Mytho¬ logie, denn strenger als irgendeine andere Religion ist deo Jehovaglaube auf Autorität gegründet, und bei jeder vermessenen Frage ist der Blitz des All¬ mächtigen bei der Hand, dem Zweifel durch Vernichtung Ruhe zu gebieten. Jehova ist ein starker, eifriger Gott, der nur Feinde und Gläubige kennt, und der es verschmäht, sich vor den letztern anders als durch Wunder oder Gesetze zu erpliciren. Das Buch Hiob ist aber die entschiedenste Auflehnung gegen diese Autorität. Zwar wird Gott zum Schluß gerechtfertigt, aber das hebt die Härte der früheren Anklagen, die nach dem religiösen Gefühl der Juden als Blasphemien betrachtet werden mußten, nicht auf, und dabei ist doch wieder uicht zu verkennen, daß diese Anklagen Gottes, so sehr sie der religiösen Sitte widersprechen, dennoch aus dem innersten Wesen des religiösen und nationalen Bewußtseins herausgeschöpft zu sein scheinen. — Der Faust gehört nur ganz Uneigentlich in diese Reihe, er ist nicht aus einer bestimmten Religion hervor¬ gegangen, auch nicht gegen eine bestimmte Religion gerichtet. Denn wenn "Ach viel christliches Costüm darin vorkommt, so hat doch der Gott, der sich Mit dem Mephistopheles unterredet, mit dem christlichen Gott so wenig zu schaffen, als der Gott, den Faust mit den Worten beschreibt: Wer darf ihn kennen, und wer bekennen u. s. w. — so wenig als beide miteinander zu ^Haffen haben. Ueberhaupt sind diejenigen Stellen im Faust, in denen man allenfalls eine Theodicee finden könnte, bei weitem die schwächsten und unbe¬ deutendsten. Sie formuliren nicht einmal einen bestimmten Gegensatz des Be¬ wußtseins gegen das religiöse Gefühl, denn sie sind ganz individueller Natur. Nun erhebt sich aber vor allem die Frage, was hat sich Herr Jordan ^gentiles dabei gedacht, als er diese Dichtungen, die doch theils im Original, theils in Uebersetzungen in aller Händen sind, in seine eigne Dichtung wieder aufnahm, da doch ein Hinweis vollkommen genügt hätte? Es ist das ein Beleg zu Epigonenthum dieses Versuchs, auf das wir im Früheren hinge¬ deutet haben. Die beiden ersten Stücke sind zwar frei übersetzt, es ist vieles ^gelassen, manches modernisirt, aber es ist doch wesentlich Reproduction. Bei einem Werk, welches in einer fremden Sprache geschrieben ist, kann man >ich wenigstens den Zweck einer solchen Arbeit vorstellen. Ganz wunderlich aber 'se die Reproduction des Faust. Der Prolog im Himmel, der Chor der Engel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/413>, abgerufen am 27.07.2024.