Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ist das Bild ärmer an hervorragenden Punkten; aber das Häusermeer, die
Unzahl der Straßen im amphitheatralischen Uebereinander, treten hier massen¬
haft auf. Schon überragen sie einige Dampsschornsteine von neu etablirten
Fabriken und lassen die schwarze Rauchsäule über ihnen aufsteigen.

Die Brücke ist an derjenigen Stelle des goldenen Hornes erbaut, wo dieses
am schmalsten ist, aber man geht wol tausend Schritt um hinübcrzugclangen.
Wenn man auf dem anderen Ufer, d. h. auf dem Boden des eigentlichen
Stambul angelangt ist, befindet man sich auf einer Art aus Bobi- und
Pfahlwerk improvisierten Kai, der ober- und unterhalb den Schiffen zum An¬
legeplatz dient, und hier etwas erweitert ist. Wir wenden uns links, steigen
eine enge Treppe mit verfallenen Stufen hinan, gehen über den Vorhof einer
Moschee und befinden uns alsbald in dem wirren Straßennetz des eigentlichen
Konstantinopel.

Man kann nicht leugnen, daß Stambul eine wesentlich andere Physio¬
gnomie wie Galata oder gar Pera zur Schau trägt. Während in den letzteren
beiden Städten der Handel und fränkisches Wesen vorherrschen, hat hier das
Türkenthum und die orientalische Sitte unbestrittene Vorrechte. Jeder Tritt
fast den man thut führt uns an einem Merkmal vorüber, welches verkündet,
daß wir hier im Mittelpunkte des osmanischen Reiches uns befinden. Hier
ist classischer Boden. Hier intriguirten und stritten Grüne und Blaue wider¬
einander; nicht weit von uns haben wir den Hypodrom, in gewissem Sinne
das vormalige Forum von Ostrom. Die Gassen sind mit breiten .runden
Steinen gepflastert, die man jedesmal, wenn eine Feuersbrunst gewüthet, aus dem
Schütte sorfältig hervorgeholt hat, während dieser liegen blieb und das Niveau
der Straßen nach und nach erhöhte. Hier und da sieht man noch einen jener
herrenlosen Hunde, die in früheren Zeiten die Straßen massenweise bevölkerten
und wörtlich die Passage erschwerten. Von Jahr zu Jahr wird ihre Zahl
geringer, und wenn sich nicht in demselben Maße die Reinlichkeit auf den
Gassen mehren wird, so mag in Zukunft ein Zeitpunkt eintreten, wo man die
Hunde als Vertilger mancherlei umherliegenden Fleisches von geschlachteten
und crepirten Thieren sehnlich zurückwünschen wird. Jemehr die Hunde sich
verminderten, desto größer wurde indeß die Zahl der Geier und anderer Raub¬
vögel, welche ohne Unterlaß über Stambul schweben, und sich auch bei Tage
erdreisten, in die weniger belebten Straßen hinunterzukommen. Um die todten
Pferde und Esel, die namentlich längs der großen Mauer zu liegen pflegen,
um demnächst zum Thore hinausgeschafft und in die See versenkt zu werden,
haben sie schon jetzt einen Kampf mit den Hunden begonnen, die sonst der¬
artige Beute allein in Anspruch nahmen, und wie die Dinge nun stehen, kann
es kaum einem Zweifel noch unterliegen, welche Partei letztlich siegen wird.

Endlich gelangen wir in eine ziemlich steil ansteigende Gasse; die-


ist das Bild ärmer an hervorragenden Punkten; aber das Häusermeer, die
Unzahl der Straßen im amphitheatralischen Uebereinander, treten hier massen¬
haft auf. Schon überragen sie einige Dampsschornsteine von neu etablirten
Fabriken und lassen die schwarze Rauchsäule über ihnen aufsteigen.

Die Brücke ist an derjenigen Stelle des goldenen Hornes erbaut, wo dieses
am schmalsten ist, aber man geht wol tausend Schritt um hinübcrzugclangen.
Wenn man auf dem anderen Ufer, d. h. auf dem Boden des eigentlichen
Stambul angelangt ist, befindet man sich auf einer Art aus Bobi- und
Pfahlwerk improvisierten Kai, der ober- und unterhalb den Schiffen zum An¬
legeplatz dient, und hier etwas erweitert ist. Wir wenden uns links, steigen
eine enge Treppe mit verfallenen Stufen hinan, gehen über den Vorhof einer
Moschee und befinden uns alsbald in dem wirren Straßennetz des eigentlichen
Konstantinopel.

Man kann nicht leugnen, daß Stambul eine wesentlich andere Physio¬
gnomie wie Galata oder gar Pera zur Schau trägt. Während in den letzteren
beiden Städten der Handel und fränkisches Wesen vorherrschen, hat hier das
Türkenthum und die orientalische Sitte unbestrittene Vorrechte. Jeder Tritt
fast den man thut führt uns an einem Merkmal vorüber, welches verkündet,
daß wir hier im Mittelpunkte des osmanischen Reiches uns befinden. Hier
ist classischer Boden. Hier intriguirten und stritten Grüne und Blaue wider¬
einander; nicht weit von uns haben wir den Hypodrom, in gewissem Sinne
das vormalige Forum von Ostrom. Die Gassen sind mit breiten .runden
Steinen gepflastert, die man jedesmal, wenn eine Feuersbrunst gewüthet, aus dem
Schütte sorfältig hervorgeholt hat, während dieser liegen blieb und das Niveau
der Straßen nach und nach erhöhte. Hier und da sieht man noch einen jener
herrenlosen Hunde, die in früheren Zeiten die Straßen massenweise bevölkerten
und wörtlich die Passage erschwerten. Von Jahr zu Jahr wird ihre Zahl
geringer, und wenn sich nicht in demselben Maße die Reinlichkeit auf den
Gassen mehren wird, so mag in Zukunft ein Zeitpunkt eintreten, wo man die
Hunde als Vertilger mancherlei umherliegenden Fleisches von geschlachteten
und crepirten Thieren sehnlich zurückwünschen wird. Jemehr die Hunde sich
verminderten, desto größer wurde indeß die Zahl der Geier und anderer Raub¬
vögel, welche ohne Unterlaß über Stambul schweben, und sich auch bei Tage
erdreisten, in die weniger belebten Straßen hinunterzukommen. Um die todten
Pferde und Esel, die namentlich längs der großen Mauer zu liegen pflegen,
um demnächst zum Thore hinausgeschafft und in die See versenkt zu werden,
haben sie schon jetzt einen Kampf mit den Hunden begonnen, die sonst der¬
artige Beute allein in Anspruch nahmen, und wie die Dinge nun stehen, kann
es kaum einem Zweifel noch unterliegen, welche Partei letztlich siegen wird.

Endlich gelangen wir in eine ziemlich steil ansteigende Gasse; die-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0039" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/281189"/>
          <p xml:id="ID_97" prev="#ID_96"> ist das Bild ärmer an hervorragenden Punkten; aber das Häusermeer, die<lb/>
Unzahl der Straßen im amphitheatralischen Uebereinander, treten hier massen¬<lb/>
haft auf. Schon überragen sie einige Dampsschornsteine von neu etablirten<lb/>
Fabriken und lassen die schwarze Rauchsäule über ihnen aufsteigen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_98"> Die Brücke ist an derjenigen Stelle des goldenen Hornes erbaut, wo dieses<lb/>
am schmalsten ist, aber man geht wol tausend Schritt um hinübcrzugclangen.<lb/>
Wenn man auf dem anderen Ufer, d. h. auf dem Boden des eigentlichen<lb/>
Stambul angelangt ist, befindet man sich auf einer Art aus Bobi- und<lb/>
Pfahlwerk improvisierten Kai, der ober- und unterhalb den Schiffen zum An¬<lb/>
legeplatz dient, und hier etwas erweitert ist. Wir wenden uns links, steigen<lb/>
eine enge Treppe mit verfallenen Stufen hinan, gehen über den Vorhof einer<lb/>
Moschee und befinden uns alsbald in dem wirren Straßennetz des eigentlichen<lb/>
Konstantinopel.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_99"> Man kann nicht leugnen, daß Stambul eine wesentlich andere Physio¬<lb/>
gnomie wie Galata oder gar Pera zur Schau trägt. Während in den letzteren<lb/>
beiden Städten der Handel und fränkisches Wesen vorherrschen, hat hier das<lb/>
Türkenthum und die orientalische Sitte unbestrittene Vorrechte.  Jeder Tritt<lb/>
fast den man thut führt uns an einem Merkmal vorüber, welches verkündet,<lb/>
daß wir hier im Mittelpunkte des osmanischen Reiches uns befinden. Hier<lb/>
ist classischer Boden.  Hier intriguirten und stritten Grüne und Blaue wider¬<lb/>
einander; nicht weit von uns haben wir den Hypodrom, in gewissem Sinne<lb/>
das vormalige Forum von Ostrom.  Die Gassen sind mit breiten .runden<lb/>
Steinen gepflastert, die man jedesmal, wenn eine Feuersbrunst gewüthet, aus dem<lb/>
Schütte sorfältig hervorgeholt hat, während dieser liegen blieb und das Niveau<lb/>
der Straßen nach und nach erhöhte.  Hier und da sieht man noch einen jener<lb/>
herrenlosen Hunde, die in früheren Zeiten die Straßen massenweise bevölkerten<lb/>
und wörtlich die Passage erschwerten.  Von Jahr zu Jahr wird ihre Zahl<lb/>
geringer, und wenn sich nicht in demselben Maße die Reinlichkeit auf den<lb/>
Gassen mehren wird, so mag in Zukunft ein Zeitpunkt eintreten, wo man die<lb/>
Hunde als Vertilger mancherlei umherliegenden Fleisches von geschlachteten<lb/>
und crepirten Thieren sehnlich zurückwünschen wird.  Jemehr die Hunde sich<lb/>
verminderten, desto größer wurde indeß die Zahl der Geier und anderer Raub¬<lb/>
vögel, welche ohne Unterlaß über Stambul schweben, und sich auch bei Tage<lb/>
erdreisten, in die weniger belebten Straßen hinunterzukommen. Um die todten<lb/>
Pferde und Esel, die namentlich längs der großen Mauer zu liegen pflegen,<lb/>
um demnächst zum Thore hinausgeschafft und in die See versenkt zu werden,<lb/>
haben sie schon jetzt einen Kampf mit den Hunden begonnen, die sonst der¬<lb/>
artige Beute allein in Anspruch nahmen, und wie die Dinge nun stehen, kann<lb/>
es kaum einem Zweifel noch unterliegen, welche Partei letztlich siegen wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_100" next="#ID_101"> Endlich gelangen wir in eine ziemlich steil ansteigende Gasse; die-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0039] ist das Bild ärmer an hervorragenden Punkten; aber das Häusermeer, die Unzahl der Straßen im amphitheatralischen Uebereinander, treten hier massen¬ haft auf. Schon überragen sie einige Dampsschornsteine von neu etablirten Fabriken und lassen die schwarze Rauchsäule über ihnen aufsteigen. Die Brücke ist an derjenigen Stelle des goldenen Hornes erbaut, wo dieses am schmalsten ist, aber man geht wol tausend Schritt um hinübcrzugclangen. Wenn man auf dem anderen Ufer, d. h. auf dem Boden des eigentlichen Stambul angelangt ist, befindet man sich auf einer Art aus Bobi- und Pfahlwerk improvisierten Kai, der ober- und unterhalb den Schiffen zum An¬ legeplatz dient, und hier etwas erweitert ist. Wir wenden uns links, steigen eine enge Treppe mit verfallenen Stufen hinan, gehen über den Vorhof einer Moschee und befinden uns alsbald in dem wirren Straßennetz des eigentlichen Konstantinopel. Man kann nicht leugnen, daß Stambul eine wesentlich andere Physio¬ gnomie wie Galata oder gar Pera zur Schau trägt. Während in den letzteren beiden Städten der Handel und fränkisches Wesen vorherrschen, hat hier das Türkenthum und die orientalische Sitte unbestrittene Vorrechte. Jeder Tritt fast den man thut führt uns an einem Merkmal vorüber, welches verkündet, daß wir hier im Mittelpunkte des osmanischen Reiches uns befinden. Hier ist classischer Boden. Hier intriguirten und stritten Grüne und Blaue wider¬ einander; nicht weit von uns haben wir den Hypodrom, in gewissem Sinne das vormalige Forum von Ostrom. Die Gassen sind mit breiten .runden Steinen gepflastert, die man jedesmal, wenn eine Feuersbrunst gewüthet, aus dem Schütte sorfältig hervorgeholt hat, während dieser liegen blieb und das Niveau der Straßen nach und nach erhöhte. Hier und da sieht man noch einen jener herrenlosen Hunde, die in früheren Zeiten die Straßen massenweise bevölkerten und wörtlich die Passage erschwerten. Von Jahr zu Jahr wird ihre Zahl geringer, und wenn sich nicht in demselben Maße die Reinlichkeit auf den Gassen mehren wird, so mag in Zukunft ein Zeitpunkt eintreten, wo man die Hunde als Vertilger mancherlei umherliegenden Fleisches von geschlachteten und crepirten Thieren sehnlich zurückwünschen wird. Jemehr die Hunde sich verminderten, desto größer wurde indeß die Zahl der Geier und anderer Raub¬ vögel, welche ohne Unterlaß über Stambul schweben, und sich auch bei Tage erdreisten, in die weniger belebten Straßen hinunterzukommen. Um die todten Pferde und Esel, die namentlich längs der großen Mauer zu liegen pflegen, um demnächst zum Thore hinausgeschafft und in die See versenkt zu werden, haben sie schon jetzt einen Kampf mit den Hunden begonnen, die sonst der¬ artige Beute allein in Anspruch nahmen, und wie die Dinge nun stehen, kann es kaum einem Zweifel noch unterliegen, welche Partei letztlich siegen wird. Endlich gelangen wir in eine ziemlich steil ansteigende Gasse; die-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/39
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/39>, abgerufen am 27.07.2024.