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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Freunden ein Exemplar des Werther zuschickt. Er thut dies in der völligster
Arglosigkeit und fest überzeugt, ihnen damit ein Liebesgeschenk zu machen.
Die Antwort Kestners muß ihn freilich darüber enttäuschen. "Euer Werther
würde mir großes Vergnügen machen können, da er mich an manche interessante
Scene und Begebenheit erinnern könnte. So aber, wie er da ist, hat er mich,
in gewissem Betracht, schlecht erbauet. Jahr wißt, ich rede gern, wie es mir ist.
Ihr habt zwar in jede Person etwas Fremdes gewebt, oder mehre in eine ge¬
schmolzen. Das ließ ich schon gelten. Aber wenn Ihr bei dem Verweben
und Zusammenschmelzen Euer Herz ein wenig anrathen lassen, so würden die
wirklichen Personen, von denen Ihr Züge entlehnet, nicht dabei so prostituirt
sein. Ihr wolltet nach der Natur zeichnen, um Wahrheit in das Gemälde zu
bringen; und doch habt Ihr soviel Widersprechendes zusammengesetzt, daß Ihr
grade Euren Zweck verfehlt habt. Der Herr Autor wird sich hiergegen em¬
pören, aber ich halte mich an die Wirklichkeit und an die Wahrheit selbst,
wenn ich urtheile, daß der Maler gefehlt hat.......Die wirkliche Lotte,
deren Freund Ihr doch sein wollt, ist in Eurem Gemälde, das zuviel von ihr
enthält, um nicht auf sie stark zu deuten, ist, sag ich -- doch nein, ich will
es nicht sagen, es schmerzt mich schon zu sehr, daß ichs denke. Und Lottens
Mann, Ihr nanntet ihn Euren Freund, und Gott weiß, daß er es war, ist
mit ihr -- Und das elende Geschöpf von einem Albert! Mag es immer ein
eignes, nicht copirtes Gemälde sein sollen, so hat es doch von einem Original
wieder solche Züge (zwar nur von der Außenseite, und Gott seis gedankt, nur
von der Außenseite), daß man leicht auf den wirklichen fallen kann. Und wenn
Ihr ihn so haben wolltet, müßtet Ihr ihn zu so einem Klotze machen? Damit
Ihr etwa auf ihn stolz hintreten und sagen könntet, seht, was ich für ein
Kerl bin!" --

Man wird dieser Auffassung eine volle Berechtigung nicht absprechen kön¬
nen, umsomehr, wenn man erfährt, daß Kestner andern gegenüber kurze Zeit
darauf den Dichter auf das entschiedenste vertheidigt. Goethe ist im ersten
Augenblick bestürzt und betäubt, aber schon im nächsten Briefe (2-1. novem-
^ 1774) erhebt er sich zum vollen Gefühl seines dichterischen Berufs: "O,
^hr Kleingläubigen! Könntet Ihr den tausendsten Theil fühlen, was Werther
^usent Herzen ist, Ihr würdet die Unkosten nicht berechnen, die Ihr dazu her¬
geht!......Ich wollte um meines eignen Lebens Gefahr willen Werther
"'ehe zurückrufen, und glaube mir, Deine Besorgnisse schwinden wie Gespenster
Nacht, wenn Du Geduld hast, und dann verspreche ich Euch, alles, was
"°es übrig ist, wie Verdacht, Mißdeutung u. f. w., im schwätzender Publicum,
obgleich das eine Herde Schweine ist, auszulöschen, wie ein reiner Nordwind Nebel
Und Duft. - Werther muß -- muß sein! - Ihr fühlt ihn nicht. Ihr fühlt nur
"u'es und Euch. Und was Ihr angeklebt heißt, und trotz Euch und Andern


Freunden ein Exemplar des Werther zuschickt. Er thut dies in der völligster
Arglosigkeit und fest überzeugt, ihnen damit ein Liebesgeschenk zu machen.
Die Antwort Kestners muß ihn freilich darüber enttäuschen. „Euer Werther
würde mir großes Vergnügen machen können, da er mich an manche interessante
Scene und Begebenheit erinnern könnte. So aber, wie er da ist, hat er mich,
in gewissem Betracht, schlecht erbauet. Jahr wißt, ich rede gern, wie es mir ist.
Ihr habt zwar in jede Person etwas Fremdes gewebt, oder mehre in eine ge¬
schmolzen. Das ließ ich schon gelten. Aber wenn Ihr bei dem Verweben
und Zusammenschmelzen Euer Herz ein wenig anrathen lassen, so würden die
wirklichen Personen, von denen Ihr Züge entlehnet, nicht dabei so prostituirt
sein. Ihr wolltet nach der Natur zeichnen, um Wahrheit in das Gemälde zu
bringen; und doch habt Ihr soviel Widersprechendes zusammengesetzt, daß Ihr
grade Euren Zweck verfehlt habt. Der Herr Autor wird sich hiergegen em¬
pören, aber ich halte mich an die Wirklichkeit und an die Wahrheit selbst,
wenn ich urtheile, daß der Maler gefehlt hat.......Die wirkliche Lotte,
deren Freund Ihr doch sein wollt, ist in Eurem Gemälde, das zuviel von ihr
enthält, um nicht auf sie stark zu deuten, ist, sag ich — doch nein, ich will
es nicht sagen, es schmerzt mich schon zu sehr, daß ichs denke. Und Lottens
Mann, Ihr nanntet ihn Euren Freund, und Gott weiß, daß er es war, ist
mit ihr — Und das elende Geschöpf von einem Albert! Mag es immer ein
eignes, nicht copirtes Gemälde sein sollen, so hat es doch von einem Original
wieder solche Züge (zwar nur von der Außenseite, und Gott seis gedankt, nur
von der Außenseite), daß man leicht auf den wirklichen fallen kann. Und wenn
Ihr ihn so haben wolltet, müßtet Ihr ihn zu so einem Klotze machen? Damit
Ihr etwa auf ihn stolz hintreten und sagen könntet, seht, was ich für ein
Kerl bin!" —

Man wird dieser Auffassung eine volle Berechtigung nicht absprechen kön¬
nen, umsomehr, wenn man erfährt, daß Kestner andern gegenüber kurze Zeit
darauf den Dichter auf das entschiedenste vertheidigt. Goethe ist im ersten
Augenblick bestürzt und betäubt, aber schon im nächsten Briefe (2-1. novem-
^ 1774) erhebt er sich zum vollen Gefühl seines dichterischen Berufs: „O,
^hr Kleingläubigen! Könntet Ihr den tausendsten Theil fühlen, was Werther
^usent Herzen ist, Ihr würdet die Unkosten nicht berechnen, die Ihr dazu her¬
geht!......Ich wollte um meines eignen Lebens Gefahr willen Werther
"'ehe zurückrufen, und glaube mir, Deine Besorgnisse schwinden wie Gespenster
Nacht, wenn Du Geduld hast, und dann verspreche ich Euch, alles, was
"°es übrig ist, wie Verdacht, Mißdeutung u. f. w., im schwätzender Publicum,
obgleich das eine Herde Schweine ist, auszulöschen, wie ein reiner Nordwind Nebel
Und Duft. - Werther muß — muß sein! - Ihr fühlt ihn nicht. Ihr fühlt nur
"u'es und Euch. Und was Ihr angeklebt heißt, und trotz Euch und Andern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/375>, abgerufen am 01.09.2024.