Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

mußte; aber seine eignen leidenschaftlichen Nebcrwallungen werden dadurch
keineswegs gerechtfertigt, daß er sie in das Gewand leidenschaftloser Dialektik
hüllte. Wer aufmerksam den Briefwechsel zwischen beiden verfolgt, wird Fichte
von einer gewissen Rohheit der Empfindung nicht freisprechen können.

Seine Verbindung mit den Romantikern wurde noch durch seine person-
liehen Verhältnisse gefördert. Schon in Jena hatte man ihm angedeutet, daß
Berlin eine angemessene Zuflucht sür ihn sein würde. Friedrich Schlegel,
'der sich damals in der preußischen Residenz aufhielt, in jenen geistreich über¬
schwenglichen Enkeln, die für die Propaganda der Romantik so wichtig ge¬
worden sind, forderte ihn dringend auf, sich überzusiedeln, und Fichte, der
dem Rathe folgte, fand in der That kein Hinderniß, obgleich ihn von Zeit zu
Zeit die Träume einer allgemeinen Verfolgung noch immer beängstigten. In
Berlin war nun zuerst Friedrich Schlegel sein einziger Umgang, und so erlebte
man das seltsame Geschick, daß der Philosoph der absoluten Moral in dem
liederlichen Lucindenkreise-heimisch wurde. Schlegel lebte damals mit Dorothee
Veit zusammen, die sich von ihrem Mann getrennt hatte, die er aber als Jüdin
nicht heirathen konnte. Schleiermacher, sein nächster Freund und Apologet
der "Lucinde", stand in einem ähnlichen Verhältniß, und unter den geistvollen,
namentlich jüdischen Damen, die -.ins Publicum dieser Schule bildeten, herrschte
eine Virtuosität in Liebesempfindungen und eine Gleichgiltigkeit gegen Regel
und Gesetz, wo sie der unmittelbaren Empfindung widersprachen, daß Fichte
eigentlich aufs ärgste dadurch hätte verletzt werden müssen. Aber Fichte fand
sich unerwartet schnell hinein und gewann dadurch die Begeisterung jener
Geistreichen.*)

Noch im Jahre 1799 verließ Friedr. Schlegel mit seiner Geliebten Berlin;
dafür siedelte sich sein Bruder daselbst an. Die Verbindung zwischen beiden
wurde namentlich durch das Le b an Nicol al s gefördert, welches Fichte schrieb
und Schlegel 1801 herausgab. Nicolai hatte es zuletzt dahin gebracht, daß
Dichter, Philosophen, Geschichtschreiber, kurz alles, was überhaupt etwas lei¬
stete, um so bitterer gegen ihn gestimmt wurden, da er im Publicum einen
großen Anhang hatte. Bereits die -keinen waren über ihn hergefallen. Fichtes
Schrift hatte den Vorzug einer seltnen Grobheit und war gründlich genug,
wenn man auch einer polemischen Schrift.einige Uebertreibungen zugutehaltcn
'"uß. In der Form war sie verfehlt, sie sprach nicht die Superiorität einer



") Um dies- Stimmung zu fassen, vergleiche man eine" Brief der Rahel, der freilich "in
paar Jahre spater ist iNahel I, S. 31-1). "Verehre Fichten! Kr hat mein bestes Herz
herausgekehrt, b-fruchtet in Ehe genommen; mir zugeschneit- Du bist nicht allein! und mit
s"um gewaltigen Klanen einen Kopf, die rohe Menge, bezwungen, sobald sie sich "ur stellt.
Und Mit- "ut Nachwelt muß endlich sich stellen, ihr eignes wildes Drängen hält sie an! und
Jahrhunderte später erfährt sie, was sie verbliudet floh; sieht es vor sich, was sie unter sich
Staudte."

mußte; aber seine eignen leidenschaftlichen Nebcrwallungen werden dadurch
keineswegs gerechtfertigt, daß er sie in das Gewand leidenschaftloser Dialektik
hüllte. Wer aufmerksam den Briefwechsel zwischen beiden verfolgt, wird Fichte
von einer gewissen Rohheit der Empfindung nicht freisprechen können.

Seine Verbindung mit den Romantikern wurde noch durch seine person-
liehen Verhältnisse gefördert. Schon in Jena hatte man ihm angedeutet, daß
Berlin eine angemessene Zuflucht sür ihn sein würde. Friedrich Schlegel,
'der sich damals in der preußischen Residenz aufhielt, in jenen geistreich über¬
schwenglichen Enkeln, die für die Propaganda der Romantik so wichtig ge¬
worden sind, forderte ihn dringend auf, sich überzusiedeln, und Fichte, der
dem Rathe folgte, fand in der That kein Hinderniß, obgleich ihn von Zeit zu
Zeit die Träume einer allgemeinen Verfolgung noch immer beängstigten. In
Berlin war nun zuerst Friedrich Schlegel sein einziger Umgang, und so erlebte
man das seltsame Geschick, daß der Philosoph der absoluten Moral in dem
liederlichen Lucindenkreise-heimisch wurde. Schlegel lebte damals mit Dorothee
Veit zusammen, die sich von ihrem Mann getrennt hatte, die er aber als Jüdin
nicht heirathen konnte. Schleiermacher, sein nächster Freund und Apologet
der „Lucinde", stand in einem ähnlichen Verhältniß, und unter den geistvollen,
namentlich jüdischen Damen, die -.ins Publicum dieser Schule bildeten, herrschte
eine Virtuosität in Liebesempfindungen und eine Gleichgiltigkeit gegen Regel
und Gesetz, wo sie der unmittelbaren Empfindung widersprachen, daß Fichte
eigentlich aufs ärgste dadurch hätte verletzt werden müssen. Aber Fichte fand
sich unerwartet schnell hinein und gewann dadurch die Begeisterung jener
Geistreichen.*)

Noch im Jahre 1799 verließ Friedr. Schlegel mit seiner Geliebten Berlin;
dafür siedelte sich sein Bruder daselbst an. Die Verbindung zwischen beiden
wurde namentlich durch das Le b an Nicol al s gefördert, welches Fichte schrieb
und Schlegel 1801 herausgab. Nicolai hatte es zuletzt dahin gebracht, daß
Dichter, Philosophen, Geschichtschreiber, kurz alles, was überhaupt etwas lei¬
stete, um so bitterer gegen ihn gestimmt wurden, da er im Publicum einen
großen Anhang hatte. Bereits die -keinen waren über ihn hergefallen. Fichtes
Schrift hatte den Vorzug einer seltnen Grobheit und war gründlich genug,
wenn man auch einer polemischen Schrift.einige Uebertreibungen zugutehaltcn
'«uß. In der Form war sie verfehlt, sie sprach nicht die Superiorität einer



") Um dies- Stimmung zu fassen, vergleiche man eine» Brief der Rahel, der freilich «in
paar Jahre spater ist iNahel I, S. 31-1). „Verehre Fichten! Kr hat mein bestes Herz
herausgekehrt, b-fruchtet in Ehe genommen; mir zugeschneit- Du bist nicht allein! und mit
s"um gewaltigen Klanen einen Kopf, die rohe Menge, bezwungen, sobald sie sich »ur stellt.
Und Mit- »ut Nachwelt muß endlich sich stellen, ihr eignes wildes Drängen hält sie an! und
Jahrhunderte später erfährt sie, was sie verbliudet floh; sieht es vor sich, was sie unter sich
Staudte."
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0303" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/281454"/>
            <p xml:id="ID_911" prev="#ID_910"> mußte; aber seine eignen leidenschaftlichen Nebcrwallungen werden dadurch<lb/>
keineswegs gerechtfertigt, daß er sie in das Gewand leidenschaftloser Dialektik<lb/>
hüllte. Wer aufmerksam den Briefwechsel zwischen beiden verfolgt, wird Fichte<lb/>
von einer gewissen Rohheit der Empfindung nicht freisprechen können.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_912"> Seine Verbindung mit den Romantikern wurde noch durch seine person-<lb/>
liehen Verhältnisse gefördert. Schon in Jena hatte man ihm angedeutet, daß<lb/>
Berlin eine angemessene Zuflucht sür ihn sein würde. Friedrich Schlegel,<lb/>
'der sich damals in der preußischen Residenz aufhielt, in jenen geistreich über¬<lb/>
schwenglichen Enkeln, die für die Propaganda der Romantik so wichtig ge¬<lb/>
worden sind, forderte ihn dringend auf, sich überzusiedeln, und Fichte, der<lb/>
dem Rathe folgte, fand in der That kein Hinderniß, obgleich ihn von Zeit zu<lb/>
Zeit die Träume einer allgemeinen Verfolgung noch immer beängstigten. In<lb/>
Berlin war nun zuerst Friedrich Schlegel sein einziger Umgang, und so erlebte<lb/>
man das seltsame Geschick, daß der Philosoph der absoluten Moral in dem<lb/>
liederlichen Lucindenkreise-heimisch wurde. Schlegel lebte damals mit Dorothee<lb/>
Veit zusammen, die sich von ihrem Mann getrennt hatte, die er aber als Jüdin<lb/>
nicht heirathen konnte. Schleiermacher, sein nächster Freund und Apologet<lb/>
der &#x201E;Lucinde", stand in einem ähnlichen Verhältniß, und unter den geistvollen,<lb/>
namentlich jüdischen Damen, die -.ins Publicum dieser Schule bildeten, herrschte<lb/>
eine Virtuosität in Liebesempfindungen und eine Gleichgiltigkeit gegen Regel<lb/>
und Gesetz, wo sie der unmittelbaren Empfindung widersprachen, daß Fichte<lb/>
eigentlich aufs ärgste dadurch hätte verletzt werden müssen. Aber Fichte fand<lb/>
sich unerwartet schnell hinein und gewann dadurch die Begeisterung jener<lb/>
Geistreichen.*)</p><lb/>
            <p xml:id="ID_913" next="#ID_914"> Noch im Jahre 1799 verließ Friedr. Schlegel mit seiner Geliebten Berlin;<lb/>
dafür siedelte sich sein Bruder daselbst an. Die Verbindung zwischen beiden<lb/>
wurde namentlich durch das Le b an Nicol al s gefördert, welches Fichte schrieb<lb/>
und Schlegel 1801 herausgab. Nicolai hatte es zuletzt dahin gebracht, daß<lb/>
Dichter, Philosophen, Geschichtschreiber, kurz alles, was überhaupt etwas lei¬<lb/>
stete, um so bitterer gegen ihn gestimmt wurden, da er im Publicum einen<lb/>
großen Anhang hatte. Bereits die -keinen waren über ihn hergefallen. Fichtes<lb/>
Schrift hatte den Vorzug einer seltnen Grobheit und war gründlich genug,<lb/>
wenn man auch einer polemischen Schrift.einige Uebertreibungen zugutehaltcn<lb/>
'«uß. In der Form war sie verfehlt, sie sprach nicht die Superiorität einer</p><lb/>
            <note xml:id="FID_21" place="foot"> ") Um dies- Stimmung zu fassen, vergleiche man eine» Brief der Rahel, der freilich «in<lb/>
paar Jahre spater ist iNahel I, S. 31-1). &#x201E;Verehre Fichten! Kr hat mein bestes Herz<lb/>
herausgekehrt, b-fruchtet in Ehe genommen; mir zugeschneit- Du bist nicht allein! und mit<lb/>
s"um gewaltigen Klanen einen Kopf, die rohe Menge, bezwungen, sobald sie sich »ur stellt.<lb/>
Und Mit- »ut Nachwelt muß endlich sich stellen, ihr eignes wildes Drängen hält sie an! und<lb/>
Jahrhunderte später erfährt sie, was sie verbliudet floh; sieht es vor sich, was sie unter sich<lb/>
Staudte."</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0303] mußte; aber seine eignen leidenschaftlichen Nebcrwallungen werden dadurch keineswegs gerechtfertigt, daß er sie in das Gewand leidenschaftloser Dialektik hüllte. Wer aufmerksam den Briefwechsel zwischen beiden verfolgt, wird Fichte von einer gewissen Rohheit der Empfindung nicht freisprechen können. Seine Verbindung mit den Romantikern wurde noch durch seine person- liehen Verhältnisse gefördert. Schon in Jena hatte man ihm angedeutet, daß Berlin eine angemessene Zuflucht sür ihn sein würde. Friedrich Schlegel, 'der sich damals in der preußischen Residenz aufhielt, in jenen geistreich über¬ schwenglichen Enkeln, die für die Propaganda der Romantik so wichtig ge¬ worden sind, forderte ihn dringend auf, sich überzusiedeln, und Fichte, der dem Rathe folgte, fand in der That kein Hinderniß, obgleich ihn von Zeit zu Zeit die Träume einer allgemeinen Verfolgung noch immer beängstigten. In Berlin war nun zuerst Friedrich Schlegel sein einziger Umgang, und so erlebte man das seltsame Geschick, daß der Philosoph der absoluten Moral in dem liederlichen Lucindenkreise-heimisch wurde. Schlegel lebte damals mit Dorothee Veit zusammen, die sich von ihrem Mann getrennt hatte, die er aber als Jüdin nicht heirathen konnte. Schleiermacher, sein nächster Freund und Apologet der „Lucinde", stand in einem ähnlichen Verhältniß, und unter den geistvollen, namentlich jüdischen Damen, die -.ins Publicum dieser Schule bildeten, herrschte eine Virtuosität in Liebesempfindungen und eine Gleichgiltigkeit gegen Regel und Gesetz, wo sie der unmittelbaren Empfindung widersprachen, daß Fichte eigentlich aufs ärgste dadurch hätte verletzt werden müssen. Aber Fichte fand sich unerwartet schnell hinein und gewann dadurch die Begeisterung jener Geistreichen.*) Noch im Jahre 1799 verließ Friedr. Schlegel mit seiner Geliebten Berlin; dafür siedelte sich sein Bruder daselbst an. Die Verbindung zwischen beiden wurde namentlich durch das Le b an Nicol al s gefördert, welches Fichte schrieb und Schlegel 1801 herausgab. Nicolai hatte es zuletzt dahin gebracht, daß Dichter, Philosophen, Geschichtschreiber, kurz alles, was überhaupt etwas lei¬ stete, um so bitterer gegen ihn gestimmt wurden, da er im Publicum einen großen Anhang hatte. Bereits die -keinen waren über ihn hergefallen. Fichtes Schrift hatte den Vorzug einer seltnen Grobheit und war gründlich genug, wenn man auch einer polemischen Schrift.einige Uebertreibungen zugutehaltcn '«uß. In der Form war sie verfehlt, sie sprach nicht die Superiorität einer ") Um dies- Stimmung zu fassen, vergleiche man eine» Brief der Rahel, der freilich «in paar Jahre spater ist iNahel I, S. 31-1). „Verehre Fichten! Kr hat mein bestes Herz herausgekehrt, b-fruchtet in Ehe genommen; mir zugeschneit- Du bist nicht allein! und mit s"um gewaltigen Klanen einen Kopf, die rohe Menge, bezwungen, sobald sie sich »ur stellt. Und Mit- »ut Nachwelt muß endlich sich stellen, ihr eignes wildes Drängen hält sie an! und Jahrhunderte später erfährt sie, was sie verbliudet floh; sieht es vor sich, was sie unter sich Staudte."

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/303
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/303>, abgerufen am 01.09.2024.