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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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höhern Bildung, nicht die feine Ironie eines überlegenen Geistes aus, sie
war zugleich leidenschaftlich und pedantisch und verrieth eine Selbstüberhebung,
die den Eindruck nicht fördern konnte. Aber in ihr concentrirt sich alles, was
die Philosophie mit der Romantik gemein hatte, der Haß gegen das spie߬
bürgerliche Denken und Empfinden; eine positive Einheit war nicht vorhanden.
Und so muß man die Vortrüge, die Schlegel 1802 und die Fichte 1804 hielt,
miteinander vergleichen, um bei der scheinbaren Uebereinstimmung in der Ten¬
denz doch das gänzliche Auseinandergehen der Richtungen zu begreifen. Beide'
hatten übrigens einen glänzenden Erfolg. Berlin war damals noch keine
Universitätsstadt; die populär-wissenschaftlichen Vorträge waren etwas Neues.
In Schlegels.und Fichtes Vorlesungen drängte sich die feine Welt Berlins,
die Aristokratie der Geistreichen und die wirkliche Aristokratie um so eifriger,
je schärfer das ganze Zeitalter mitgenommen wurde. Denn ein Gefühl des
allgemeinen Unbehagens mußte sich damals, wo die preußische Politik bereits
eine sehr schlimme Wendung nahm, aller freier gestimmten und tiefer erregten
Gemüther bemächtigen. Je unbedingter die Verderbniß des Zeitalters gene-
ralisirt und je greller sie ausgemalt wurde, desto willkommner mußte sie sein,
ganz , abgesehen von den Verheißungen in Bezug auf die Zukunft. Noch ein
Umstand muß in Rechnung gebracht werden, die Vorliebe des Berliner Publi¬
kums für die Ironie, auch wo es selbst davon getroffen wurde. Dieses Mo¬
ment, welches in Weimar ganz fehlte, hat der romantischen Schule erst eine
sichere Basis gegeben.

Fichtes Vorlesungen "über die Grundzüge des gegenwärtigen
Zeitalters" (-1806--3) waren die letzte reife Frucht einer vieljährigen Verbit¬
terung und werden als solche, sowie als Wendepunkt in Fichtes Gesinnung,
einen dauernden Platz in der Literaturgeschichte behaupten.

In den meisten populären Schriften Fichtes wird man durch die Bemü¬
hung gestört, die einzelnen Methoden und Anschauungen, deren Ursprung aus
der realen Beobachtung doch niemand entgehen kann, auf metaphysische Prin¬
cipien zurückzuführen. Einerseits wird man sehr bald gewahr, daß diese Be-
ziehung doch nur eine scheinbare ist, andererseits wird dadurch der Schriftsteller
zu einer gespreizten und erkünstelten Form verleitet, die dem Eindrucke keines¬
wegs nützlich ist. Es ist für die Zuhörer immer eine mißliche Zumuthung,
daß sie die Urtheile hinnehmen sollen und daneben die Versicherung, die Be¬
gründung derselben sei anderwärts zu suchen. Dazu kommt noch die Form
der Borlesung und das damit zusammenhängende Bestreben, die Zuhörer ZU
erwärmen und zu erbauen. So verfällt der Schriftsteller bald in farblose Ab-
stractionen, bald in blos rhetorische Wendungen. Wie die meisten Philo¬
sophen verkannte er sein eigentliches Talent, er glaubte überall durch System
und Methode zu vermitteln, wo eigentlich nur ein kühnes, geistvolles Ein-


höhern Bildung, nicht die feine Ironie eines überlegenen Geistes aus, sie
war zugleich leidenschaftlich und pedantisch und verrieth eine Selbstüberhebung,
die den Eindruck nicht fördern konnte. Aber in ihr concentrirt sich alles, was
die Philosophie mit der Romantik gemein hatte, der Haß gegen das spie߬
bürgerliche Denken und Empfinden; eine positive Einheit war nicht vorhanden.
Und so muß man die Vortrüge, die Schlegel 1802 und die Fichte 1804 hielt,
miteinander vergleichen, um bei der scheinbaren Uebereinstimmung in der Ten¬
denz doch das gänzliche Auseinandergehen der Richtungen zu begreifen. Beide'
hatten übrigens einen glänzenden Erfolg. Berlin war damals noch keine
Universitätsstadt; die populär-wissenschaftlichen Vorträge waren etwas Neues.
In Schlegels.und Fichtes Vorlesungen drängte sich die feine Welt Berlins,
die Aristokratie der Geistreichen und die wirkliche Aristokratie um so eifriger,
je schärfer das ganze Zeitalter mitgenommen wurde. Denn ein Gefühl des
allgemeinen Unbehagens mußte sich damals, wo die preußische Politik bereits
eine sehr schlimme Wendung nahm, aller freier gestimmten und tiefer erregten
Gemüther bemächtigen. Je unbedingter die Verderbniß des Zeitalters gene-
ralisirt und je greller sie ausgemalt wurde, desto willkommner mußte sie sein,
ganz , abgesehen von den Verheißungen in Bezug auf die Zukunft. Noch ein
Umstand muß in Rechnung gebracht werden, die Vorliebe des Berliner Publi¬
kums für die Ironie, auch wo es selbst davon getroffen wurde. Dieses Mo¬
ment, welches in Weimar ganz fehlte, hat der romantischen Schule erst eine
sichere Basis gegeben.

Fichtes Vorlesungen „über die Grundzüge des gegenwärtigen
Zeitalters" (-1806—3) waren die letzte reife Frucht einer vieljährigen Verbit¬
terung und werden als solche, sowie als Wendepunkt in Fichtes Gesinnung,
einen dauernden Platz in der Literaturgeschichte behaupten.

In den meisten populären Schriften Fichtes wird man durch die Bemü¬
hung gestört, die einzelnen Methoden und Anschauungen, deren Ursprung aus
der realen Beobachtung doch niemand entgehen kann, auf metaphysische Prin¬
cipien zurückzuführen. Einerseits wird man sehr bald gewahr, daß diese Be-
ziehung doch nur eine scheinbare ist, andererseits wird dadurch der Schriftsteller
zu einer gespreizten und erkünstelten Form verleitet, die dem Eindrucke keines¬
wegs nützlich ist. Es ist für die Zuhörer immer eine mißliche Zumuthung,
daß sie die Urtheile hinnehmen sollen und daneben die Versicherung, die Be¬
gründung derselben sei anderwärts zu suchen. Dazu kommt noch die Form
der Borlesung und das damit zusammenhängende Bestreben, die Zuhörer ZU
erwärmen und zu erbauen. So verfällt der Schriftsteller bald in farblose Ab-
stractionen, bald in blos rhetorische Wendungen. Wie die meisten Philo¬
sophen verkannte er sein eigentliches Talent, er glaubte überall durch System
und Methode zu vermitteln, wo eigentlich nur ein kühnes, geistvolles Ein-


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[0304] höhern Bildung, nicht die feine Ironie eines überlegenen Geistes aus, sie war zugleich leidenschaftlich und pedantisch und verrieth eine Selbstüberhebung, die den Eindruck nicht fördern konnte. Aber in ihr concentrirt sich alles, was die Philosophie mit der Romantik gemein hatte, der Haß gegen das spie߬ bürgerliche Denken und Empfinden; eine positive Einheit war nicht vorhanden. Und so muß man die Vortrüge, die Schlegel 1802 und die Fichte 1804 hielt, miteinander vergleichen, um bei der scheinbaren Uebereinstimmung in der Ten¬ denz doch das gänzliche Auseinandergehen der Richtungen zu begreifen. Beide' hatten übrigens einen glänzenden Erfolg. Berlin war damals noch keine Universitätsstadt; die populär-wissenschaftlichen Vorträge waren etwas Neues. In Schlegels.und Fichtes Vorlesungen drängte sich die feine Welt Berlins, die Aristokratie der Geistreichen und die wirkliche Aristokratie um so eifriger, je schärfer das ganze Zeitalter mitgenommen wurde. Denn ein Gefühl des allgemeinen Unbehagens mußte sich damals, wo die preußische Politik bereits eine sehr schlimme Wendung nahm, aller freier gestimmten und tiefer erregten Gemüther bemächtigen. Je unbedingter die Verderbniß des Zeitalters gene- ralisirt und je greller sie ausgemalt wurde, desto willkommner mußte sie sein, ganz , abgesehen von den Verheißungen in Bezug auf die Zukunft. Noch ein Umstand muß in Rechnung gebracht werden, die Vorliebe des Berliner Publi¬ kums für die Ironie, auch wo es selbst davon getroffen wurde. Dieses Mo¬ ment, welches in Weimar ganz fehlte, hat der romantischen Schule erst eine sichere Basis gegeben. Fichtes Vorlesungen „über die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters" (-1806—3) waren die letzte reife Frucht einer vieljährigen Verbit¬ terung und werden als solche, sowie als Wendepunkt in Fichtes Gesinnung, einen dauernden Platz in der Literaturgeschichte behaupten. In den meisten populären Schriften Fichtes wird man durch die Bemü¬ hung gestört, die einzelnen Methoden und Anschauungen, deren Ursprung aus der realen Beobachtung doch niemand entgehen kann, auf metaphysische Prin¬ cipien zurückzuführen. Einerseits wird man sehr bald gewahr, daß diese Be- ziehung doch nur eine scheinbare ist, andererseits wird dadurch der Schriftsteller zu einer gespreizten und erkünstelten Form verleitet, die dem Eindrucke keines¬ wegs nützlich ist. Es ist für die Zuhörer immer eine mißliche Zumuthung, daß sie die Urtheile hinnehmen sollen und daneben die Versicherung, die Be¬ gründung derselben sei anderwärts zu suchen. Dazu kommt noch die Form der Borlesung und das damit zusammenhängende Bestreben, die Zuhörer ZU erwärmen und zu erbauen. So verfällt der Schriftsteller bald in farblose Ab- stractionen, bald in blos rhetorische Wendungen. Wie die meisten Philo¬ sophen verkannte er sein eigentliches Talent, er glaubte überall durch System und Methode zu vermitteln, wo eigentlich nur ein kühnes, geistvolles Ein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/304>, abgerufen am 01.09.2024.