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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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schon früher vermuthen können/) aber der Ton der Erklärung war um so ge¬
hässiger, da sie in eine Zeit fiel, in der Fichte verfolgt wurde. Fichte ant¬
wortete in einem offenen Schreiben an Schelling auf eine sehr würdige
Weise. Er forderte Schelling, der mit ihm noch in enger Verbindung stand,
auf, aus diesem Beispiel zu entnehmen, daß man im späteren Alter den Fort¬
schritten der Wissenschaften gegenüber sehr vorsichtig sein müsse. Leider hatten
beide Männer schon wenige Jahre darauf Gelegenheit, die Wahrheit dieses
Ausspruchs an sich selbst zu erproben. Denn Schelling glaubte mit dem
Princip seiner Philosophie über Fichte hinausgegangen zu sein und ver¬
öffentlichte eine sehr heftige Schrift gegen seinen Vorgänger, worauf ihn dieser
für den ausgemachtesten Charlatan und für den einfältigsten Menschen in
Deutschland erklärte.**) -- Noch in dasselbe Jahr -1799 fällt Herders "Meta¬
kritik", in welcher über Kant in einem Ton geurtheilt wurde, der bis dahin
in der deutschen Literatur unerhört gewesen war. Herder hätte ein sehr ver¬
dienstvolles Werk hervorbringen können, wenn er das reale Organ des Denkens,
die Sprache, gegen die willkürliche Gesetzgebung der philosophischen Neuerer
in Schutz genommen hätte. Allein er ließ sich auf den Inhalt ein, widerlegte
die "Kritik der reinen Vernunft" Paragraph für Paragraph und zeigte nur
zu deutlich, daß er gar'nicht verstand, um was es sich eigentlich handelte. Der
Ton war einmal angeschlagen und die geheimen Gegner der Philosophie, die
bisher ein scheues Stillschweigen bewahrt hatten, gewannen Muth. Wieland
nahm im "Merkur" die Polemik sehr lebhaft auf, Herder setzte sie in der
"Kalligone" fort, und andere folgten dem guten Beispiel. Die Jenaer Literatur-
zeitung wandte sich von den neuen Bestrebungen ab, Schlegel, der bisherige
Hauptmitarbeiter, schrieb ihr deshalb einen Fehdebrief, der Bruch drang selbst in
die Kreise der Weimarschen Poeten ein, und es war natürlich, daß die angegriffenen
Neuerer der verschiedensten Standpunkte sich zusammenfanden. Fichte wurde
umsomehr zum Bündniß mit den Romantikern gedrängt, va auch seine bis¬
herigen Anhänger ihn zum Theil im Stich ließen. Rein hold, der weiche
und unstete Mensch, wurde nun von Jacobi umgestimmt, der in einer neuen
Bearbeitung seines öffentlichen Briefs an Fichte einen viel härteren Ton
anschlug, und zwei neu erschienene Bücher, "die Logik" von Bardili, und
die "Apodiktik" von Bouterweck veranlaßten ihn zu einer Lossagü'ng von
dem transscendentalen Idealismus. Fichte griff ihn dafür auf eine schonungs¬
lose Weise an. Wir können uns wol lebhaft vorstellen, daß eine so weiche
und haltlose Natur, wie die Reinholds, Fichte jeden Augenblick zuwider sein




Vgl. I S. /.'ti9. 5'7'>- Das Mißverständnis; der "int-llectuellen Anschauung" Fichtes
trug dazu bei. Wir haben bei Besprechung der Schvpenhanerschcn Philosophie bereits darauf
hingedeutet.
") VIII S. 387 u. f.

schon früher vermuthen können/) aber der Ton der Erklärung war um so ge¬
hässiger, da sie in eine Zeit fiel, in der Fichte verfolgt wurde. Fichte ant¬
wortete in einem offenen Schreiben an Schelling auf eine sehr würdige
Weise. Er forderte Schelling, der mit ihm noch in enger Verbindung stand,
auf, aus diesem Beispiel zu entnehmen, daß man im späteren Alter den Fort¬
schritten der Wissenschaften gegenüber sehr vorsichtig sein müsse. Leider hatten
beide Männer schon wenige Jahre darauf Gelegenheit, die Wahrheit dieses
Ausspruchs an sich selbst zu erproben. Denn Schelling glaubte mit dem
Princip seiner Philosophie über Fichte hinausgegangen zu sein und ver¬
öffentlichte eine sehr heftige Schrift gegen seinen Vorgänger, worauf ihn dieser
für den ausgemachtesten Charlatan und für den einfältigsten Menschen in
Deutschland erklärte.**) — Noch in dasselbe Jahr -1799 fällt Herders „Meta¬
kritik", in welcher über Kant in einem Ton geurtheilt wurde, der bis dahin
in der deutschen Literatur unerhört gewesen war. Herder hätte ein sehr ver¬
dienstvolles Werk hervorbringen können, wenn er das reale Organ des Denkens,
die Sprache, gegen die willkürliche Gesetzgebung der philosophischen Neuerer
in Schutz genommen hätte. Allein er ließ sich auf den Inhalt ein, widerlegte
die „Kritik der reinen Vernunft" Paragraph für Paragraph und zeigte nur
zu deutlich, daß er gar'nicht verstand, um was es sich eigentlich handelte. Der
Ton war einmal angeschlagen und die geheimen Gegner der Philosophie, die
bisher ein scheues Stillschweigen bewahrt hatten, gewannen Muth. Wieland
nahm im „Merkur" die Polemik sehr lebhaft auf, Herder setzte sie in der
„Kalligone" fort, und andere folgten dem guten Beispiel. Die Jenaer Literatur-
zeitung wandte sich von den neuen Bestrebungen ab, Schlegel, der bisherige
Hauptmitarbeiter, schrieb ihr deshalb einen Fehdebrief, der Bruch drang selbst in
die Kreise der Weimarschen Poeten ein, und es war natürlich, daß die angegriffenen
Neuerer der verschiedensten Standpunkte sich zusammenfanden. Fichte wurde
umsomehr zum Bündniß mit den Romantikern gedrängt, va auch seine bis¬
herigen Anhänger ihn zum Theil im Stich ließen. Rein hold, der weiche
und unstete Mensch, wurde nun von Jacobi umgestimmt, der in einer neuen
Bearbeitung seines öffentlichen Briefs an Fichte einen viel härteren Ton
anschlug, und zwei neu erschienene Bücher, „die Logik" von Bardili, und
die „Apodiktik" von Bouterweck veranlaßten ihn zu einer Lossagü'ng von
dem transscendentalen Idealismus. Fichte griff ihn dafür auf eine schonungs¬
lose Weise an. Wir können uns wol lebhaft vorstellen, daß eine so weiche
und haltlose Natur, wie die Reinholds, Fichte jeden Augenblick zuwider sein




Vgl. I S. /.'ti9. 5'7'>- Das Mißverständnis; der „int-llectuellen Anschauung" Fichtes
trug dazu bei. Wir haben bei Besprechung der Schvpenhanerschcn Philosophie bereits darauf
hingedeutet.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/302>, abgerufen am 01.09.2024.