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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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politische Selbstständigkeit des sächsischen Bauern sich nach ihrer Zertrümmerung
durch das Feudalwesen in daS Gemeindeleben zurückzog und dort den Ein¬
griffen aller Herren, großrentheils selbst des novarum Staates, trotzte. Alle
die spärlichen außergemeindlichen politischen Rechte, welche die fränkische Erobe¬
rung und die Feudalzeilen dem sächsischen Bauer ließen, waren an seinen
Gemeindebesitz und an seinen Hof geknüpft, wie z. B. anfangs der Heerbanns-,
der Gerichtsdienst, die Markennutzung und Waffenfolge; sogar bis ins acht¬
zehnte Jahrhundert erhielt sich das Recht der Nachbarschaft, durch Mehrheit
den Besitzstand, das ordnungsmäßige Verfahren beim Zehnten und die eigne
Erzeugung streitiger Gegenstände zu bezeugen, Schätzungen bei Theilungs¬
und Entschädigungssachen, bei Bau und Besserung im Zinsgute abzugeben :c.;
selbst jetzt besteht dieses Recht fort, indem es theils in die gerichtliche Praris
aufgenommen, theils von den Bauern aus eigne Hand angewandt wird. Die
Wahl des BauermeisterS war selbst in der Feudalzeit ein Recht der Genossen
und siel meistens auf den ältesten oder vornehmsten, den Schulzen- oder Ober-
Hof. Dieser Bauermeister hatte nach dem Sachsenspiegel zu richten über trockene
Schläge und Diebstahl bis zu ö Groschen, insofern das desselbigen Tages
geschieht, außerdem über Pfennigschuld, fahrende Habe und Maß, Gewicht
und unrechten Kauf. Er straft bis zu K Pfennigen oder zu 3 Groschen,
und der Ertrag der Strafen kommt den Bauern zu zum Vertrinken. Rechnet
man hierzu noch, daß auch die Markengerichtsbarkeit ganz in den Händen der
Markeugenossen war, so werden wol wenige Gemeinde-, Criminal- und sogar
Civilsachen vor ein anderes Forum als das der Bauern gekommen sein. Die
Selbstständigkeit der Bauerngemeinde ward wesentlich durch die unausrottbare
gesellige Gemeinschaft des Dorfes oder der Bauerngemeinde gefordert und be¬
wahrt. Wie es keine germanische Genossenschaft gibt, ohne baß sie zugleich
ein gesellschaftlicher Verband sei, so war auch die deutsche Bauerngemeinde
reich an geselligen Vereinigungen, wie z. B. die in den Eapitularien ver¬
botenen Gilden, die Biergelder, Bierzinsen, Bierpfennige, das Vertrinken der
Strafen, das gemeinsame Brauen in einer Gemeindebrauerei, die Bauerbiere,
Gildebiere, Fastncichtbiere, Mittesommerbiere, die Pickenicksmahlzeiten bei Ver¬
lobungen (Mackesmahle), bei Hochzeiten, bei Errichtung neuer Hauser, Begräb¬
nissen u. s. w. in Fülle bezeugen, und gegen die der moderne Polizeistaat mit
aller Macht, wenn auch meistens vergeblich, ankämpft.

Die meisten Verluste an der alten Gemeinbeselbstständigkeit erlitt der nord¬
deutsche Bauernstand im siebzehnten Jahrhundert, in welchem der Steuerdruck
größer als je vor und nachher war, der furchtbare dreißigjährige und nieder¬
ländisch-spanische Krieg viele alte Rechtsverhältnisse in der Gemeinde im Drange
des Augenblicks ändern machten, und so den Boden für den absoluten Staat
der neuern Geschichte mit bereiten halfen. In dieser Zeit gingen die Reste


politische Selbstständigkeit des sächsischen Bauern sich nach ihrer Zertrümmerung
durch das Feudalwesen in daS Gemeindeleben zurückzog und dort den Ein¬
griffen aller Herren, großrentheils selbst des novarum Staates, trotzte. Alle
die spärlichen außergemeindlichen politischen Rechte, welche die fränkische Erobe¬
rung und die Feudalzeilen dem sächsischen Bauer ließen, waren an seinen
Gemeindebesitz und an seinen Hof geknüpft, wie z. B. anfangs der Heerbanns-,
der Gerichtsdienst, die Markennutzung und Waffenfolge; sogar bis ins acht¬
zehnte Jahrhundert erhielt sich das Recht der Nachbarschaft, durch Mehrheit
den Besitzstand, das ordnungsmäßige Verfahren beim Zehnten und die eigne
Erzeugung streitiger Gegenstände zu bezeugen, Schätzungen bei Theilungs¬
und Entschädigungssachen, bei Bau und Besserung im Zinsgute abzugeben :c.;
selbst jetzt besteht dieses Recht fort, indem es theils in die gerichtliche Praris
aufgenommen, theils von den Bauern aus eigne Hand angewandt wird. Die
Wahl des BauermeisterS war selbst in der Feudalzeit ein Recht der Genossen
und siel meistens auf den ältesten oder vornehmsten, den Schulzen- oder Ober-
Hof. Dieser Bauermeister hatte nach dem Sachsenspiegel zu richten über trockene
Schläge und Diebstahl bis zu ö Groschen, insofern das desselbigen Tages
geschieht, außerdem über Pfennigschuld, fahrende Habe und Maß, Gewicht
und unrechten Kauf. Er straft bis zu K Pfennigen oder zu 3 Groschen,
und der Ertrag der Strafen kommt den Bauern zu zum Vertrinken. Rechnet
man hierzu noch, daß auch die Markengerichtsbarkeit ganz in den Händen der
Markeugenossen war, so werden wol wenige Gemeinde-, Criminal- und sogar
Civilsachen vor ein anderes Forum als das der Bauern gekommen sein. Die
Selbstständigkeit der Bauerngemeinde ward wesentlich durch die unausrottbare
gesellige Gemeinschaft des Dorfes oder der Bauerngemeinde gefordert und be¬
wahrt. Wie es keine germanische Genossenschaft gibt, ohne baß sie zugleich
ein gesellschaftlicher Verband sei, so war auch die deutsche Bauerngemeinde
reich an geselligen Vereinigungen, wie z. B. die in den Eapitularien ver¬
botenen Gilden, die Biergelder, Bierzinsen, Bierpfennige, das Vertrinken der
Strafen, das gemeinsame Brauen in einer Gemeindebrauerei, die Bauerbiere,
Gildebiere, Fastncichtbiere, Mittesommerbiere, die Pickenicksmahlzeiten bei Ver¬
lobungen (Mackesmahle), bei Hochzeiten, bei Errichtung neuer Hauser, Begräb¬
nissen u. s. w. in Fülle bezeugen, und gegen die der moderne Polizeistaat mit
aller Macht, wenn auch meistens vergeblich, ankämpft.

Die meisten Verluste an der alten Gemeinbeselbstständigkeit erlitt der nord¬
deutsche Bauernstand im siebzehnten Jahrhundert, in welchem der Steuerdruck
größer als je vor und nachher war, der furchtbare dreißigjährige und nieder¬
ländisch-spanische Krieg viele alte Rechtsverhältnisse in der Gemeinde im Drange
des Augenblicks ändern machten, und so den Boden für den absoluten Staat
der neuern Geschichte mit bereiten halfen. In dieser Zeit gingen die Reste


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[0296] politische Selbstständigkeit des sächsischen Bauern sich nach ihrer Zertrümmerung durch das Feudalwesen in daS Gemeindeleben zurückzog und dort den Ein¬ griffen aller Herren, großrentheils selbst des novarum Staates, trotzte. Alle die spärlichen außergemeindlichen politischen Rechte, welche die fränkische Erobe¬ rung und die Feudalzeilen dem sächsischen Bauer ließen, waren an seinen Gemeindebesitz und an seinen Hof geknüpft, wie z. B. anfangs der Heerbanns-, der Gerichtsdienst, die Markennutzung und Waffenfolge; sogar bis ins acht¬ zehnte Jahrhundert erhielt sich das Recht der Nachbarschaft, durch Mehrheit den Besitzstand, das ordnungsmäßige Verfahren beim Zehnten und die eigne Erzeugung streitiger Gegenstände zu bezeugen, Schätzungen bei Theilungs¬ und Entschädigungssachen, bei Bau und Besserung im Zinsgute abzugeben :c.; selbst jetzt besteht dieses Recht fort, indem es theils in die gerichtliche Praris aufgenommen, theils von den Bauern aus eigne Hand angewandt wird. Die Wahl des BauermeisterS war selbst in der Feudalzeit ein Recht der Genossen und siel meistens auf den ältesten oder vornehmsten, den Schulzen- oder Ober- Hof. Dieser Bauermeister hatte nach dem Sachsenspiegel zu richten über trockene Schläge und Diebstahl bis zu ö Groschen, insofern das desselbigen Tages geschieht, außerdem über Pfennigschuld, fahrende Habe und Maß, Gewicht und unrechten Kauf. Er straft bis zu K Pfennigen oder zu 3 Groschen, und der Ertrag der Strafen kommt den Bauern zu zum Vertrinken. Rechnet man hierzu noch, daß auch die Markengerichtsbarkeit ganz in den Händen der Markeugenossen war, so werden wol wenige Gemeinde-, Criminal- und sogar Civilsachen vor ein anderes Forum als das der Bauern gekommen sein. Die Selbstständigkeit der Bauerngemeinde ward wesentlich durch die unausrottbare gesellige Gemeinschaft des Dorfes oder der Bauerngemeinde gefordert und be¬ wahrt. Wie es keine germanische Genossenschaft gibt, ohne baß sie zugleich ein gesellschaftlicher Verband sei, so war auch die deutsche Bauerngemeinde reich an geselligen Vereinigungen, wie z. B. die in den Eapitularien ver¬ botenen Gilden, die Biergelder, Bierzinsen, Bierpfennige, das Vertrinken der Strafen, das gemeinsame Brauen in einer Gemeindebrauerei, die Bauerbiere, Gildebiere, Fastncichtbiere, Mittesommerbiere, die Pickenicksmahlzeiten bei Ver¬ lobungen (Mackesmahle), bei Hochzeiten, bei Errichtung neuer Hauser, Begräb¬ nissen u. s. w. in Fülle bezeugen, und gegen die der moderne Polizeistaat mit aller Macht, wenn auch meistens vergeblich, ankämpft. Die meisten Verluste an der alten Gemeinbeselbstständigkeit erlitt der nord¬ deutsche Bauernstand im siebzehnten Jahrhundert, in welchem der Steuerdruck größer als je vor und nachher war, der furchtbare dreißigjährige und nieder¬ ländisch-spanische Krieg viele alte Rechtsverhältnisse in der Gemeinde im Drange des Augenblicks ändern machten, und so den Boden für den absoluten Staat der neuern Geschichte mit bereiten halfen. In dieser Zeit gingen die Reste

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/296>, abgerufen am 27.07.2024.