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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Handeln des sächsischen Landmanns zu beherrschen, so fragt es sich, was diesen
Mangel ersetzt, ob ein reges Nationalgefühl, wie bei den Ungarn, Polen,
oder ererbte Sitten und Anschauungen, wie bei den Niederländern und Eng¬
ländern, oder endlich die Strömung des Zeitgeistes, wie bei den Franzosen
und theilweise den Süddeutschen. Alle diese Motive haben aus den nord¬
deutschen Landmann nur eine geringe Wirkung.

Das sächsische Heidenthum war mit dem sächsischen Staatswesen auf das
innigste verschmolzen, und beide erlagen demselben Feinde und zwar so
vollständig, daß von dem sächsischen Staate nichts sich erhielt, als, die
Höfeverfassung, in welche sich das öffentliche Leben der Sachsen zurück¬
zog und in der es sich bis auf unsre Tage erhalten hat. Während in
der Heidenzeit das öffentliche Leben des sächsischen Landmanns durch seine
Rechte und Pflichten als Gemeinde-, Marken-, Gau- und Stammgenossen
sich über einen weiten Kreis erstreckte, demgemäß sich auch sein geistiger Ho¬
rizont erweitern mußte, beschränkte ihn die fränkische Oberherrschaft gar bald
auf den engen Kreis der Gemeinde- und Markenrechte und Pflichten, und dies
ward nun der einzige Punkt, an welchem die Keime des öffentlichen Lebens
sich während des ganzen Mittelalters und bis in die allerneueste Zeit erhalten
haben und jetzt sich zu einer baldigen neuen Blüte zu entwickeln versprechen.
Seit dem Untergange der sächsischen Bauernfreihcit und der Einverleibung des
sächsischen Volksstaates in das phantastische, uunationale römische Kaiserreich
haben der Adel, die Städte, die Fürsten nacheinander oder zusammen die po¬
litischen'Geschicke des deutsch-sächsischen Nolköstammes geleitet, sind aber nicht
im Stande gewesen, den sächsischen Volksstamm in seiner Eigenthümlichkeit
wieder zu einem selbstständigen Theile der deutschen Nation zu machen; nur der
Hansabund ist eine glänzende, aber für die Gegenwart resultatlos gebliebene
Episode in der jahrhundcrtlangen äußerlichen Versunkenheit und Erschlaffung
der sächsischen Stammeigenthümlichkeiten. Der Bauer hat den Druck aller
dieser Herren erduldet und überstanden, ohne die sächsischen Eigenthümlich¬
keiten zu verlieren, weil seine politische Einschränkung auf seine Hof- und
Markenrechte ihn von allem staatlichen, politischen Leben, sowie seine Wohn¬
weise von dem socialen Leben der Herren fernhielt. Er zahlte, diente und
fröhnte Jahrhunderte hindurch für die stolzen Herren auf. den Adelshöfen, in
den Klöstern und Stadtmauern, erfuhr kaum, von wem und wie die Geschicke
des Landes geleitet wurden, und mußte sich sogar das Eigenthum an seinem
Hofe absprechen lassen, das an der Mark mit Markenherren und Marken¬
richtern theilen, aber in seiner Bauerschaft, auf seinem Hofe war er sein eigner
Herr. Wir besitzen nicht viele Nachrichten über das Gemeindeleben der nord¬
deutschen Bauerschaften im Mittelalter, aber die wenigen übriggebliebenen,
verglichen mit den spätern, gegenwärtigen und Urzuständen beweisen, daß die


Handeln des sächsischen Landmanns zu beherrschen, so fragt es sich, was diesen
Mangel ersetzt, ob ein reges Nationalgefühl, wie bei den Ungarn, Polen,
oder ererbte Sitten und Anschauungen, wie bei den Niederländern und Eng¬
ländern, oder endlich die Strömung des Zeitgeistes, wie bei den Franzosen
und theilweise den Süddeutschen. Alle diese Motive haben aus den nord¬
deutschen Landmann nur eine geringe Wirkung.

Das sächsische Heidenthum war mit dem sächsischen Staatswesen auf das
innigste verschmolzen, und beide erlagen demselben Feinde und zwar so
vollständig, daß von dem sächsischen Staate nichts sich erhielt, als, die
Höfeverfassung, in welche sich das öffentliche Leben der Sachsen zurück¬
zog und in der es sich bis auf unsre Tage erhalten hat. Während in
der Heidenzeit das öffentliche Leben des sächsischen Landmanns durch seine
Rechte und Pflichten als Gemeinde-, Marken-, Gau- und Stammgenossen
sich über einen weiten Kreis erstreckte, demgemäß sich auch sein geistiger Ho¬
rizont erweitern mußte, beschränkte ihn die fränkische Oberherrschaft gar bald
auf den engen Kreis der Gemeinde- und Markenrechte und Pflichten, und dies
ward nun der einzige Punkt, an welchem die Keime des öffentlichen Lebens
sich während des ganzen Mittelalters und bis in die allerneueste Zeit erhalten
haben und jetzt sich zu einer baldigen neuen Blüte zu entwickeln versprechen.
Seit dem Untergange der sächsischen Bauernfreihcit und der Einverleibung des
sächsischen Volksstaates in das phantastische, uunationale römische Kaiserreich
haben der Adel, die Städte, die Fürsten nacheinander oder zusammen die po¬
litischen'Geschicke des deutsch-sächsischen Nolköstammes geleitet, sind aber nicht
im Stande gewesen, den sächsischen Volksstamm in seiner Eigenthümlichkeit
wieder zu einem selbstständigen Theile der deutschen Nation zu machen; nur der
Hansabund ist eine glänzende, aber für die Gegenwart resultatlos gebliebene
Episode in der jahrhundcrtlangen äußerlichen Versunkenheit und Erschlaffung
der sächsischen Stammeigenthümlichkeiten. Der Bauer hat den Druck aller
dieser Herren erduldet und überstanden, ohne die sächsischen Eigenthümlich¬
keiten zu verlieren, weil seine politische Einschränkung auf seine Hof- und
Markenrechte ihn von allem staatlichen, politischen Leben, sowie seine Wohn¬
weise von dem socialen Leben der Herren fernhielt. Er zahlte, diente und
fröhnte Jahrhunderte hindurch für die stolzen Herren auf. den Adelshöfen, in
den Klöstern und Stadtmauern, erfuhr kaum, von wem und wie die Geschicke
des Landes geleitet wurden, und mußte sich sogar das Eigenthum an seinem
Hofe absprechen lassen, das an der Mark mit Markenherren und Marken¬
richtern theilen, aber in seiner Bauerschaft, auf seinem Hofe war er sein eigner
Herr. Wir besitzen nicht viele Nachrichten über das Gemeindeleben der nord¬
deutschen Bauerschaften im Mittelalter, aber die wenigen übriggebliebenen,
verglichen mit den spätern, gegenwärtigen und Urzuständen beweisen, daß die


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[0295] Handeln des sächsischen Landmanns zu beherrschen, so fragt es sich, was diesen Mangel ersetzt, ob ein reges Nationalgefühl, wie bei den Ungarn, Polen, oder ererbte Sitten und Anschauungen, wie bei den Niederländern und Eng¬ ländern, oder endlich die Strömung des Zeitgeistes, wie bei den Franzosen und theilweise den Süddeutschen. Alle diese Motive haben aus den nord¬ deutschen Landmann nur eine geringe Wirkung. Das sächsische Heidenthum war mit dem sächsischen Staatswesen auf das innigste verschmolzen, und beide erlagen demselben Feinde und zwar so vollständig, daß von dem sächsischen Staate nichts sich erhielt, als, die Höfeverfassung, in welche sich das öffentliche Leben der Sachsen zurück¬ zog und in der es sich bis auf unsre Tage erhalten hat. Während in der Heidenzeit das öffentliche Leben des sächsischen Landmanns durch seine Rechte und Pflichten als Gemeinde-, Marken-, Gau- und Stammgenossen sich über einen weiten Kreis erstreckte, demgemäß sich auch sein geistiger Ho¬ rizont erweitern mußte, beschränkte ihn die fränkische Oberherrschaft gar bald auf den engen Kreis der Gemeinde- und Markenrechte und Pflichten, und dies ward nun der einzige Punkt, an welchem die Keime des öffentlichen Lebens sich während des ganzen Mittelalters und bis in die allerneueste Zeit erhalten haben und jetzt sich zu einer baldigen neuen Blüte zu entwickeln versprechen. Seit dem Untergange der sächsischen Bauernfreihcit und der Einverleibung des sächsischen Volksstaates in das phantastische, uunationale römische Kaiserreich haben der Adel, die Städte, die Fürsten nacheinander oder zusammen die po¬ litischen'Geschicke des deutsch-sächsischen Nolköstammes geleitet, sind aber nicht im Stande gewesen, den sächsischen Volksstamm in seiner Eigenthümlichkeit wieder zu einem selbstständigen Theile der deutschen Nation zu machen; nur der Hansabund ist eine glänzende, aber für die Gegenwart resultatlos gebliebene Episode in der jahrhundcrtlangen äußerlichen Versunkenheit und Erschlaffung der sächsischen Stammeigenthümlichkeiten. Der Bauer hat den Druck aller dieser Herren erduldet und überstanden, ohne die sächsischen Eigenthümlich¬ keiten zu verlieren, weil seine politische Einschränkung auf seine Hof- und Markenrechte ihn von allem staatlichen, politischen Leben, sowie seine Wohn¬ weise von dem socialen Leben der Herren fernhielt. Er zahlte, diente und fröhnte Jahrhunderte hindurch für die stolzen Herren auf. den Adelshöfen, in den Klöstern und Stadtmauern, erfuhr kaum, von wem und wie die Geschicke des Landes geleitet wurden, und mußte sich sogar das Eigenthum an seinem Hofe absprechen lassen, das an der Mark mit Markenherren und Marken¬ richtern theilen, aber in seiner Bauerschaft, auf seinem Hofe war er sein eigner Herr. Wir besitzen nicht viele Nachrichten über das Gemeindeleben der nord¬ deutschen Bauerschaften im Mittelalter, aber die wenigen übriggebliebenen, verglichen mit den spätern, gegenwärtigen und Urzuständen beweisen, daß die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/295>, abgerufen am 27.07.2024.