Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Deutschen das Christenthum annahmen, enthob die Verbreiter desselben der
Nothwendigkeit, mit Drakonischer Strenge gegen die heidnischen Naturgebräuche
aufzutreten; man verschmolz vielmehr den heidnischen Naturcultus möglichst mit
den Gebräuchen deS Christenthums und seiner Heiligen, von der Eiche des
Donnergottes, aus der man ein heiliges Marienbild hervorwachsen ließ, bis
zu der heidnischen Sage, in der man die Heidengötter in christliche Heilige
wandelte, was alles ein allmäliges Untergehen der heidnischen Erinnerungen,
zugleich aber ein naturfreuudliches Christenthum zur Folge hatte.

Bei den Sachsen wurden freilich jene Mittel auch angewendet, ober nicht
zur Vermischung, sondern zur völligen Trennung des Christen- und Heiden-
thums, nicht als Zeichen der freundlichen Einigung, sondern als Siegeszeichen
der stammlich, religiös, politisch und soldatisch verhaßten Sieger. Was Wunder,
daß der Naturcultus bei den Sachsen völlig ins Dunkel der Nacht, in die
Stille der Einsamkeit, in die dämonische Seite der Seele zurückgedrängt, alle
heitern Seiten verlor, und nur die düstern, schauerlichen behielt, und überall,
wo er geübt ward, für ein Zeichen des Abfalls von dem furchtbaren Christeu-
gotte galt, deshalb mit den unerhörtesten Strafen von den weltlichen und geist¬
lichen Herren verfolgt ward, wie in dem Capitularien Karls des Großen
zu lesen.

Kam hierzu noch der ernste, düstere Charakter des von endlosen Wäldern,
grauen Haiden, finstern Mooren und Sümpfen bedeckten, selten mit einem
heitern Himmel geschmückten Tieflandes, rechnet man endlich noch hinzu, daß
der Protestantismus die naturseindlichen Wirkungen der ersten Einführung
des Christenthums bei den meisten Sachsen wiederholt hat, so bedarf es nicht
der willkürlichen Hilfe einer besondern Stammeseigenthümlichkeit des Sachsen,
um seinen fast völlig untergegangenen Sinn sür die Natur, ihre Schönheit wie
Nützlichkeit, zu erklären.

In den Gegenden, wo die katholische Religion herrscht, z. B. in vielen
Theilen Westphalens, ist der Natursinn einigermaßen wieder ausgelebt durch
die Bemühungen der katholischen Geistlichkeit, der Stifter und Klöster, deren
Bewohner stets einen wohlthätigen Einfluß auf den ästhetischen Sinn ihrer
Umwohner hatten, und vor allem durch die Einwirkungen des katholischen
Cultus; völlig erstorben ist er dagegen in allen reformirten Gegenden, da diese
Konfession noch den naturfeindlichen Charakter behauptet, wie er durch Calvin
theoretisch begründet, in Schottland und den Niederlanden praktisch geübt
worden ist. Das Lutherthum steht auch hierin, wie in den meisten andern
Dingen, in der Mitte zwischen der heitern Weltlichkeit des Katholicismus und
der zelotischer Weltverachtung eines Calvin, der die Gebilde der antiken Kunst,
wie die Völker des Alterthums selbst für v-rsa n'anz clivwae erklärte.

Wo dem gemeinen Mann der Sinn für die Natur, ihre Schönheiten und


Deutschen das Christenthum annahmen, enthob die Verbreiter desselben der
Nothwendigkeit, mit Drakonischer Strenge gegen die heidnischen Naturgebräuche
aufzutreten; man verschmolz vielmehr den heidnischen Naturcultus möglichst mit
den Gebräuchen deS Christenthums und seiner Heiligen, von der Eiche des
Donnergottes, aus der man ein heiliges Marienbild hervorwachsen ließ, bis
zu der heidnischen Sage, in der man die Heidengötter in christliche Heilige
wandelte, was alles ein allmäliges Untergehen der heidnischen Erinnerungen,
zugleich aber ein naturfreuudliches Christenthum zur Folge hatte.

Bei den Sachsen wurden freilich jene Mittel auch angewendet, ober nicht
zur Vermischung, sondern zur völligen Trennung des Christen- und Heiden-
thums, nicht als Zeichen der freundlichen Einigung, sondern als Siegeszeichen
der stammlich, religiös, politisch und soldatisch verhaßten Sieger. Was Wunder,
daß der Naturcultus bei den Sachsen völlig ins Dunkel der Nacht, in die
Stille der Einsamkeit, in die dämonische Seite der Seele zurückgedrängt, alle
heitern Seiten verlor, und nur die düstern, schauerlichen behielt, und überall,
wo er geübt ward, für ein Zeichen des Abfalls von dem furchtbaren Christeu-
gotte galt, deshalb mit den unerhörtesten Strafen von den weltlichen und geist¬
lichen Herren verfolgt ward, wie in dem Capitularien Karls des Großen
zu lesen.

Kam hierzu noch der ernste, düstere Charakter des von endlosen Wäldern,
grauen Haiden, finstern Mooren und Sümpfen bedeckten, selten mit einem
heitern Himmel geschmückten Tieflandes, rechnet man endlich noch hinzu, daß
der Protestantismus die naturseindlichen Wirkungen der ersten Einführung
des Christenthums bei den meisten Sachsen wiederholt hat, so bedarf es nicht
der willkürlichen Hilfe einer besondern Stammeseigenthümlichkeit des Sachsen,
um seinen fast völlig untergegangenen Sinn sür die Natur, ihre Schönheit wie
Nützlichkeit, zu erklären.

In den Gegenden, wo die katholische Religion herrscht, z. B. in vielen
Theilen Westphalens, ist der Natursinn einigermaßen wieder ausgelebt durch
die Bemühungen der katholischen Geistlichkeit, der Stifter und Klöster, deren
Bewohner stets einen wohlthätigen Einfluß auf den ästhetischen Sinn ihrer
Umwohner hatten, und vor allem durch die Einwirkungen des katholischen
Cultus; völlig erstorben ist er dagegen in allen reformirten Gegenden, da diese
Konfession noch den naturfeindlichen Charakter behauptet, wie er durch Calvin
theoretisch begründet, in Schottland und den Niederlanden praktisch geübt
worden ist. Das Lutherthum steht auch hierin, wie in den meisten andern
Dingen, in der Mitte zwischen der heitern Weltlichkeit des Katholicismus und
der zelotischer Weltverachtung eines Calvin, der die Gebilde der antiken Kunst,
wie die Völker des Alterthums selbst für v-rsa n'anz clivwae erklärte.

Wo dem gemeinen Mann der Sinn für die Natur, ihre Schönheiten und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0293" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/281444"/>
          <p xml:id="ID_885" prev="#ID_884"> Deutschen das Christenthum annahmen, enthob die Verbreiter desselben der<lb/>
Nothwendigkeit, mit Drakonischer Strenge gegen die heidnischen Naturgebräuche<lb/>
aufzutreten; man verschmolz vielmehr den heidnischen Naturcultus möglichst mit<lb/>
den Gebräuchen deS Christenthums und seiner Heiligen, von der Eiche des<lb/>
Donnergottes, aus der man ein heiliges Marienbild hervorwachsen ließ, bis<lb/>
zu der heidnischen Sage, in der man die Heidengötter in christliche Heilige<lb/>
wandelte, was alles ein allmäliges Untergehen der heidnischen Erinnerungen,<lb/>
zugleich aber ein naturfreuudliches Christenthum zur Folge hatte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_886"> Bei den Sachsen wurden freilich jene Mittel auch angewendet, ober nicht<lb/>
zur Vermischung, sondern zur völligen Trennung des Christen- und Heiden-<lb/>
thums, nicht als Zeichen der freundlichen Einigung, sondern als Siegeszeichen<lb/>
der stammlich, religiös, politisch und soldatisch verhaßten Sieger. Was Wunder,<lb/>
daß der Naturcultus bei den Sachsen völlig ins Dunkel der Nacht, in die<lb/>
Stille der Einsamkeit, in die dämonische Seite der Seele zurückgedrängt, alle<lb/>
heitern Seiten verlor, und nur die düstern, schauerlichen behielt, und überall,<lb/>
wo er geübt ward, für ein Zeichen des Abfalls von dem furchtbaren Christeu-<lb/>
gotte galt, deshalb mit den unerhörtesten Strafen von den weltlichen und geist¬<lb/>
lichen Herren verfolgt ward, wie in dem Capitularien Karls des Großen<lb/>
zu lesen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_887"> Kam hierzu noch der ernste, düstere Charakter des von endlosen Wäldern,<lb/>
grauen Haiden, finstern Mooren und Sümpfen bedeckten, selten mit einem<lb/>
heitern Himmel geschmückten Tieflandes, rechnet man endlich noch hinzu, daß<lb/>
der Protestantismus die naturseindlichen Wirkungen der ersten Einführung<lb/>
des Christenthums bei den meisten Sachsen wiederholt hat, so bedarf es nicht<lb/>
der willkürlichen Hilfe einer besondern Stammeseigenthümlichkeit des Sachsen,<lb/>
um seinen fast völlig untergegangenen Sinn sür die Natur, ihre Schönheit wie<lb/>
Nützlichkeit, zu erklären.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_888"> In den Gegenden, wo die katholische Religion herrscht, z. B. in vielen<lb/>
Theilen Westphalens, ist der Natursinn einigermaßen wieder ausgelebt durch<lb/>
die Bemühungen der katholischen Geistlichkeit, der Stifter und Klöster, deren<lb/>
Bewohner stets einen wohlthätigen Einfluß auf den ästhetischen Sinn ihrer<lb/>
Umwohner hatten, und vor allem durch die Einwirkungen des katholischen<lb/>
Cultus; völlig erstorben ist er dagegen in allen reformirten Gegenden, da diese<lb/>
Konfession noch den naturfeindlichen Charakter behauptet, wie er durch Calvin<lb/>
theoretisch begründet, in Schottland und den Niederlanden praktisch geübt<lb/>
worden ist. Das Lutherthum steht auch hierin, wie in den meisten andern<lb/>
Dingen, in der Mitte zwischen der heitern Weltlichkeit des Katholicismus und<lb/>
der zelotischer Weltverachtung eines Calvin, der die Gebilde der antiken Kunst,<lb/>
wie die Völker des Alterthums selbst für v-rsa n'anz clivwae erklärte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_889" next="#ID_890"> Wo dem gemeinen Mann der Sinn für die Natur, ihre Schönheiten und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0293] Deutschen das Christenthum annahmen, enthob die Verbreiter desselben der Nothwendigkeit, mit Drakonischer Strenge gegen die heidnischen Naturgebräuche aufzutreten; man verschmolz vielmehr den heidnischen Naturcultus möglichst mit den Gebräuchen deS Christenthums und seiner Heiligen, von der Eiche des Donnergottes, aus der man ein heiliges Marienbild hervorwachsen ließ, bis zu der heidnischen Sage, in der man die Heidengötter in christliche Heilige wandelte, was alles ein allmäliges Untergehen der heidnischen Erinnerungen, zugleich aber ein naturfreuudliches Christenthum zur Folge hatte. Bei den Sachsen wurden freilich jene Mittel auch angewendet, ober nicht zur Vermischung, sondern zur völligen Trennung des Christen- und Heiden- thums, nicht als Zeichen der freundlichen Einigung, sondern als Siegeszeichen der stammlich, religiös, politisch und soldatisch verhaßten Sieger. Was Wunder, daß der Naturcultus bei den Sachsen völlig ins Dunkel der Nacht, in die Stille der Einsamkeit, in die dämonische Seite der Seele zurückgedrängt, alle heitern Seiten verlor, und nur die düstern, schauerlichen behielt, und überall, wo er geübt ward, für ein Zeichen des Abfalls von dem furchtbaren Christeu- gotte galt, deshalb mit den unerhörtesten Strafen von den weltlichen und geist¬ lichen Herren verfolgt ward, wie in dem Capitularien Karls des Großen zu lesen. Kam hierzu noch der ernste, düstere Charakter des von endlosen Wäldern, grauen Haiden, finstern Mooren und Sümpfen bedeckten, selten mit einem heitern Himmel geschmückten Tieflandes, rechnet man endlich noch hinzu, daß der Protestantismus die naturseindlichen Wirkungen der ersten Einführung des Christenthums bei den meisten Sachsen wiederholt hat, so bedarf es nicht der willkürlichen Hilfe einer besondern Stammeseigenthümlichkeit des Sachsen, um seinen fast völlig untergegangenen Sinn sür die Natur, ihre Schönheit wie Nützlichkeit, zu erklären. In den Gegenden, wo die katholische Religion herrscht, z. B. in vielen Theilen Westphalens, ist der Natursinn einigermaßen wieder ausgelebt durch die Bemühungen der katholischen Geistlichkeit, der Stifter und Klöster, deren Bewohner stets einen wohlthätigen Einfluß auf den ästhetischen Sinn ihrer Umwohner hatten, und vor allem durch die Einwirkungen des katholischen Cultus; völlig erstorben ist er dagegen in allen reformirten Gegenden, da diese Konfession noch den naturfeindlichen Charakter behauptet, wie er durch Calvin theoretisch begründet, in Schottland und den Niederlanden praktisch geübt worden ist. Das Lutherthum steht auch hierin, wie in den meisten andern Dingen, in der Mitte zwischen der heitern Weltlichkeit des Katholicismus und der zelotischer Weltverachtung eines Calvin, der die Gebilde der antiken Kunst, wie die Völker des Alterthums selbst für v-rsa n'anz clivwae erklärte. Wo dem gemeinen Mann der Sinn für die Natur, ihre Schönheiten und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/293
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/293>, abgerufen am 27.07.2024.