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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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gestaltungen der Daemonik erzeugte, die zum größten Theile noch jetzt in dem
sächsischen Volke von historischer Kraft und Bedeutung sind, und nur zu einem
sehr kleinen Theile von I. Grimm ans Licht gezogen und erläutert wurden; --
die deutschen Mythologen haben überhaupt den sächsischen Stamm am stief¬
mütterlichsten behandelt. --

Es ist nicht unsre Absicht, auf die Neste des Heidenthums hier näher
einzugehen, wir wollen nur daran erinnern, daß dieselben dem Auge der Ge¬
bildeten, insbesondere der Prediger sorgsam entzogen werden, wo es nicht ge¬
lungen, sie mit einer christlichen Autorität auszustatten, wie z. B. bei dem
Herenglauben.

Der heutige altsächsische Bauer besitzt keinen Sinn für die Schönheiten
der Natur. Eine Hauptursache dieser Erscheinung liegt in der gewaltsamen
Weise, in welcher ihm das Christenthum aufgedrungen ward. Denn seine
heidnische Religion war eine Naturreligion, die ihn nothwendigerweise von
der Verehrung auch zur sinnigen Betrachtung der Naturschönheiten führen
mußte; hing er dem Donnergotte das Opferlamm in der Spitze seiner höchsten
Hofeiche auf, so ward sein Auge gezwungen, sich zur Betrachtung und Be¬
wunderung ihrer Pracht emporzurichten; hieß sein Glaube ihn die Todten am
quellenreichen Orte bestatten, so empfand er auch die Schönheit des Baches
im stillen Bergthale, welches sonst sein Fuß nie betreten haben würde; bekränzte
er die den Winterstall verlassende Herde oder das Opferthier mit Blumen, so
achtete er auf die Schönheiten seiner Flora; jedes Thier war ihm der Aus¬
druck einer göttlichen Macht, deshalb ein Gegenstand sorgfältiger Beobachtung
und liebevoller Betrachtung; und Sonne und Mond und Sterne zwangen ihn,
von den Mühen und Kleinigkeiten des irdischen Lebens aufzuschauen zu ihrer
reinen Pracht und einfachen Größe. Das fränkische Christenthum verbot ihm
seine heidnische Naturverehrung mit Feuer und Schwert, hieß ihn vor einem
Gotte knien, für den die Natur keinen Ausdruck hatte, ließ ihn Ceremonien
machen, welche die Natur ihm nicht erklären, und einen Himmel erwarten, den
sie ihm nicht versinnlichen konnte. Was Wunder, daß sein Natursinn in dem¬
selben Maße, als das Christenthum sich seiner bemächtigte, erstarb, und endlich
bis auf jene kümmerlichen Reste erlosch, welche ihm heute noch von der alten
Heidenzeit übriggeblieben sind.

Bevor wir weiter folgern, geben wir eine Antwort auf den wahrscheinlichen
Einwurf, wie dieser behauptete Zusammenhang des Christenthums mit dem
Mangel an Natursinn mit der Thatsache zu reimen sei, daß derselbe bei den
andern deutschen Stämmen sich nicht finde; ob nicht der mangelnde Natursinn
mit größerem Rechte auf die reizlose Natur des sächsischen Tieflandes und die
stammliche Eigenthümlichkeit der Sachsen zurückgeführt werden müsse. Dieser
Einwurf ist nur zum Theil richtig. Die freiwillige Weise, in der die andern


gestaltungen der Daemonik erzeugte, die zum größten Theile noch jetzt in dem
sächsischen Volke von historischer Kraft und Bedeutung sind, und nur zu einem
sehr kleinen Theile von I. Grimm ans Licht gezogen und erläutert wurden; —
die deutschen Mythologen haben überhaupt den sächsischen Stamm am stief¬
mütterlichsten behandelt. —

Es ist nicht unsre Absicht, auf die Neste des Heidenthums hier näher
einzugehen, wir wollen nur daran erinnern, daß dieselben dem Auge der Ge¬
bildeten, insbesondere der Prediger sorgsam entzogen werden, wo es nicht ge¬
lungen, sie mit einer christlichen Autorität auszustatten, wie z. B. bei dem
Herenglauben.

Der heutige altsächsische Bauer besitzt keinen Sinn für die Schönheiten
der Natur. Eine Hauptursache dieser Erscheinung liegt in der gewaltsamen
Weise, in welcher ihm das Christenthum aufgedrungen ward. Denn seine
heidnische Religion war eine Naturreligion, die ihn nothwendigerweise von
der Verehrung auch zur sinnigen Betrachtung der Naturschönheiten führen
mußte; hing er dem Donnergotte das Opferlamm in der Spitze seiner höchsten
Hofeiche auf, so ward sein Auge gezwungen, sich zur Betrachtung und Be¬
wunderung ihrer Pracht emporzurichten; hieß sein Glaube ihn die Todten am
quellenreichen Orte bestatten, so empfand er auch die Schönheit des Baches
im stillen Bergthale, welches sonst sein Fuß nie betreten haben würde; bekränzte
er die den Winterstall verlassende Herde oder das Opferthier mit Blumen, so
achtete er auf die Schönheiten seiner Flora; jedes Thier war ihm der Aus¬
druck einer göttlichen Macht, deshalb ein Gegenstand sorgfältiger Beobachtung
und liebevoller Betrachtung; und Sonne und Mond und Sterne zwangen ihn,
von den Mühen und Kleinigkeiten des irdischen Lebens aufzuschauen zu ihrer
reinen Pracht und einfachen Größe. Das fränkische Christenthum verbot ihm
seine heidnische Naturverehrung mit Feuer und Schwert, hieß ihn vor einem
Gotte knien, für den die Natur keinen Ausdruck hatte, ließ ihn Ceremonien
machen, welche die Natur ihm nicht erklären, und einen Himmel erwarten, den
sie ihm nicht versinnlichen konnte. Was Wunder, daß sein Natursinn in dem¬
selben Maße, als das Christenthum sich seiner bemächtigte, erstarb, und endlich
bis auf jene kümmerlichen Reste erlosch, welche ihm heute noch von der alten
Heidenzeit übriggeblieben sind.

Bevor wir weiter folgern, geben wir eine Antwort auf den wahrscheinlichen
Einwurf, wie dieser behauptete Zusammenhang des Christenthums mit dem
Mangel an Natursinn mit der Thatsache zu reimen sei, daß derselbe bei den
andern deutschen Stämmen sich nicht finde; ob nicht der mangelnde Natursinn
mit größerem Rechte auf die reizlose Natur des sächsischen Tieflandes und die
stammliche Eigenthümlichkeit der Sachsen zurückgeführt werden müsse. Dieser
Einwurf ist nur zum Theil richtig. Die freiwillige Weise, in der die andern


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[0292] gestaltungen der Daemonik erzeugte, die zum größten Theile noch jetzt in dem sächsischen Volke von historischer Kraft und Bedeutung sind, und nur zu einem sehr kleinen Theile von I. Grimm ans Licht gezogen und erläutert wurden; — die deutschen Mythologen haben überhaupt den sächsischen Stamm am stief¬ mütterlichsten behandelt. — Es ist nicht unsre Absicht, auf die Neste des Heidenthums hier näher einzugehen, wir wollen nur daran erinnern, daß dieselben dem Auge der Ge¬ bildeten, insbesondere der Prediger sorgsam entzogen werden, wo es nicht ge¬ lungen, sie mit einer christlichen Autorität auszustatten, wie z. B. bei dem Herenglauben. Der heutige altsächsische Bauer besitzt keinen Sinn für die Schönheiten der Natur. Eine Hauptursache dieser Erscheinung liegt in der gewaltsamen Weise, in welcher ihm das Christenthum aufgedrungen ward. Denn seine heidnische Religion war eine Naturreligion, die ihn nothwendigerweise von der Verehrung auch zur sinnigen Betrachtung der Naturschönheiten führen mußte; hing er dem Donnergotte das Opferlamm in der Spitze seiner höchsten Hofeiche auf, so ward sein Auge gezwungen, sich zur Betrachtung und Be¬ wunderung ihrer Pracht emporzurichten; hieß sein Glaube ihn die Todten am quellenreichen Orte bestatten, so empfand er auch die Schönheit des Baches im stillen Bergthale, welches sonst sein Fuß nie betreten haben würde; bekränzte er die den Winterstall verlassende Herde oder das Opferthier mit Blumen, so achtete er auf die Schönheiten seiner Flora; jedes Thier war ihm der Aus¬ druck einer göttlichen Macht, deshalb ein Gegenstand sorgfältiger Beobachtung und liebevoller Betrachtung; und Sonne und Mond und Sterne zwangen ihn, von den Mühen und Kleinigkeiten des irdischen Lebens aufzuschauen zu ihrer reinen Pracht und einfachen Größe. Das fränkische Christenthum verbot ihm seine heidnische Naturverehrung mit Feuer und Schwert, hieß ihn vor einem Gotte knien, für den die Natur keinen Ausdruck hatte, ließ ihn Ceremonien machen, welche die Natur ihm nicht erklären, und einen Himmel erwarten, den sie ihm nicht versinnlichen konnte. Was Wunder, daß sein Natursinn in dem¬ selben Maße, als das Christenthum sich seiner bemächtigte, erstarb, und endlich bis auf jene kümmerlichen Reste erlosch, welche ihm heute noch von der alten Heidenzeit übriggeblieben sind. Bevor wir weiter folgern, geben wir eine Antwort auf den wahrscheinlichen Einwurf, wie dieser behauptete Zusammenhang des Christenthums mit dem Mangel an Natursinn mit der Thatsache zu reimen sei, daß derselbe bei den andern deutschen Stämmen sich nicht finde; ob nicht der mangelnde Natursinn mit größerem Rechte auf die reizlose Natur des sächsischen Tieflandes und die stammliche Eigenthümlichkeit der Sachsen zurückgeführt werden müsse. Dieser Einwurf ist nur zum Theil richtig. Die freiwillige Weise, in der die andern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/292>, abgerufen am 27.07.2024.