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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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zwischen Nord- und Süddeutschland aufgeführt haben, und die noch heutzutage
so völlig erhalten ist, daß selbst der achtloseste Reisende die in Sprache, Sitte
und Wohnweise völlig erhaltenen Stammverschiedenheiten erkennen muß.
Zur genaueren statistischen Bezeichnung des altsächsischen Bauernstandes inner¬
halb dieser geographischen Grenzen gehören folgende Hauptpunkte: der Nach¬
weis eines hohen Alters der Bauerschaft, gemeinlich ausschließliche Be¬
schäftigung mit dem Ackerbau, keine oder wenig Heuerlente, geringe Berührung
mit großstädtischer oder einer Fabrikbevölkerung, und keine örtlich directe Ab¬
hängigkeit in den Feudalzeiten von einem Stifts-, Kloster- oder Adelshofe;
ein altgermanischer Name und. altsächsische Körperbildung, Sprache, Sitte und
Lebensweise, mit einem Worte die äußeren Kennzeichen des altsächsischen
Bauern, bei deren Vorhandensein auch diejenigen Bildungszüge sich finden
werden, von denen wir nachstehendes Bild entwerfen wollen.

Die Grundlage derselben ist eine heidnische Weltanschauung, welche in¬
folge ihrer Versetzung und Uebertünchung mit den Anschauungen des Christen¬
thums und modificirt durch die historischen Erlebnisse des sächsischen Bauern¬
standes gegenwärtig sich in einer Weise offenbart, die der oberflächlichen
Beobachtung nur als das Resultat eines rohen Boeotcnthums erscheint, in
der Wirklichkeit aber auf den Wirkungen einer nur scheinbar, nur äußerlich
untergegangenen Weltanschauung beruht. Die Geschichte erzählt, wie die
Sachsen und Friesen ganz im Gegensatze zu den andern germanischen Völkern,
die fast unbegreiflich schnell das Heidenthum mit dem Christenthum" ver¬
tauschten, mit einer echt norddeutschen Zähigkeit sich der verhaßten neuen Lehre
erwehrten, und nur nach einem dreißigjährigen Vertilgungskampfe, nach theil¬
weiser Ausrottung der edelsten Geschlechter, zu denen auch die Priester gehörten,
unter der Confiscation einer Unzahl von Gemeinde- und Privatgütern für
fremde, geistliche und weltliche Herren ihrer religiösen und politischen Unab¬
hängigkeit entsagten; aber die historischen, lediglich von fränkischen und christ¬
lichen Autoren herstammenden Documente reden die Unwahrheit, wenn sie uns
glauben machen wollen, daß bei dem schließljchen Massenübertritte des sächsischen
Volkes die religiöse bessere Ueberzeugung ein irgend bedeutendes Moment ge¬
wesen sei, sondern nur das blutige Schlacht- und Henkersschwert des furcht¬
baren Karl, das Damoklesschwert der Confiscation, mit der in jener Zeit die
völlige Vernichtung des Staatsbürgers ausgesprochen war, sowie die Drakoni¬
schen Strafen, welche zum Schutz der neuen und Ausrottung der alten Lehre
verhängt wurden, ließen die Sachsen gehorchen, aber noch lange nicht glauben.

Der Heidenglaube zog sich in die Geheimnisse der Haiden, Wälder, der
Nacht und schließlich, als man mit dem Verstände schon die Lehren des Christen¬
thums bekannte, in die des Gemüthes zurück, wo er, versetzt mit den dämoni¬
schen Gestalten und Erzählungen der christlichen Dogmatik jene seltsamen Neu-


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zwischen Nord- und Süddeutschland aufgeführt haben, und die noch heutzutage
so völlig erhalten ist, daß selbst der achtloseste Reisende die in Sprache, Sitte
und Wohnweise völlig erhaltenen Stammverschiedenheiten erkennen muß.
Zur genaueren statistischen Bezeichnung des altsächsischen Bauernstandes inner¬
halb dieser geographischen Grenzen gehören folgende Hauptpunkte: der Nach¬
weis eines hohen Alters der Bauerschaft, gemeinlich ausschließliche Be¬
schäftigung mit dem Ackerbau, keine oder wenig Heuerlente, geringe Berührung
mit großstädtischer oder einer Fabrikbevölkerung, und keine örtlich directe Ab¬
hängigkeit in den Feudalzeiten von einem Stifts-, Kloster- oder Adelshofe;
ein altgermanischer Name und. altsächsische Körperbildung, Sprache, Sitte und
Lebensweise, mit einem Worte die äußeren Kennzeichen des altsächsischen
Bauern, bei deren Vorhandensein auch diejenigen Bildungszüge sich finden
werden, von denen wir nachstehendes Bild entwerfen wollen.

Die Grundlage derselben ist eine heidnische Weltanschauung, welche in¬
folge ihrer Versetzung und Uebertünchung mit den Anschauungen des Christen¬
thums und modificirt durch die historischen Erlebnisse des sächsischen Bauern¬
standes gegenwärtig sich in einer Weise offenbart, die der oberflächlichen
Beobachtung nur als das Resultat eines rohen Boeotcnthums erscheint, in
der Wirklichkeit aber auf den Wirkungen einer nur scheinbar, nur äußerlich
untergegangenen Weltanschauung beruht. Die Geschichte erzählt, wie die
Sachsen und Friesen ganz im Gegensatze zu den andern germanischen Völkern,
die fast unbegreiflich schnell das Heidenthum mit dem Christenthum« ver¬
tauschten, mit einer echt norddeutschen Zähigkeit sich der verhaßten neuen Lehre
erwehrten, und nur nach einem dreißigjährigen Vertilgungskampfe, nach theil¬
weiser Ausrottung der edelsten Geschlechter, zu denen auch die Priester gehörten,
unter der Confiscation einer Unzahl von Gemeinde- und Privatgütern für
fremde, geistliche und weltliche Herren ihrer religiösen und politischen Unab¬
hängigkeit entsagten; aber die historischen, lediglich von fränkischen und christ¬
lichen Autoren herstammenden Documente reden die Unwahrheit, wenn sie uns
glauben machen wollen, daß bei dem schließljchen Massenübertritte des sächsischen
Volkes die religiöse bessere Ueberzeugung ein irgend bedeutendes Moment ge¬
wesen sei, sondern nur das blutige Schlacht- und Henkersschwert des furcht¬
baren Karl, das Damoklesschwert der Confiscation, mit der in jener Zeit die
völlige Vernichtung des Staatsbürgers ausgesprochen war, sowie die Drakoni¬
schen Strafen, welche zum Schutz der neuen und Ausrottung der alten Lehre
verhängt wurden, ließen die Sachsen gehorchen, aber noch lange nicht glauben.

Der Heidenglaube zog sich in die Geheimnisse der Haiden, Wälder, der
Nacht und schließlich, als man mit dem Verstände schon die Lehren des Christen¬
thums bekannte, in die des Gemüthes zurück, wo er, versetzt mit den dämoni¬
schen Gestalten und Erzählungen der christlichen Dogmatik jene seltsamen Neu-


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[0291] zwischen Nord- und Süddeutschland aufgeführt haben, und die noch heutzutage so völlig erhalten ist, daß selbst der achtloseste Reisende die in Sprache, Sitte und Wohnweise völlig erhaltenen Stammverschiedenheiten erkennen muß. Zur genaueren statistischen Bezeichnung des altsächsischen Bauernstandes inner¬ halb dieser geographischen Grenzen gehören folgende Hauptpunkte: der Nach¬ weis eines hohen Alters der Bauerschaft, gemeinlich ausschließliche Be¬ schäftigung mit dem Ackerbau, keine oder wenig Heuerlente, geringe Berührung mit großstädtischer oder einer Fabrikbevölkerung, und keine örtlich directe Ab¬ hängigkeit in den Feudalzeiten von einem Stifts-, Kloster- oder Adelshofe; ein altgermanischer Name und. altsächsische Körperbildung, Sprache, Sitte und Lebensweise, mit einem Worte die äußeren Kennzeichen des altsächsischen Bauern, bei deren Vorhandensein auch diejenigen Bildungszüge sich finden werden, von denen wir nachstehendes Bild entwerfen wollen. Die Grundlage derselben ist eine heidnische Weltanschauung, welche in¬ folge ihrer Versetzung und Uebertünchung mit den Anschauungen des Christen¬ thums und modificirt durch die historischen Erlebnisse des sächsischen Bauern¬ standes gegenwärtig sich in einer Weise offenbart, die der oberflächlichen Beobachtung nur als das Resultat eines rohen Boeotcnthums erscheint, in der Wirklichkeit aber auf den Wirkungen einer nur scheinbar, nur äußerlich untergegangenen Weltanschauung beruht. Die Geschichte erzählt, wie die Sachsen und Friesen ganz im Gegensatze zu den andern germanischen Völkern, die fast unbegreiflich schnell das Heidenthum mit dem Christenthum« ver¬ tauschten, mit einer echt norddeutschen Zähigkeit sich der verhaßten neuen Lehre erwehrten, und nur nach einem dreißigjährigen Vertilgungskampfe, nach theil¬ weiser Ausrottung der edelsten Geschlechter, zu denen auch die Priester gehörten, unter der Confiscation einer Unzahl von Gemeinde- und Privatgütern für fremde, geistliche und weltliche Herren ihrer religiösen und politischen Unab¬ hängigkeit entsagten; aber die historischen, lediglich von fränkischen und christ¬ lichen Autoren herstammenden Documente reden die Unwahrheit, wenn sie uns glauben machen wollen, daß bei dem schließljchen Massenübertritte des sächsischen Volkes die religiöse bessere Ueberzeugung ein irgend bedeutendes Moment ge¬ wesen sei, sondern nur das blutige Schlacht- und Henkersschwert des furcht¬ baren Karl, das Damoklesschwert der Confiscation, mit der in jener Zeit die völlige Vernichtung des Staatsbürgers ausgesprochen war, sowie die Drakoni¬ schen Strafen, welche zum Schutz der neuen und Ausrottung der alten Lehre verhängt wurden, ließen die Sachsen gehorchen, aber noch lange nicht glauben. Der Heidenglaube zog sich in die Geheimnisse der Haiden, Wälder, der Nacht und schließlich, als man mit dem Verstände schon die Lehren des Christen¬ thums bekannte, in die des Gemüthes zurück, wo er, versetzt mit den dämoni¬ schen Gestalten und Erzählungen der christlichen Dogmatik jene seltsamen Neu- 36*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/291>, abgerufen am 27.07.2024.