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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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leiten hatte, nicht gemacht worden; auch die jüngsten blutigen Kämpfe vor
Silistria waren nur partielle.

Diese Humanität, welche gern Menschenleben schont und davor zurück¬
weicht, sie in Masse zu opfern, that keineswegs der Energie des Schilderschen
Charakters Eintrag. Im Gegentheil war er ein sehr entschiedner Mann und
dem gegenüber wenige Schwierigkeiten festen Bestand hatten. Er war es na¬
mentlich, der die Basirungsmanie im russischen Generalstabe unablässig be¬
kämpfte, vermöge welcher jeder Schritt, den man nach vorwärts thue, zuvor
vorbereitet und auf den Fall des Mißlingens Rücksicht genommen werden sollte.
Um Erfolge haben zu können, muß man im Stande sein, streckenweis im Ge¬
schwindschritt zu avanciren, pflegte er zu sagen; übergroße Vorsicht ist beim
Angriffskriege nicht am rechten Orte, weil man damit ein Element vergeudet,
welches auch seinen Werth hat: die Zeit! Man thue was man will dann,
wenn man es will; einige Tage darnach werden die Umstände schon andere
und möglicherweise die Sache unausführbar geworden sein.

Bei dem allen war General-Schilder im Grunde genommen das, was
man einen Sonderling nennt. In seiner Natur lag ein Hang nach jener
Richtung der Weltanschauung hin, die in frühern Zeiten der eigentliche Frucht¬
boden des Aberglaubens geworden ist, auf welcher ein Swedenborg fußte und
die in der neuesten Zeit in dem Mesmerismus, in der Lehre vom Ob und in
der Narrheit des Tischrückens einen Anhalt sucht. Er scheute sich nicht, offen
zu gestehen, daß er mit den Klopfgeistern im Verkehr und ganz vornämlich
in einem nahen und directen Rapport mit der abgeschiedenen Seele seines
höchstseligen Zaren Alexander stehe. Derselbe habe ihm über den gegenwärtigen
Krieg zu mehren Malen Mittheilungen gemacht, und zur Zeit des russischen
Donauüberganges^im März 1856) habe er ihn wissen lassen, die Campagne
sei ein Krieg vor Festungen und finde seinen Mittel- und Entscheidungspunkt
in diesen.

Wie sehr er auch geneigt war, das Leben anderer zu schonen und mit dem
Blute seiner Untergebenen zu geizen, lag es dennoch in seiner excentrischen
Art, sich selbst über die Gebühr auszusetzen. Die Kugeln regneten nicht selten
um ihn her, und oft schien es, als besäße der Mann, welcher sich ihnen so
rücksichtslos aussetzte, ein gefeites Leben. Bei dem gemeinen Mann stand
diese Meinung auch völlig fest, und wurde von diesem mit des Generals weit
und breit bekanntem Verkehr mit den Abgeschiedenen in Verbindung gebracht-
Es mag heute wenige Führer geben, die sich rühmen können, wie Schilder
ein Souper im Bereich des feindlichen directen Feuers eingenommen zu haben-
Als der Donauübergang vorbereitet wurde, ließ er das Dampfschiff, auf dem
er eben soupirte, in die Nähe des feindlichen Ufers steuern, wohin kaum die
russischen Kanonenboote nachzufolgen wagten.


leiten hatte, nicht gemacht worden; auch die jüngsten blutigen Kämpfe vor
Silistria waren nur partielle.

Diese Humanität, welche gern Menschenleben schont und davor zurück¬
weicht, sie in Masse zu opfern, that keineswegs der Energie des Schilderschen
Charakters Eintrag. Im Gegentheil war er ein sehr entschiedner Mann und
dem gegenüber wenige Schwierigkeiten festen Bestand hatten. Er war es na¬
mentlich, der die Basirungsmanie im russischen Generalstabe unablässig be¬
kämpfte, vermöge welcher jeder Schritt, den man nach vorwärts thue, zuvor
vorbereitet und auf den Fall des Mißlingens Rücksicht genommen werden sollte.
Um Erfolge haben zu können, muß man im Stande sein, streckenweis im Ge¬
schwindschritt zu avanciren, pflegte er zu sagen; übergroße Vorsicht ist beim
Angriffskriege nicht am rechten Orte, weil man damit ein Element vergeudet,
welches auch seinen Werth hat: die Zeit! Man thue was man will dann,
wenn man es will; einige Tage darnach werden die Umstände schon andere
und möglicherweise die Sache unausführbar geworden sein.

Bei dem allen war General-Schilder im Grunde genommen das, was
man einen Sonderling nennt. In seiner Natur lag ein Hang nach jener
Richtung der Weltanschauung hin, die in frühern Zeiten der eigentliche Frucht¬
boden des Aberglaubens geworden ist, auf welcher ein Swedenborg fußte und
die in der neuesten Zeit in dem Mesmerismus, in der Lehre vom Ob und in
der Narrheit des Tischrückens einen Anhalt sucht. Er scheute sich nicht, offen
zu gestehen, daß er mit den Klopfgeistern im Verkehr und ganz vornämlich
in einem nahen und directen Rapport mit der abgeschiedenen Seele seines
höchstseligen Zaren Alexander stehe. Derselbe habe ihm über den gegenwärtigen
Krieg zu mehren Malen Mittheilungen gemacht, und zur Zeit des russischen
Donauüberganges^im März 1856) habe er ihn wissen lassen, die Campagne
sei ein Krieg vor Festungen und finde seinen Mittel- und Entscheidungspunkt
in diesen.

Wie sehr er auch geneigt war, das Leben anderer zu schonen und mit dem
Blute seiner Untergebenen zu geizen, lag es dennoch in seiner excentrischen
Art, sich selbst über die Gebühr auszusetzen. Die Kugeln regneten nicht selten
um ihn her, und oft schien es, als besäße der Mann, welcher sich ihnen so
rücksichtslos aussetzte, ein gefeites Leben. Bei dem gemeinen Mann stand
diese Meinung auch völlig fest, und wurde von diesem mit des Generals weit
und breit bekanntem Verkehr mit den Abgeschiedenen in Verbindung gebracht-
Es mag heute wenige Führer geben, die sich rühmen können, wie Schilder
ein Souper im Bereich des feindlichen directen Feuers eingenommen zu haben-
Als der Donauübergang vorbereitet wurde, ließ er das Dampfschiff, auf dem
er eben soupirte, in die Nähe des feindlichen Ufers steuern, wohin kaum die
russischen Kanonenboote nachzufolgen wagten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/274>, abgerufen am 27.07.2024.