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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Ich bin nicht genauer vom Alter des hier in Rede stehenden Ingenieur-
generals unterrichtet. Im Jahre 1828 commandirte er vor Varna bereits in
der Eigenschaft eines Generals neben seinem Kameraden Trousson und unter
den Augen des Zaren Nikolaus, der früher als Großfürst selbst geraume Zeit
hindurch dem Geniewcsen vorgestanden hatte. Wenn er damals, was wahrschein¬
lich, über vierzig Jahre alt war, so konnte er bei seinem Tode nicht mehr fern von
den Siebenzig sein, woraus man es sich erklären kann, warum er im Lager schlecht¬
weg der Alte oder auch wol der "kluge Alte" hieß, eine Auszeichnung , die weder
Paskewitsch noch Gortschakoff jemals zu Theil geworden ist. Letzterer wurde
wol niemals hochgeschätzt und verdankt seine Verwendung in erster Linie sicherlich
nur dem altrussischen Fürstennamen; der Fürst von Warschau aber war bei der
Generalität wenig beliebt, wenn ich nicht irre wegen seines hochfahrenden und
abstoßenden Wesens. Man nannte ihn den Großen, den Gewaltigen; aber
ein beifälliges und populäres Prädicat hat er sich nie zu erringen vermocht.

Als Mensch gehörte General Schilder zu den liebenswürdigen Naturen;
er war ganz außerordentlich beliebt bei dem gemeinen Mann wie bei seinen
höhern Untergebenen und genoß das Vertrauen des Kaisers in einem seltnen
Maße. Immer heiter, immer zum Scherzen und Reden aufgelegt, ein Meister
in der Kunst, eine allgemeine Conversation zu leiten und sich zum,AusgangS-
und Mittelpunkt derselben zu machen, ohne dabei für irgend jemanden eine
Schranke zu setzen und Zwang aufzulegen, war er sozusagen der Focus alles
^eistcslebens im Heerlager der activen Armee und sein Quartier der Punkt,
>u welchem sich alle begegneten, denen es. Bedürfniß war, ihre Meinungen
auszutauschen oder einem solchen Austausch beizuwohnen.

Selten ist ein russischer General humaner gewesen wie er. ES lag in
ihm ein tiefer moralischer Widerwille gegen jene in dem Lande, welchem er
diente, nur allzubeliebte Form des Krieges, welche den Verlust an Menschen¬
leben, mie groß er auch immerhin sein mag, für gering erachtet, wenn nur
damit der Zweck der Operation erreicht wird. Im vollsten Maße war er sich
>n dieser Hinsicht seines Berufs als Ingenieur, als General von der Schutz-
^passe bewußt, deren Bestimmung es allerdings ist, den eignen Truppen
einen Schild allerwärts vorzubauen, wo dieselben andernfalls den härtesten
Schlägen ausgesetzt sein würden. Während des Krieges von 1809--12 hatte
man noch die Methode SuwaroffS gegen türkische Festungen im Gebrauch:
ohne viel Zeit zu verlieren rückte man zum Sturm heran und nahm sie ent¬
weder oder ergab sich in das Schicksal, mit dem Verlust von vielen Tausenden
zurückgeschlagen zu werden. Man kann dreist behaupten, daß General Schilder
erste russische Ingenieur gewesen ist, der seiner Wissenschaft im Kriegsrathe
Geltung zu verschaffen gewußt und demgemäß die moderirte Angriffsweise ein¬
geführt hat. Allgemeine Sturmversuche sind in den Belagerungen, die er zu


Grenzbote". III. i8lU>.

Ich bin nicht genauer vom Alter des hier in Rede stehenden Ingenieur-
generals unterrichtet. Im Jahre 1828 commandirte er vor Varna bereits in
der Eigenschaft eines Generals neben seinem Kameraden Trousson und unter
den Augen des Zaren Nikolaus, der früher als Großfürst selbst geraume Zeit
hindurch dem Geniewcsen vorgestanden hatte. Wenn er damals, was wahrschein¬
lich, über vierzig Jahre alt war, so konnte er bei seinem Tode nicht mehr fern von
den Siebenzig sein, woraus man es sich erklären kann, warum er im Lager schlecht¬
weg der Alte oder auch wol der „kluge Alte" hieß, eine Auszeichnung , die weder
Paskewitsch noch Gortschakoff jemals zu Theil geworden ist. Letzterer wurde
wol niemals hochgeschätzt und verdankt seine Verwendung in erster Linie sicherlich
nur dem altrussischen Fürstennamen; der Fürst von Warschau aber war bei der
Generalität wenig beliebt, wenn ich nicht irre wegen seines hochfahrenden und
abstoßenden Wesens. Man nannte ihn den Großen, den Gewaltigen; aber
ein beifälliges und populäres Prädicat hat er sich nie zu erringen vermocht.

Als Mensch gehörte General Schilder zu den liebenswürdigen Naturen;
er war ganz außerordentlich beliebt bei dem gemeinen Mann wie bei seinen
höhern Untergebenen und genoß das Vertrauen des Kaisers in einem seltnen
Maße. Immer heiter, immer zum Scherzen und Reden aufgelegt, ein Meister
in der Kunst, eine allgemeine Conversation zu leiten und sich zum,AusgangS-
und Mittelpunkt derselben zu machen, ohne dabei für irgend jemanden eine
Schranke zu setzen und Zwang aufzulegen, war er sozusagen der Focus alles
^eistcslebens im Heerlager der activen Armee und sein Quartier der Punkt,
>u welchem sich alle begegneten, denen es. Bedürfniß war, ihre Meinungen
auszutauschen oder einem solchen Austausch beizuwohnen.

Selten ist ein russischer General humaner gewesen wie er. ES lag in
ihm ein tiefer moralischer Widerwille gegen jene in dem Lande, welchem er
diente, nur allzubeliebte Form des Krieges, welche den Verlust an Menschen¬
leben, mie groß er auch immerhin sein mag, für gering erachtet, wenn nur
damit der Zweck der Operation erreicht wird. Im vollsten Maße war er sich
>n dieser Hinsicht seines Berufs als Ingenieur, als General von der Schutz-
^passe bewußt, deren Bestimmung es allerdings ist, den eignen Truppen
einen Schild allerwärts vorzubauen, wo dieselben andernfalls den härtesten
Schlägen ausgesetzt sein würden. Während des Krieges von 1809—12 hatte
man noch die Methode SuwaroffS gegen türkische Festungen im Gebrauch:
ohne viel Zeit zu verlieren rückte man zum Sturm heran und nahm sie ent¬
weder oder ergab sich in das Schicksal, mit dem Verlust von vielen Tausenden
zurückgeschlagen zu werden. Man kann dreist behaupten, daß General Schilder
erste russische Ingenieur gewesen ist, der seiner Wissenschaft im Kriegsrathe
Geltung zu verschaffen gewußt und demgemäß die moderirte Angriffsweise ein¬
geführt hat. Allgemeine Sturmversuche sind in den Belagerungen, die er zu


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[0273] Ich bin nicht genauer vom Alter des hier in Rede stehenden Ingenieur- generals unterrichtet. Im Jahre 1828 commandirte er vor Varna bereits in der Eigenschaft eines Generals neben seinem Kameraden Trousson und unter den Augen des Zaren Nikolaus, der früher als Großfürst selbst geraume Zeit hindurch dem Geniewcsen vorgestanden hatte. Wenn er damals, was wahrschein¬ lich, über vierzig Jahre alt war, so konnte er bei seinem Tode nicht mehr fern von den Siebenzig sein, woraus man es sich erklären kann, warum er im Lager schlecht¬ weg der Alte oder auch wol der „kluge Alte" hieß, eine Auszeichnung , die weder Paskewitsch noch Gortschakoff jemals zu Theil geworden ist. Letzterer wurde wol niemals hochgeschätzt und verdankt seine Verwendung in erster Linie sicherlich nur dem altrussischen Fürstennamen; der Fürst von Warschau aber war bei der Generalität wenig beliebt, wenn ich nicht irre wegen seines hochfahrenden und abstoßenden Wesens. Man nannte ihn den Großen, den Gewaltigen; aber ein beifälliges und populäres Prädicat hat er sich nie zu erringen vermocht. Als Mensch gehörte General Schilder zu den liebenswürdigen Naturen; er war ganz außerordentlich beliebt bei dem gemeinen Mann wie bei seinen höhern Untergebenen und genoß das Vertrauen des Kaisers in einem seltnen Maße. Immer heiter, immer zum Scherzen und Reden aufgelegt, ein Meister in der Kunst, eine allgemeine Conversation zu leiten und sich zum,AusgangS- und Mittelpunkt derselben zu machen, ohne dabei für irgend jemanden eine Schranke zu setzen und Zwang aufzulegen, war er sozusagen der Focus alles ^eistcslebens im Heerlager der activen Armee und sein Quartier der Punkt, >u welchem sich alle begegneten, denen es. Bedürfniß war, ihre Meinungen auszutauschen oder einem solchen Austausch beizuwohnen. Selten ist ein russischer General humaner gewesen wie er. ES lag in ihm ein tiefer moralischer Widerwille gegen jene in dem Lande, welchem er diente, nur allzubeliebte Form des Krieges, welche den Verlust an Menschen¬ leben, mie groß er auch immerhin sein mag, für gering erachtet, wenn nur damit der Zweck der Operation erreicht wird. Im vollsten Maße war er sich >n dieser Hinsicht seines Berufs als Ingenieur, als General von der Schutz- ^passe bewußt, deren Bestimmung es allerdings ist, den eignen Truppen einen Schild allerwärts vorzubauen, wo dieselben andernfalls den härtesten Schlägen ausgesetzt sein würden. Während des Krieges von 1809—12 hatte man noch die Methode SuwaroffS gegen türkische Festungen im Gebrauch: ohne viel Zeit zu verlieren rückte man zum Sturm heran und nahm sie ent¬ weder oder ergab sich in das Schicksal, mit dem Verlust von vielen Tausenden zurückgeschlagen zu werden. Man kann dreist behaupten, daß General Schilder erste russische Ingenieur gewesen ist, der seiner Wissenschaft im Kriegsrathe Geltung zu verschaffen gewußt und demgemäß die moderirte Angriffsweise ein¬ geführt hat. Allgemeine Sturmversuche sind in den Belagerungen, die er zu Grenzbote». III. i8lU>.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/273>, abgerufen am 01.09.2024.