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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Man hat Schilder in jüngster Zeit vielfach einer gewissen Großsprecherei
geziehen, und dieser Vorwurf trifft ihn nicht ganz unbegründet. sanguinisch
wie er war maß er, bevor er etwas unternahm, selten die Consequenzen aus
und berechnete meistens die feindlichen Kräfte zu gering. So hatte er sich
vermessen, die Festung Silistria, deren vorgeschobene Werke, wie er wohl wußte,
von preußischer Hand herrührten, binnen zwölf Tagen zum Fall bringen zu
können. Aber nachdem die Belagerung vom rechten Ufer bereits neun und
Zwanzig Tage gewährt hatte, innerhalb welcher die Russen den türkischen Schan¬
zen gegenüber vergebens fünfzehn Batterien aufgeführt und umsonst -10,000
Mann geopfert hatten, mußte er zu der Ueberzeugung gelangen, daß sein Urtheil
diesmal fehlgegangen sei. An demselben Tage erhielt er die verhängnißvolle
Schußwunde im Oberschenkel, in deren Folge er starb.

Wenn ich dem Werthe Schilders als Mensch und zugleich als militäri¬
scher Charakter alle Anerkennung zu zollen bemüht gewesen bin, kann ich nicht
umhin, ihm den Vorwurf zu machen, daß er eben nur unter den russischen
Ingenieuren, keineswegs aber allgemein genommen unter den Männern seines
Fachs in erster Linie dastand. Ich kenne nicht den Antheil, welcher ihm in
Rücksicht auf die Ausführung der russischen großartigen Befestigungen an der
Weichsel zukommt; was er für die permanente Befestigungskunst leistete, muß
mithin hier außer Betracht bleiben. Im Felde hat er, wenn man genauer auf
die von ihm geleiteten Bclageruugsarbeiten und auf seine zeitweiligen Orts-
bcfestigungen eingeht, nichts Außerordentliches geleistet. Man begegnet dann
und wann sogar, bei den von ihm überwachten und entworfenen Operationen
einem entschiedenen Mangel an Urtheil. Dabei war Schilder von dem Ehr¬
geiz besessen, ein Neuerer in seinem Fach zu sein. Er ist der Erfinder der so¬
genannten Envcloppcscharten oder der neuen russischen Methode, Batterien zu
"bauen. Sie haben sich -- und das war vorauszusehen -- schlecht bewährt.
Die türkischen Geschütze gewannen, vielleicht grade auf Grund der unpraktischen
Neuerung, stets schnell das Uebergewicht über die russischen Stücke und demoli¬
erten die modernen Schilderschen Scharten in der Regel so gründlich, daß
sie nicht wiederhergestellt werden konnten. Eine andre Schrulle des Generals
war es, hölzerne Blendkanonen auf Lafette^ aufzustellen, um den Feind
über die Feuerkraft der russischen Batterien und Werke zu täuschen. Nirgends
wendete er diese Gaukelei in ausgedehnterem Maßstabe an, als bei den pro¬
visorischen Befestigungen von Galacz und Braila, d. h. auf dem walachischen
^f"' und zu einer Zeit, wo er, da die Türken dieselben' nicht bedrohten, kaum
"'"e Absicht damit verbinden konnte.

Der Widerstand, auf welchen er am Ende seiner Laufbahn vor Silistria
gestoßen, scheint den General ganz außer Fassung gebracht zu haben. Seine
Maßregeln, die hier stellenweise durch ihre Zweckwidrigkeit frappiren, würden


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Man hat Schilder in jüngster Zeit vielfach einer gewissen Großsprecherei
geziehen, und dieser Vorwurf trifft ihn nicht ganz unbegründet. sanguinisch
wie er war maß er, bevor er etwas unternahm, selten die Consequenzen aus
und berechnete meistens die feindlichen Kräfte zu gering. So hatte er sich
vermessen, die Festung Silistria, deren vorgeschobene Werke, wie er wohl wußte,
von preußischer Hand herrührten, binnen zwölf Tagen zum Fall bringen zu
können. Aber nachdem die Belagerung vom rechten Ufer bereits neun und
Zwanzig Tage gewährt hatte, innerhalb welcher die Russen den türkischen Schan¬
zen gegenüber vergebens fünfzehn Batterien aufgeführt und umsonst -10,000
Mann geopfert hatten, mußte er zu der Ueberzeugung gelangen, daß sein Urtheil
diesmal fehlgegangen sei. An demselben Tage erhielt er die verhängnißvolle
Schußwunde im Oberschenkel, in deren Folge er starb.

Wenn ich dem Werthe Schilders als Mensch und zugleich als militäri¬
scher Charakter alle Anerkennung zu zollen bemüht gewesen bin, kann ich nicht
umhin, ihm den Vorwurf zu machen, daß er eben nur unter den russischen
Ingenieuren, keineswegs aber allgemein genommen unter den Männern seines
Fachs in erster Linie dastand. Ich kenne nicht den Antheil, welcher ihm in
Rücksicht auf die Ausführung der russischen großartigen Befestigungen an der
Weichsel zukommt; was er für die permanente Befestigungskunst leistete, muß
mithin hier außer Betracht bleiben. Im Felde hat er, wenn man genauer auf
die von ihm geleiteten Bclageruugsarbeiten und auf seine zeitweiligen Orts-
bcfestigungen eingeht, nichts Außerordentliches geleistet. Man begegnet dann
und wann sogar, bei den von ihm überwachten und entworfenen Operationen
einem entschiedenen Mangel an Urtheil. Dabei war Schilder von dem Ehr¬
geiz besessen, ein Neuerer in seinem Fach zu sein. Er ist der Erfinder der so¬
genannten Envcloppcscharten oder der neuen russischen Methode, Batterien zu
"bauen. Sie haben sich — und das war vorauszusehen — schlecht bewährt.
Die türkischen Geschütze gewannen, vielleicht grade auf Grund der unpraktischen
Neuerung, stets schnell das Uebergewicht über die russischen Stücke und demoli¬
erten die modernen Schilderschen Scharten in der Regel so gründlich, daß
sie nicht wiederhergestellt werden konnten. Eine andre Schrulle des Generals
war es, hölzerne Blendkanonen auf Lafette^ aufzustellen, um den Feind
über die Feuerkraft der russischen Batterien und Werke zu täuschen. Nirgends
wendete er diese Gaukelei in ausgedehnterem Maßstabe an, als bei den pro¬
visorischen Befestigungen von Galacz und Braila, d. h. auf dem walachischen
^f"' und zu einer Zeit, wo er, da die Türken dieselben' nicht bedrohten, kaum
"'"e Absicht damit verbinden konnte.

Der Widerstand, auf welchen er am Ende seiner Laufbahn vor Silistria
gestoßen, scheint den General ganz außer Fassung gebracht zu haben. Seine
Maßregeln, die hier stellenweise durch ihre Zweckwidrigkeit frappiren, würden


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[0275] Man hat Schilder in jüngster Zeit vielfach einer gewissen Großsprecherei geziehen, und dieser Vorwurf trifft ihn nicht ganz unbegründet. sanguinisch wie er war maß er, bevor er etwas unternahm, selten die Consequenzen aus und berechnete meistens die feindlichen Kräfte zu gering. So hatte er sich vermessen, die Festung Silistria, deren vorgeschobene Werke, wie er wohl wußte, von preußischer Hand herrührten, binnen zwölf Tagen zum Fall bringen zu können. Aber nachdem die Belagerung vom rechten Ufer bereits neun und Zwanzig Tage gewährt hatte, innerhalb welcher die Russen den türkischen Schan¬ zen gegenüber vergebens fünfzehn Batterien aufgeführt und umsonst -10,000 Mann geopfert hatten, mußte er zu der Ueberzeugung gelangen, daß sein Urtheil diesmal fehlgegangen sei. An demselben Tage erhielt er die verhängnißvolle Schußwunde im Oberschenkel, in deren Folge er starb. Wenn ich dem Werthe Schilders als Mensch und zugleich als militäri¬ scher Charakter alle Anerkennung zu zollen bemüht gewesen bin, kann ich nicht umhin, ihm den Vorwurf zu machen, daß er eben nur unter den russischen Ingenieuren, keineswegs aber allgemein genommen unter den Männern seines Fachs in erster Linie dastand. Ich kenne nicht den Antheil, welcher ihm in Rücksicht auf die Ausführung der russischen großartigen Befestigungen an der Weichsel zukommt; was er für die permanente Befestigungskunst leistete, muß mithin hier außer Betracht bleiben. Im Felde hat er, wenn man genauer auf die von ihm geleiteten Bclageruugsarbeiten und auf seine zeitweiligen Orts- bcfestigungen eingeht, nichts Außerordentliches geleistet. Man begegnet dann und wann sogar, bei den von ihm überwachten und entworfenen Operationen einem entschiedenen Mangel an Urtheil. Dabei war Schilder von dem Ehr¬ geiz besessen, ein Neuerer in seinem Fach zu sein. Er ist der Erfinder der so¬ genannten Envcloppcscharten oder der neuen russischen Methode, Batterien zu "bauen. Sie haben sich — und das war vorauszusehen — schlecht bewährt. Die türkischen Geschütze gewannen, vielleicht grade auf Grund der unpraktischen Neuerung, stets schnell das Uebergewicht über die russischen Stücke und demoli¬ erten die modernen Schilderschen Scharten in der Regel so gründlich, daß sie nicht wiederhergestellt werden konnten. Eine andre Schrulle des Generals war es, hölzerne Blendkanonen auf Lafette^ aufzustellen, um den Feind über die Feuerkraft der russischen Batterien und Werke zu täuschen. Nirgends wendete er diese Gaukelei in ausgedehnterem Maßstabe an, als bei den pro¬ visorischen Befestigungen von Galacz und Braila, d. h. auf dem walachischen ^f"' und zu einer Zeit, wo er, da die Türken dieselben' nicht bedrohten, kaum "'"e Absicht damit verbinden konnte. Der Widerstand, auf welchen er am Ende seiner Laufbahn vor Silistria gestoßen, scheint den General ganz außer Fassung gebracht zu haben. Seine Maßregeln, die hier stellenweise durch ihre Zweckwidrigkeit frappiren, würden 34*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/275>, abgerufen am 08.01.2025.