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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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oder in seinem sogenannten Denken findet. Es ist in dem einen Fall ebenso¬
wenig frei wie in dem andern. Ja, dieses ganze System des transscendentalen
Idealismus ist im Verhältniß zu jenem Natursystem nur die Umkehrung des
Standpunktes. Zuerst wird das waltende Gesetz objectiv, dann subjectiv auf¬
gefaßt; der Inhalt ist in beiden Fällen der nämliche, und man begreift nicht
recht, wie der Gedanke aus diesem Kreislauf sich zu der Freiheit und Realität,
die er doch gleichfalls als seinen nothwendigen Inhalt empfindet, erheben soll.

In der That wird diese Erhebung als ein Act dargestellt, der mit dem
Inhalte der vorher gewonnenen Ueberzeugungen in keinem nothwendigen Rapport
steht. Die Seele befreit sich nämlich von der Macht deö Naturgesetzes und
von der Kritik des-Denkgesctzes nicht durch eine Erkenntniß, sondern durch
einen Entschluß. Sie hat eingesehen, daß sie durch das bloße Denken sich
diesem Zwang der Nothwendigkeit niemals entziehen könne, sie nimmt sich also
vor, im Denken einen beliebigen Abschluß zu machen und'in die Welt der'
Handlung einzutreten. Als Anknüpfung findet sie einen festen Punkt in sich
selbst vor, das Gewissen, die Forderung der unbedingten Uebereinstimmung mit
sich selbst, während die bloße Erkenntniß entzweit. Aus dieser absolut gewissen
Forderung wird die Nothwendigkeit hergeleitet, recht zu handeln, um mit sich
selbst übereinzustimmen, und aus dieser Nothwendigkeit die Eristenz einer
Natur, in der man bestimmte Zwecke des Handelns verfolgen, die Eristenz
gleichberechtigter Wesen, in denen man die als nothwendig empfundenen
Rechtssubjecte ehren*) und folglich einer Gattung, in die man die Unseligkeit
des eignen Ichs, um es zu ergänzen und dadurch zu heiligen, vertiefen könne;
endlich die Eristenz einer moralischen oder göttlichen Weltordnung, welche
jenem idealen Postulat des Ich die Realität verbürgen solle. Der Anlage
nach ist das noch der Kantische Standpunkt, aber er ist größer und kühner
aufgefaßt. Denn bei Kant bleibt das Gewissen eine Privatsache und das
Reich der Pflichten ein abstmcteS. Der Mensch soll recht handeln, der Stoff
und die Sphäre seiner Handlungen ist gleichgiltig. Ja, die. Verbindung mit
dem Weltlauf wirkt eigentlich nur störend, und das Gewissen weist aus ein
Jenseits der "intelligiblen" Welt hin, wo blos der moralische Werth entscheidet:
ein Jenseits, das von dem vergeltenden Himmel der Christen im wesentlichen
nicht verschieden ist. Fichte geht viel kühner zu Werke. Er leitet aus dem
Begriff des Rechtthuns einerseits einen Gegenstand des Rechtthuns, eine Reihe
bestimmter erreichbarer, ineinandergreifender Zwecke, also eine auf Erden zu
realisirende, vernünftige und moralische Weltordnung, und aus der andern Seite



') Schon in der "Kritik aller Offenbarung" (V. S. in) wird ganz beiläufig in einer
^nmerknng gesagt: "Die Frage, warum überhaupt moralische Wesen sein sollten? ist leicht zu
beantworten: wegen der Anforderung des Moralgesetzcs an Gott, das höchste Gut außer sich
S" befördern, welches mir durch die Existenz vernünftiger Wesen möglich ist." --
Grenzboten. 111. ins5. 33

oder in seinem sogenannten Denken findet. Es ist in dem einen Fall ebenso¬
wenig frei wie in dem andern. Ja, dieses ganze System des transscendentalen
Idealismus ist im Verhältniß zu jenem Natursystem nur die Umkehrung des
Standpunktes. Zuerst wird das waltende Gesetz objectiv, dann subjectiv auf¬
gefaßt; der Inhalt ist in beiden Fällen der nämliche, und man begreift nicht
recht, wie der Gedanke aus diesem Kreislauf sich zu der Freiheit und Realität,
die er doch gleichfalls als seinen nothwendigen Inhalt empfindet, erheben soll.

In der That wird diese Erhebung als ein Act dargestellt, der mit dem
Inhalte der vorher gewonnenen Ueberzeugungen in keinem nothwendigen Rapport
steht. Die Seele befreit sich nämlich von der Macht deö Naturgesetzes und
von der Kritik des-Denkgesctzes nicht durch eine Erkenntniß, sondern durch
einen Entschluß. Sie hat eingesehen, daß sie durch das bloße Denken sich
diesem Zwang der Nothwendigkeit niemals entziehen könne, sie nimmt sich also
vor, im Denken einen beliebigen Abschluß zu machen und'in die Welt der'
Handlung einzutreten. Als Anknüpfung findet sie einen festen Punkt in sich
selbst vor, das Gewissen, die Forderung der unbedingten Uebereinstimmung mit
sich selbst, während die bloße Erkenntniß entzweit. Aus dieser absolut gewissen
Forderung wird die Nothwendigkeit hergeleitet, recht zu handeln, um mit sich
selbst übereinzustimmen, und aus dieser Nothwendigkeit die Eristenz einer
Natur, in der man bestimmte Zwecke des Handelns verfolgen, die Eristenz
gleichberechtigter Wesen, in denen man die als nothwendig empfundenen
Rechtssubjecte ehren*) und folglich einer Gattung, in die man die Unseligkeit
des eignen Ichs, um es zu ergänzen und dadurch zu heiligen, vertiefen könne;
endlich die Eristenz einer moralischen oder göttlichen Weltordnung, welche
jenem idealen Postulat des Ich die Realität verbürgen solle. Der Anlage
nach ist das noch der Kantische Standpunkt, aber er ist größer und kühner
aufgefaßt. Denn bei Kant bleibt das Gewissen eine Privatsache und das
Reich der Pflichten ein abstmcteS. Der Mensch soll recht handeln, der Stoff
und die Sphäre seiner Handlungen ist gleichgiltig. Ja, die. Verbindung mit
dem Weltlauf wirkt eigentlich nur störend, und das Gewissen weist aus ein
Jenseits der „intelligiblen" Welt hin, wo blos der moralische Werth entscheidet:
ein Jenseits, das von dem vergeltenden Himmel der Christen im wesentlichen
nicht verschieden ist. Fichte geht viel kühner zu Werke. Er leitet aus dem
Begriff des Rechtthuns einerseits einen Gegenstand des Rechtthuns, eine Reihe
bestimmter erreichbarer, ineinandergreifender Zwecke, also eine auf Erden zu
realisirende, vernünftige und moralische Weltordnung, und aus der andern Seite



') Schon in der „Kritik aller Offenbarung" (V. S. in) wird ganz beiläufig in einer
^nmerknng gesagt: „Die Frage, warum überhaupt moralische Wesen sein sollten? ist leicht zu
beantworten: wegen der Anforderung des Moralgesetzcs an Gott, das höchste Gut außer sich
S» befördern, welches mir durch die Existenz vernünftiger Wesen möglich ist." —
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[0265] oder in seinem sogenannten Denken findet. Es ist in dem einen Fall ebenso¬ wenig frei wie in dem andern. Ja, dieses ganze System des transscendentalen Idealismus ist im Verhältniß zu jenem Natursystem nur die Umkehrung des Standpunktes. Zuerst wird das waltende Gesetz objectiv, dann subjectiv auf¬ gefaßt; der Inhalt ist in beiden Fällen der nämliche, und man begreift nicht recht, wie der Gedanke aus diesem Kreislauf sich zu der Freiheit und Realität, die er doch gleichfalls als seinen nothwendigen Inhalt empfindet, erheben soll. In der That wird diese Erhebung als ein Act dargestellt, der mit dem Inhalte der vorher gewonnenen Ueberzeugungen in keinem nothwendigen Rapport steht. Die Seele befreit sich nämlich von der Macht deö Naturgesetzes und von der Kritik des-Denkgesctzes nicht durch eine Erkenntniß, sondern durch einen Entschluß. Sie hat eingesehen, daß sie durch das bloße Denken sich diesem Zwang der Nothwendigkeit niemals entziehen könne, sie nimmt sich also vor, im Denken einen beliebigen Abschluß zu machen und'in die Welt der' Handlung einzutreten. Als Anknüpfung findet sie einen festen Punkt in sich selbst vor, das Gewissen, die Forderung der unbedingten Uebereinstimmung mit sich selbst, während die bloße Erkenntniß entzweit. Aus dieser absolut gewissen Forderung wird die Nothwendigkeit hergeleitet, recht zu handeln, um mit sich selbst übereinzustimmen, und aus dieser Nothwendigkeit die Eristenz einer Natur, in der man bestimmte Zwecke des Handelns verfolgen, die Eristenz gleichberechtigter Wesen, in denen man die als nothwendig empfundenen Rechtssubjecte ehren*) und folglich einer Gattung, in die man die Unseligkeit des eignen Ichs, um es zu ergänzen und dadurch zu heiligen, vertiefen könne; endlich die Eristenz einer moralischen oder göttlichen Weltordnung, welche jenem idealen Postulat des Ich die Realität verbürgen solle. Der Anlage nach ist das noch der Kantische Standpunkt, aber er ist größer und kühner aufgefaßt. Denn bei Kant bleibt das Gewissen eine Privatsache und das Reich der Pflichten ein abstmcteS. Der Mensch soll recht handeln, der Stoff und die Sphäre seiner Handlungen ist gleichgiltig. Ja, die. Verbindung mit dem Weltlauf wirkt eigentlich nur störend, und das Gewissen weist aus ein Jenseits der „intelligiblen" Welt hin, wo blos der moralische Werth entscheidet: ein Jenseits, das von dem vergeltenden Himmel der Christen im wesentlichen nicht verschieden ist. Fichte geht viel kühner zu Werke. Er leitet aus dem Begriff des Rechtthuns einerseits einen Gegenstand des Rechtthuns, eine Reihe bestimmter erreichbarer, ineinandergreifender Zwecke, also eine auf Erden zu realisirende, vernünftige und moralische Weltordnung, und aus der andern Seite ') Schon in der „Kritik aller Offenbarung" (V. S. in) wird ganz beiläufig in einer ^nmerknng gesagt: „Die Frage, warum überhaupt moralische Wesen sein sollten? ist leicht zu beantworten: wegen der Anforderung des Moralgesetzcs an Gott, das höchste Gut außer sich S» befördern, welches mir durch die Existenz vernünftiger Wesen möglich ist." — Grenzboten. 111. ins5. 33

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/265>, abgerufen am 06.10.2024.