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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Ein Buch, welches vielleicht am deutlichsten seine,ganze Gesinnung und
Denkweise charakterisirt, ist die "Bestimmung des Menschen", die er zwar
erst im folgenden Jahre in Berlin vollständig ausarbeitete, deren Wesentliches
aber bereits in seinen Jenaer Vorlesungen 1798--99 enthalten war. In ihr
können wir am deutlichsten die verschiedenen Phasen seines Systems verfolgen,
denn die verschiedenen Gesichtspunkte, die nach der Reihe in ihm hervortreten,
werden sast vom ersten bis zum letzten wenigstens angedeutet. Das ist nicht
so zu verstehen, als ob er mit den Principien seiner Philosophie in der That
gewechselt hatte, im Gegentheil zeigt sich die eiserne Härte seines Charakters
auch in der Festigkeit, mit der er seine Gedanken immer dem nämlichen Ziele
zuführte. Der Wechsel in den hervortretenden Gesichtspunkten beruht nur auf
der Verschiedenheit der Gebiete, die er der Reihe nach bearbeitete, und trat
darum so lebhast hervor, weil er jedes Mal den schärfsten und prägnantesten
Ausdruck suchte. In der "Bestimmung des Menschen" muß jedermann deutlich
werden, daß diese Verschiedenheit sich nicht nur in ein einheitliches Princip
auflöst, sondern auch aus einem einheitlichen Princip hervorgeht; nur einen
Umstand nehmen wir aus, nämlich die hin und wieder hervortretende Idee
einer überirdischen Welt, in der nur das Gesetz der Geister und nicht das
Causalgesetz der Natur waltet. Es ist das gewissermaßen die Romantik in
Fichtes Geist, die sich aus sehr verschiedenen mitwirkenden Umständen erklärt:
theils aus den Reminiscenzen des ihm anerzogenen Glaubens, aus der dann
von Zeit zu Zeit eine gewisse Scheu hervorging, die letzten Consequenzen seines
Princips zu ziehen, theils aber auch aus einer grenzenlosen Verachtung der
wirklichen Welt, wie sie ihm in der Gegenwart entgegentrat, die zuweilen soweit
ging, daß er sich nur durch die Flucht in das Reich der Wunder befreien zu
können glaubte. Wer aber ruhig und aufmerksam seine Schriften studirt, wird
die Fremdartigkeit dieser Momente leicht herauserkennen und sie zu scheiden
wissen.

Die "Bestimmung deö Menschen" wird sich grade darum in der Literatur
erhalten, weil sie ganz gegen die Absicht des Verfassers eine sehr individuelle
Entwicklung des Bewußtseins darstellt, wobei man freilich hinzufügen muß,
daß jede wahre und tiefempfundene Entwicklung einer tüchtigen* Individualität
wenigstens bis zu einer gewissen Grenze auch allgemeine Giltigkeit haben wird.
Die "Bestimmung des Menschen" gibt keinen philosophischen Abschluß; es
wird uns sogar jetzt, da wir im philosophischen Denken geübter sind, ziemlich
leicht, die einzelnen Trugschlüsse nachzuweisen. Allein sie wird selbst in ihrer
Unvollkommenheit jeden Unbefangenen interessiren, der sich nicht mit dem her¬
gebrachten Getriebe endlicher Vorstellungen begnügt. . Fichte erzählt in der
"Bestimmung des Menschen" die Geschichte seiner eignen Gesinnung.

Die "Bestimmung des Menschen" zerfällt in drei Theile: Zweifel, Wissen


Ein Buch, welches vielleicht am deutlichsten seine,ganze Gesinnung und
Denkweise charakterisirt, ist die „Bestimmung des Menschen", die er zwar
erst im folgenden Jahre in Berlin vollständig ausarbeitete, deren Wesentliches
aber bereits in seinen Jenaer Vorlesungen 1798—99 enthalten war. In ihr
können wir am deutlichsten die verschiedenen Phasen seines Systems verfolgen,
denn die verschiedenen Gesichtspunkte, die nach der Reihe in ihm hervortreten,
werden sast vom ersten bis zum letzten wenigstens angedeutet. Das ist nicht
so zu verstehen, als ob er mit den Principien seiner Philosophie in der That
gewechselt hatte, im Gegentheil zeigt sich die eiserne Härte seines Charakters
auch in der Festigkeit, mit der er seine Gedanken immer dem nämlichen Ziele
zuführte. Der Wechsel in den hervortretenden Gesichtspunkten beruht nur auf
der Verschiedenheit der Gebiete, die er der Reihe nach bearbeitete, und trat
darum so lebhast hervor, weil er jedes Mal den schärfsten und prägnantesten
Ausdruck suchte. In der „Bestimmung des Menschen" muß jedermann deutlich
werden, daß diese Verschiedenheit sich nicht nur in ein einheitliches Princip
auflöst, sondern auch aus einem einheitlichen Princip hervorgeht; nur einen
Umstand nehmen wir aus, nämlich die hin und wieder hervortretende Idee
einer überirdischen Welt, in der nur das Gesetz der Geister und nicht das
Causalgesetz der Natur waltet. Es ist das gewissermaßen die Romantik in
Fichtes Geist, die sich aus sehr verschiedenen mitwirkenden Umständen erklärt:
theils aus den Reminiscenzen des ihm anerzogenen Glaubens, aus der dann
von Zeit zu Zeit eine gewisse Scheu hervorging, die letzten Consequenzen seines
Princips zu ziehen, theils aber auch aus einer grenzenlosen Verachtung der
wirklichen Welt, wie sie ihm in der Gegenwart entgegentrat, die zuweilen soweit
ging, daß er sich nur durch die Flucht in das Reich der Wunder befreien zu
können glaubte. Wer aber ruhig und aufmerksam seine Schriften studirt, wird
die Fremdartigkeit dieser Momente leicht herauserkennen und sie zu scheiden
wissen.

Die „Bestimmung deö Menschen" wird sich grade darum in der Literatur
erhalten, weil sie ganz gegen die Absicht des Verfassers eine sehr individuelle
Entwicklung des Bewußtseins darstellt, wobei man freilich hinzufügen muß,
daß jede wahre und tiefempfundene Entwicklung einer tüchtigen* Individualität
wenigstens bis zu einer gewissen Grenze auch allgemeine Giltigkeit haben wird.
Die „Bestimmung des Menschen" gibt keinen philosophischen Abschluß; es
wird uns sogar jetzt, da wir im philosophischen Denken geübter sind, ziemlich
leicht, die einzelnen Trugschlüsse nachzuweisen. Allein sie wird selbst in ihrer
Unvollkommenheit jeden Unbefangenen interessiren, der sich nicht mit dem her¬
gebrachten Getriebe endlicher Vorstellungen begnügt. . Fichte erzählt in der
„Bestimmung des Menschen" die Geschichte seiner eignen Gesinnung.

Die „Bestimmung des Menschen" zerfällt in drei Theile: Zweifel, Wissen


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[0263] Ein Buch, welches vielleicht am deutlichsten seine,ganze Gesinnung und Denkweise charakterisirt, ist die „Bestimmung des Menschen", die er zwar erst im folgenden Jahre in Berlin vollständig ausarbeitete, deren Wesentliches aber bereits in seinen Jenaer Vorlesungen 1798—99 enthalten war. In ihr können wir am deutlichsten die verschiedenen Phasen seines Systems verfolgen, denn die verschiedenen Gesichtspunkte, die nach der Reihe in ihm hervortreten, werden sast vom ersten bis zum letzten wenigstens angedeutet. Das ist nicht so zu verstehen, als ob er mit den Principien seiner Philosophie in der That gewechselt hatte, im Gegentheil zeigt sich die eiserne Härte seines Charakters auch in der Festigkeit, mit der er seine Gedanken immer dem nämlichen Ziele zuführte. Der Wechsel in den hervortretenden Gesichtspunkten beruht nur auf der Verschiedenheit der Gebiete, die er der Reihe nach bearbeitete, und trat darum so lebhast hervor, weil er jedes Mal den schärfsten und prägnantesten Ausdruck suchte. In der „Bestimmung des Menschen" muß jedermann deutlich werden, daß diese Verschiedenheit sich nicht nur in ein einheitliches Princip auflöst, sondern auch aus einem einheitlichen Princip hervorgeht; nur einen Umstand nehmen wir aus, nämlich die hin und wieder hervortretende Idee einer überirdischen Welt, in der nur das Gesetz der Geister und nicht das Causalgesetz der Natur waltet. Es ist das gewissermaßen die Romantik in Fichtes Geist, die sich aus sehr verschiedenen mitwirkenden Umständen erklärt: theils aus den Reminiscenzen des ihm anerzogenen Glaubens, aus der dann von Zeit zu Zeit eine gewisse Scheu hervorging, die letzten Consequenzen seines Princips zu ziehen, theils aber auch aus einer grenzenlosen Verachtung der wirklichen Welt, wie sie ihm in der Gegenwart entgegentrat, die zuweilen soweit ging, daß er sich nur durch die Flucht in das Reich der Wunder befreien zu können glaubte. Wer aber ruhig und aufmerksam seine Schriften studirt, wird die Fremdartigkeit dieser Momente leicht herauserkennen und sie zu scheiden wissen. Die „Bestimmung deö Menschen" wird sich grade darum in der Literatur erhalten, weil sie ganz gegen die Absicht des Verfassers eine sehr individuelle Entwicklung des Bewußtseins darstellt, wobei man freilich hinzufügen muß, daß jede wahre und tiefempfundene Entwicklung einer tüchtigen* Individualität wenigstens bis zu einer gewissen Grenze auch allgemeine Giltigkeit haben wird. Die „Bestimmung des Menschen" gibt keinen philosophischen Abschluß; es wird uns sogar jetzt, da wir im philosophischen Denken geübter sind, ziemlich leicht, die einzelnen Trugschlüsse nachzuweisen. Allein sie wird selbst in ihrer Unvollkommenheit jeden Unbefangenen interessiren, der sich nicht mit dem her¬ gebrachten Getriebe endlicher Vorstellungen begnügt. . Fichte erzählt in der „Bestimmung des Menschen" die Geschichte seiner eignen Gesinnung. Die „Bestimmung des Menschen" zerfällt in drei Theile: Zweifel, Wissen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/263>, abgerufen am 27.07.2024.