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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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entspricht, muß man gewärtig sein, daß der Zuhörer trotz aller syllogistischen
Schärft nicht überzeugt ward.

Aber damals war die Flut der Genialität, die Anerkennung der Para-
dorie gegen die Vorurtheile des gesunden Menschenverstandes noch im Steigen.
Er erlebte daher in der nächsten Zeit eine Reihe von Triumphen. Seine per¬
sönliche Ueberlegenheit über die Gegner, die sich namentlich in den von Jacob
redigirten "Annalen" sammelten, war augenscheinlich, und bald wuchs die
Zahl der geistvollen Männer, die sich ihm wesentlich in seiner Richtung an¬
schlössen. Die Schrift des jungen Schelling "über die Möglichkeit einer
Form der Philosophie" (1796) war eine geistvolle und glänzende Vertheidigung
des transscendentalen Idealismus. In Jena gründete er mit Niethammer
und Forberg das "philosophische Journal", welches das Organ der neuen
philosophischen Kirche wurde, und einen ganz ungewöhnlichen Anklang fand.
Im I. 1797 trat Reinhold, sein bisheriger Gegner, feierlich zu ihm
über, bekannte sich als überwunden und bekehrt, und trug durch sein "Send¬
schreiben an Fichte und Lavater", sowie durch seine "Paradorien der neuesten
Philosophie" wesentlich dazu bei, die Sache Fichtes in den Augen des Publi¬
kums zu fördern. Auch die " Jenaer Literaturzeitung", die bisher in den
Händen der Kantianer oder gar der Naturalisten gewesen war, trat durch zwei
Recensionen von Reinhold und Schlegel auf seine Seite. In Jena selbst
bildete sich jetzt jener Kreis der jungen Denker und Dichter -- die beiden
Schlegel, Novalis, dann Schelling, Hülsen, Steffens u. s. w., --' der allen
Vorurtheilen des sogenannten gesunden Menschenverstandes einen unerbittlichen
Krieg erklärte und daher die Sache der neuen Philosophie, welche es mit den¬
selben Gegnern zu thun hatte, als die seinige auffaßte. Schiller hatte sich von
ihnen losgesagt, Goethe ließ sich überhaupt in keine Polemik ein, und so fanden
sie denn unter den Berühmtheiten der Zeit keinen andern Führer als Fichte,
der sich auch willig zu dieser Rolle hergab, obgleich ihm eigentlich die
aphoristische Manier jener Männer und ihre überall hervortretende Ironie zu¬
wider sein mußte. In solchen Fällen ist es sehr schwer, das Coteriewesen zu
vermeiden. Das Athenäum, das Organ jener Schule, stellt die "Wissen¬
schaftslehre" neben der französischen Revolution und dem "Wilhelm Meister"
als die größte Tendenz des Zeitalters dar, und sucht durch einzelne aus dem
Zusammenhang gerissene, seltsam klingende Aussprüche, die Einbildungskrast
für die Lehren des transscendentalen Idealismus einzunehmen. Am schmeichel¬
haftesten mußte der "offene Brief" sein, den Jacobi gegen ihn erließ, und der
zwar sein Lehrgebäude als ein falsches und entsetzliches darstellte, es aber zugleich
als den einzigen correcten Ausdruck des auf die Vernunft begründeten Philo-
sophirens anerkannte und den Genius des Philosophen selbst mit begeisterter
Verehrung begrüßte.


entspricht, muß man gewärtig sein, daß der Zuhörer trotz aller syllogistischen
Schärft nicht überzeugt ward.

Aber damals war die Flut der Genialität, die Anerkennung der Para-
dorie gegen die Vorurtheile des gesunden Menschenverstandes noch im Steigen.
Er erlebte daher in der nächsten Zeit eine Reihe von Triumphen. Seine per¬
sönliche Ueberlegenheit über die Gegner, die sich namentlich in den von Jacob
redigirten „Annalen" sammelten, war augenscheinlich, und bald wuchs die
Zahl der geistvollen Männer, die sich ihm wesentlich in seiner Richtung an¬
schlössen. Die Schrift des jungen Schelling „über die Möglichkeit einer
Form der Philosophie" (1796) war eine geistvolle und glänzende Vertheidigung
des transscendentalen Idealismus. In Jena gründete er mit Niethammer
und Forberg das „philosophische Journal", welches das Organ der neuen
philosophischen Kirche wurde, und einen ganz ungewöhnlichen Anklang fand.
Im I. 1797 trat Reinhold, sein bisheriger Gegner, feierlich zu ihm
über, bekannte sich als überwunden und bekehrt, und trug durch sein „Send¬
schreiben an Fichte und Lavater", sowie durch seine „Paradorien der neuesten
Philosophie" wesentlich dazu bei, die Sache Fichtes in den Augen des Publi¬
kums zu fördern. Auch die „ Jenaer Literaturzeitung", die bisher in den
Händen der Kantianer oder gar der Naturalisten gewesen war, trat durch zwei
Recensionen von Reinhold und Schlegel auf seine Seite. In Jena selbst
bildete sich jetzt jener Kreis der jungen Denker und Dichter — die beiden
Schlegel, Novalis, dann Schelling, Hülsen, Steffens u. s. w., —' der allen
Vorurtheilen des sogenannten gesunden Menschenverstandes einen unerbittlichen
Krieg erklärte und daher die Sache der neuen Philosophie, welche es mit den¬
selben Gegnern zu thun hatte, als die seinige auffaßte. Schiller hatte sich von
ihnen losgesagt, Goethe ließ sich überhaupt in keine Polemik ein, und so fanden
sie denn unter den Berühmtheiten der Zeit keinen andern Führer als Fichte,
der sich auch willig zu dieser Rolle hergab, obgleich ihm eigentlich die
aphoristische Manier jener Männer und ihre überall hervortretende Ironie zu¬
wider sein mußte. In solchen Fällen ist es sehr schwer, das Coteriewesen zu
vermeiden. Das Athenäum, das Organ jener Schule, stellt die „Wissen¬
schaftslehre" neben der französischen Revolution und dem „Wilhelm Meister"
als die größte Tendenz des Zeitalters dar, und sucht durch einzelne aus dem
Zusammenhang gerissene, seltsam klingende Aussprüche, die Einbildungskrast
für die Lehren des transscendentalen Idealismus einzunehmen. Am schmeichel¬
haftesten mußte der „offene Brief" sein, den Jacobi gegen ihn erließ, und der
zwar sein Lehrgebäude als ein falsches und entsetzliches darstellte, es aber zugleich
als den einzigen correcten Ausdruck des auf die Vernunft begründeten Philo-
sophirens anerkannte und den Genius des Philosophen selbst mit begeisterter
Verehrung begrüßte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/262>, abgerufen am 27.07.2024.