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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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"Eudämoma" denuncirte ihn, er wolle einen Vernunftgötzendienst an Stelle
des Christenthums einschwärzen. Er ließ sie daher bald darauf fallen. Dann
bemühte er sich, der Rohheit des Studentenlebens, die in Jena eine ganz
unerhörte Ausdehnung gewonnen hatte, und die namentlich durch die Orden
genährt wurde, dadurch entgegenzuwirken, daß er die Orden zu einer Selbst¬
auflösung veranlaßte. Er ließ sich zu diesem Zwecke in etwas ein, was der
akademische Lehrer nie ohne große Gefahr versuchen wird, in persönliche Ver¬
handlungen mit den Studirenden, die anfangs zu einem scheinbar glänzenden
Resultate führten, ihn aber bald in ganz unleidliche Verdrießlichkeiten stürzten
und ihn endlich im Sommer 1793 bewogen, Jena eine Zeitlang zu verlassen.
Dieser Vorfall hätte ihm einschärfen können, daß der subjektive Kampf gegen
bestehende unfreie Verhältnisse und das damit nothwendig verbundene Preis¬
geben der Persönlichkeit selten zu einem gedeihlichen Erfolge führt. --

Außerdem war seine Polemik gegen die Kollegen aus der Kantischen Schule
schon damals sehr gereizt und leidenschaftlich. Und wenn er auch in den
meisten Fällen der Flachheit seiner Recensenten gegenüber recht hatte, so sprach
er doch seine Verachtung gegen die völlige Unfähigkeit aller derer, die in
Deutschland Philosophie trieben, mit einem so herausfordernden Pathos aus,
und behandelte seine eigne Sache mit einer so großen Feierlichkeit, daß er
dem Vorwurf der Selbstüberschätzung schwer entgehen konnte, namentlich wenn
man das mißverstandene Princip seiner Metaphysik, die Begründung der ge-
sammten Philosophie auf der Idee des "Ich" damit in Verbindung setzte.
Zwar versicherte er stets, von aller Welt mißverstanden zu werden, da er
niemals seine eigne Persönlichkeit, sondern nur das reine Denken, das er zu¬
fällig entdeckt habe, hervortreten lasse; aber eine solche Versicherung widersprach
Zu sehr den gewöhnlichen Vorstellungen, um ohne weiteres hingenommen zu
werden. Bei den concreten Begriffe", mit denen es die Philosophie zu thun
hat, und bei den Neuerungen in der Form des Ausdrucks, in der Sprache, zu
denen sie sich sehr bald verleiten läßt, wird es dem unbefangenen Urtheil nicht
immer klar, ob nicht irgend ein Mittelglied ausgelassen und dadurch die ganze
Schlußfolgerung verkehrt ist. Fichte liebte, wenn er nicht rhetorisch verfuhr,
die sokratische oder, wenn man will, sophistische Form der Dialektik; er trieb
seinen Gegner durch Syllogismen in die Enge, und war empört, wenn am
Schluß des ganzen Gesprächs der Gegner ihm entschlüpfte, und obgleich er
seinen Folgerungen nichts entgegenzusetzen wußte, dennoch erklärte, er glaube
nicht daran. In der Verachtung gegen diese Art von gesundem Menschen¬
verstand kannte er gar keine Grenzen, und doch war er offenbar im Unrecht;
denn nicht blos in der Philosophie verlangt man nach der Anstrengung des
Raisonnements eine Probe durch die reale Anschauung. Wo man diese nicht
Zu geben vermag, ja wo dem gewonnenen Begriff gar keine reale Anschauung


„Eudämoma" denuncirte ihn, er wolle einen Vernunftgötzendienst an Stelle
des Christenthums einschwärzen. Er ließ sie daher bald darauf fallen. Dann
bemühte er sich, der Rohheit des Studentenlebens, die in Jena eine ganz
unerhörte Ausdehnung gewonnen hatte, und die namentlich durch die Orden
genährt wurde, dadurch entgegenzuwirken, daß er die Orden zu einer Selbst¬
auflösung veranlaßte. Er ließ sich zu diesem Zwecke in etwas ein, was der
akademische Lehrer nie ohne große Gefahr versuchen wird, in persönliche Ver¬
handlungen mit den Studirenden, die anfangs zu einem scheinbar glänzenden
Resultate führten, ihn aber bald in ganz unleidliche Verdrießlichkeiten stürzten
und ihn endlich im Sommer 1793 bewogen, Jena eine Zeitlang zu verlassen.
Dieser Vorfall hätte ihm einschärfen können, daß der subjektive Kampf gegen
bestehende unfreie Verhältnisse und das damit nothwendig verbundene Preis¬
geben der Persönlichkeit selten zu einem gedeihlichen Erfolge führt. —

Außerdem war seine Polemik gegen die Kollegen aus der Kantischen Schule
schon damals sehr gereizt und leidenschaftlich. Und wenn er auch in den
meisten Fällen der Flachheit seiner Recensenten gegenüber recht hatte, so sprach
er doch seine Verachtung gegen die völlige Unfähigkeit aller derer, die in
Deutschland Philosophie trieben, mit einem so herausfordernden Pathos aus,
und behandelte seine eigne Sache mit einer so großen Feierlichkeit, daß er
dem Vorwurf der Selbstüberschätzung schwer entgehen konnte, namentlich wenn
man das mißverstandene Princip seiner Metaphysik, die Begründung der ge-
sammten Philosophie auf der Idee des „Ich" damit in Verbindung setzte.
Zwar versicherte er stets, von aller Welt mißverstanden zu werden, da er
niemals seine eigne Persönlichkeit, sondern nur das reine Denken, das er zu¬
fällig entdeckt habe, hervortreten lasse; aber eine solche Versicherung widersprach
Zu sehr den gewöhnlichen Vorstellungen, um ohne weiteres hingenommen zu
werden. Bei den concreten Begriffe», mit denen es die Philosophie zu thun
hat, und bei den Neuerungen in der Form des Ausdrucks, in der Sprache, zu
denen sie sich sehr bald verleiten läßt, wird es dem unbefangenen Urtheil nicht
immer klar, ob nicht irgend ein Mittelglied ausgelassen und dadurch die ganze
Schlußfolgerung verkehrt ist. Fichte liebte, wenn er nicht rhetorisch verfuhr,
die sokratische oder, wenn man will, sophistische Form der Dialektik; er trieb
seinen Gegner durch Syllogismen in die Enge, und war empört, wenn am
Schluß des ganzen Gesprächs der Gegner ihm entschlüpfte, und obgleich er
seinen Folgerungen nichts entgegenzusetzen wußte, dennoch erklärte, er glaube
nicht daran. In der Verachtung gegen diese Art von gesundem Menschen¬
verstand kannte er gar keine Grenzen, und doch war er offenbar im Unrecht;
denn nicht blos in der Philosophie verlangt man nach der Anstrengung des
Raisonnements eine Probe durch die reale Anschauung. Wo man diese nicht
Zu geben vermag, ja wo dem gewonnenen Begriff gar keine reale Anschauung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/261>, abgerufen am 27.07.2024.