Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.In der von Hegel später aufgenommenen Methode der Trichotomie, des Satzes, In seiner amtlichen Wirksamkeit in Jena hatte Fichte mit mancher In der von Hegel später aufgenommenen Methode der Trichotomie, des Satzes, In seiner amtlichen Wirksamkeit in Jena hatte Fichte mit mancher <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0260" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/281411"/> <p xml:id="ID_803" prev="#ID_802"> In der von Hegel später aufgenommenen Methode der Trichotomie, des Satzes,<lb/> des Gegensatzes und der Vermittlung quält er sich, aus dem einfachen Gegen¬<lb/> satz des Ich und Nicht-Ich herauszukommen, aber es ist vergebens; seine Ge¬<lb/> danken sind in dieses Netz eingefangen. So sehr er sich anstrengt, er kommt<lb/> immer nur zu einem neuen Ich und Nicht-Ich, bis er dann plötzlich abbricht<lb/> und sich durch einen Sprung in die praktische Philosophie stürzt Es kam noch<lb/> dazu ein ganz merkwürdiger Widerspruch in Fichtes Wesen. Seinen Recen¬<lb/> senten sowie dem allgemeinen Publicum donnerte er fortwährend zu, sie sollten<lb/> sich um ihn gar nicht kümmern, ertrage eine Wissenschaft vor, die sie gar nichts<lb/> anginge, die mit den Dingen dieser Welt durchaus nichts zu thun habe, die<lb/> sie, wenn sie nicht anders wollten, als eine Gymnastik des Gedankens betrachten<lb/> sollten. Auf der andern Seite aber war die ganze Energie seines Geistes aufs<lb/> Praktische gerichtet, wie schon der Umfang seiner Schriften aus der angewandten<lb/> Philosophie zeigt, der bedeutend den seiner metaphysischen übersteigt. Er hielt<lb/> sehr häufig Vorträge vor einem ungelehrten Publicum, die auf das lebhafteste<lb/> in die praktischen Fragen, die jeden Menschen beschäftigen, übergriffen, setzte<lb/> aber jedes Mal hinzu, den strengen Beweis seiner Behauptungen könne er nur<lb/> in der Metaphysik oder Wissenschaftslehre führen. So dürfte es ihn denn nicht<lb/> Wunder nehmen, daß man um seiner praktischen Folgerungen willen von allen<lb/> Seiten jene Metaphysik argwöhnisch ins Auge faßte und hinter das eigentliche<lb/> Wesen einer Theorie zu kommen suchte, die in der Anwendung so bedenklich<lb/> war. Gewiß wird es keinem Umgekehrten einfallen, sich in die Mathematik,<lb/> Chemie einzulassen, wenn er dieselben nicht vorher studirt hat, da ihn einerseits<lb/> jene Gegenstände nicht unmittelbar angehen, und da andrerseits die Gelehrten<lb/> darüber vollkommen einig sind. Bei der Philosophie dagegen, die sich mit den<lb/> heiligsten Interessen der Menschheit beschäftigt und bei der man fortwährend<lb/> die Wahrnehmung machen muß, daß ein Philosoph den andern für einen Ver¬<lb/> rückten erklärt, liegt eine Intervention des Publicums zu nahe, und wenn der<lb/> Philosoph erklären muß, er sei von niemandem verstanden, so liegt darin doch<lb/> wol ein gewisses Schuldbekenntniß.</p><lb/> <p xml:id="ID_804" next="#ID_805"> In seiner amtlichen Wirksamkeit in Jena hatte Fichte mit mancher<lb/> Schwierigkeit zu kämpfen. Von den hervorragenden Geistern der Literatur<lb/> ehrenvoll und zuvorkommend aufgenommen, erregte er das Mißbehagen seiner<lb/> eigentlichen Collegen, zum Theil auch durch die Neuerungen, die er in das<lb/> akademische Leben einzuführen suchte. Durch sein außerordentliches dialektisches<lb/> Talent wußte er, ungeachtet aller Schwierigkeiten, die seine Philosophie dem<lb/> Verständniß entgegensetzte, sich einen begeisterten Kreis von Zuhörern zu er¬<lb/> werben, welchen er dann nach seiner Weise sogleich praktisch anzuregen suchte.<lb/> Er trat mit Sonntagsvorträgen auf, die einen moralischen, erbaulichen Eindruck<lb/> bezweckten: sie fanden großen Anklang, aber sie erregten auch Anstoß. Die</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0260]
In der von Hegel später aufgenommenen Methode der Trichotomie, des Satzes,
des Gegensatzes und der Vermittlung quält er sich, aus dem einfachen Gegen¬
satz des Ich und Nicht-Ich herauszukommen, aber es ist vergebens; seine Ge¬
danken sind in dieses Netz eingefangen. So sehr er sich anstrengt, er kommt
immer nur zu einem neuen Ich und Nicht-Ich, bis er dann plötzlich abbricht
und sich durch einen Sprung in die praktische Philosophie stürzt Es kam noch
dazu ein ganz merkwürdiger Widerspruch in Fichtes Wesen. Seinen Recen¬
senten sowie dem allgemeinen Publicum donnerte er fortwährend zu, sie sollten
sich um ihn gar nicht kümmern, ertrage eine Wissenschaft vor, die sie gar nichts
anginge, die mit den Dingen dieser Welt durchaus nichts zu thun habe, die
sie, wenn sie nicht anders wollten, als eine Gymnastik des Gedankens betrachten
sollten. Auf der andern Seite aber war die ganze Energie seines Geistes aufs
Praktische gerichtet, wie schon der Umfang seiner Schriften aus der angewandten
Philosophie zeigt, der bedeutend den seiner metaphysischen übersteigt. Er hielt
sehr häufig Vorträge vor einem ungelehrten Publicum, die auf das lebhafteste
in die praktischen Fragen, die jeden Menschen beschäftigen, übergriffen, setzte
aber jedes Mal hinzu, den strengen Beweis seiner Behauptungen könne er nur
in der Metaphysik oder Wissenschaftslehre führen. So dürfte es ihn denn nicht
Wunder nehmen, daß man um seiner praktischen Folgerungen willen von allen
Seiten jene Metaphysik argwöhnisch ins Auge faßte und hinter das eigentliche
Wesen einer Theorie zu kommen suchte, die in der Anwendung so bedenklich
war. Gewiß wird es keinem Umgekehrten einfallen, sich in die Mathematik,
Chemie einzulassen, wenn er dieselben nicht vorher studirt hat, da ihn einerseits
jene Gegenstände nicht unmittelbar angehen, und da andrerseits die Gelehrten
darüber vollkommen einig sind. Bei der Philosophie dagegen, die sich mit den
heiligsten Interessen der Menschheit beschäftigt und bei der man fortwährend
die Wahrnehmung machen muß, daß ein Philosoph den andern für einen Ver¬
rückten erklärt, liegt eine Intervention des Publicums zu nahe, und wenn der
Philosoph erklären muß, er sei von niemandem verstanden, so liegt darin doch
wol ein gewisses Schuldbekenntniß.
In seiner amtlichen Wirksamkeit in Jena hatte Fichte mit mancher
Schwierigkeit zu kämpfen. Von den hervorragenden Geistern der Literatur
ehrenvoll und zuvorkommend aufgenommen, erregte er das Mißbehagen seiner
eigentlichen Collegen, zum Theil auch durch die Neuerungen, die er in das
akademische Leben einzuführen suchte. Durch sein außerordentliches dialektisches
Talent wußte er, ungeachtet aller Schwierigkeiten, die seine Philosophie dem
Verständniß entgegensetzte, sich einen begeisterten Kreis von Zuhörern zu er¬
werben, welchen er dann nach seiner Weise sogleich praktisch anzuregen suchte.
Er trat mit Sonntagsvorträgen auf, die einen moralischen, erbaulichen Eindruck
bezweckten: sie fanden großen Anklang, aber sie erregten auch Anstoß. Die
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |