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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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tiges Eintreffen wurde verlangt, und so finden wir ihn bereits im Mai
als Professor in Jena. Die Bekanntschaft mit Schiller hatte er unterwegs in
Tübingen gemacht. Man hätte erwarten sollen, daß sich zwischen den beiden
Männern ein enges Verhältniß bilden würde; in ihrer Natur lag etwas Ver¬
wandtes und außerdem hatte sich grade damals Schiller auf das tiefste in die
Kantische Philosophie versenkt. ES fanden auch Annäherungsversuche statt.
Fichte wurde zur Mitherausgabe der "Hören" aufgefordert und diese nahmen
durch Schillers "ästhetische Briefe", sowie durch die Aufsätze von Humboldt und
Fichte eine philosophischere Färbung an, als dem Publicum und selbst dem
Herausgeber lieb war. Allein daS Verhältniß wurde bald getrübt; wo Schiller
sich nicht unbedigt hingeben konnte, war es schwer mit ihm zu verkehren, und
grade gegen Bestrebungen, die den seinigen nahestanden, zeigte er sich sehr
bald abstoßend und rücksichtslos.*) Außerdem führte ihn seine philosophische
Beschäftigung nach einer andern Richtung hin. Wenn Fichte ursprünglich
sich vorzugsweise auf die Metaphysik warf und die ersten Grundfragen der
Wissenschaft zu lösen suchte, so schwebte ihm dabei doch immer ein praktischer
Zweck vor, jener Kampf der Freiheit innerhalb des wirklichen Lebens, durch
welchen der Geist die Natur überwinden und sich eine irdische Realität erringen
sollte. Bei Schiller dagegen bestand der Freiheitskampf in der Flucht aus der
Wirklichkeit; er gründete seine Welt im "Reich der Schatten", im Spiel der
reinen Kunst. Diese Abweichung war nicht eine zufällige des augenblicklichen
Gedankengangs, sie war in der geistigen Anlage der beiden Männer mit Noth¬
wendigkeit begründet, und grade weil sie in nahestehenden Gebieten arbeiteten,
fühlten sie den Gegensatz lebhafter heraus. Darum war das Verhältniß Fichtes
ZU Goethe viel unbefangener und freier. Goethe schätzte in ihm eine eigen¬
thümliche, wenn auch etwas seltsame, doch bedeutende Erscheinung, die in das
Gebiet seines eignen Denkens und Empfindens nicht hemmend eingriff, und
Fichte bewunderte in Goethe die völlige Uebereinstimmung mit sich selbst, die
nicht wie bei Schiller durch Theilung des Interesses zwischen Philosophie und
Dichtung gestört wurde.**)

Wie dem auch sei, er trat ebenbürtig in den Kreis der anerkannten Li¬
teratur, und noch genauer wurde sein Verhältniß zu den jüngeren Mitgliedern
jenes Kreises, namentlich zu Humboldt und Woltmann. Durch Goethe würde
e>ne intimere Bekanntschaft mit Jacob! vermittelt, gegen den er immer eine
große Verehrung hegte, nicht blos wegen seines stilistischen Talents, sondern
weil er ihm grade durch seinen lebhaften Kampf gegen die Kantische Philosophie
d>'e Aufnahme dieser schattenhaften Gedanken in die Einbildungskraft vermit¬
telte. Daß er gegen seinen Vorgänger Reinhold eine wenn auch nur indirekte




*) Doch sprach sich Schiller noch >I7!"ö sehr anerkennend ans, vgl. Briefe an Körner III. 336.
"
) Vergleiche Fichtes Leben 1, 3S-I; 2- 338.

tiges Eintreffen wurde verlangt, und so finden wir ihn bereits im Mai
als Professor in Jena. Die Bekanntschaft mit Schiller hatte er unterwegs in
Tübingen gemacht. Man hätte erwarten sollen, daß sich zwischen den beiden
Männern ein enges Verhältniß bilden würde; in ihrer Natur lag etwas Ver¬
wandtes und außerdem hatte sich grade damals Schiller auf das tiefste in die
Kantische Philosophie versenkt. ES fanden auch Annäherungsversuche statt.
Fichte wurde zur Mitherausgabe der „Hören" aufgefordert und diese nahmen
durch Schillers „ästhetische Briefe", sowie durch die Aufsätze von Humboldt und
Fichte eine philosophischere Färbung an, als dem Publicum und selbst dem
Herausgeber lieb war. Allein daS Verhältniß wurde bald getrübt; wo Schiller
sich nicht unbedigt hingeben konnte, war es schwer mit ihm zu verkehren, und
grade gegen Bestrebungen, die den seinigen nahestanden, zeigte er sich sehr
bald abstoßend und rücksichtslos.*) Außerdem führte ihn seine philosophische
Beschäftigung nach einer andern Richtung hin. Wenn Fichte ursprünglich
sich vorzugsweise auf die Metaphysik warf und die ersten Grundfragen der
Wissenschaft zu lösen suchte, so schwebte ihm dabei doch immer ein praktischer
Zweck vor, jener Kampf der Freiheit innerhalb des wirklichen Lebens, durch
welchen der Geist die Natur überwinden und sich eine irdische Realität erringen
sollte. Bei Schiller dagegen bestand der Freiheitskampf in der Flucht aus der
Wirklichkeit; er gründete seine Welt im „Reich der Schatten", im Spiel der
reinen Kunst. Diese Abweichung war nicht eine zufällige des augenblicklichen
Gedankengangs, sie war in der geistigen Anlage der beiden Männer mit Noth¬
wendigkeit begründet, und grade weil sie in nahestehenden Gebieten arbeiteten,
fühlten sie den Gegensatz lebhafter heraus. Darum war das Verhältniß Fichtes
ZU Goethe viel unbefangener und freier. Goethe schätzte in ihm eine eigen¬
thümliche, wenn auch etwas seltsame, doch bedeutende Erscheinung, die in das
Gebiet seines eignen Denkens und Empfindens nicht hemmend eingriff, und
Fichte bewunderte in Goethe die völlige Uebereinstimmung mit sich selbst, die
nicht wie bei Schiller durch Theilung des Interesses zwischen Philosophie und
Dichtung gestört wurde.**)

Wie dem auch sei, er trat ebenbürtig in den Kreis der anerkannten Li¬
teratur, und noch genauer wurde sein Verhältniß zu den jüngeren Mitgliedern
jenes Kreises, namentlich zu Humboldt und Woltmann. Durch Goethe würde
e>ne intimere Bekanntschaft mit Jacob! vermittelt, gegen den er immer eine
große Verehrung hegte, nicht blos wegen seines stilistischen Talents, sondern
weil er ihm grade durch seinen lebhaften Kampf gegen die Kantische Philosophie
d>'e Aufnahme dieser schattenhaften Gedanken in die Einbildungskraft vermit¬
telte. Daß er gegen seinen Vorgänger Reinhold eine wenn auch nur indirekte




*) Doch sprach sich Schiller noch >I7!»ö sehr anerkennend ans, vgl. Briefe an Körner III. 336.
"
) Vergleiche Fichtes Leben 1, 3S-I; 2- 338.
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[0255] tiges Eintreffen wurde verlangt, und so finden wir ihn bereits im Mai als Professor in Jena. Die Bekanntschaft mit Schiller hatte er unterwegs in Tübingen gemacht. Man hätte erwarten sollen, daß sich zwischen den beiden Männern ein enges Verhältniß bilden würde; in ihrer Natur lag etwas Ver¬ wandtes und außerdem hatte sich grade damals Schiller auf das tiefste in die Kantische Philosophie versenkt. ES fanden auch Annäherungsversuche statt. Fichte wurde zur Mitherausgabe der „Hören" aufgefordert und diese nahmen durch Schillers „ästhetische Briefe", sowie durch die Aufsätze von Humboldt und Fichte eine philosophischere Färbung an, als dem Publicum und selbst dem Herausgeber lieb war. Allein daS Verhältniß wurde bald getrübt; wo Schiller sich nicht unbedigt hingeben konnte, war es schwer mit ihm zu verkehren, und grade gegen Bestrebungen, die den seinigen nahestanden, zeigte er sich sehr bald abstoßend und rücksichtslos.*) Außerdem führte ihn seine philosophische Beschäftigung nach einer andern Richtung hin. Wenn Fichte ursprünglich sich vorzugsweise auf die Metaphysik warf und die ersten Grundfragen der Wissenschaft zu lösen suchte, so schwebte ihm dabei doch immer ein praktischer Zweck vor, jener Kampf der Freiheit innerhalb des wirklichen Lebens, durch welchen der Geist die Natur überwinden und sich eine irdische Realität erringen sollte. Bei Schiller dagegen bestand der Freiheitskampf in der Flucht aus der Wirklichkeit; er gründete seine Welt im „Reich der Schatten", im Spiel der reinen Kunst. Diese Abweichung war nicht eine zufällige des augenblicklichen Gedankengangs, sie war in der geistigen Anlage der beiden Männer mit Noth¬ wendigkeit begründet, und grade weil sie in nahestehenden Gebieten arbeiteten, fühlten sie den Gegensatz lebhafter heraus. Darum war das Verhältniß Fichtes ZU Goethe viel unbefangener und freier. Goethe schätzte in ihm eine eigen¬ thümliche, wenn auch etwas seltsame, doch bedeutende Erscheinung, die in das Gebiet seines eignen Denkens und Empfindens nicht hemmend eingriff, und Fichte bewunderte in Goethe die völlige Uebereinstimmung mit sich selbst, die nicht wie bei Schiller durch Theilung des Interesses zwischen Philosophie und Dichtung gestört wurde.**) Wie dem auch sei, er trat ebenbürtig in den Kreis der anerkannten Li¬ teratur, und noch genauer wurde sein Verhältniß zu den jüngeren Mitgliedern jenes Kreises, namentlich zu Humboldt und Woltmann. Durch Goethe würde e>ne intimere Bekanntschaft mit Jacob! vermittelt, gegen den er immer eine große Verehrung hegte, nicht blos wegen seines stilistischen Talents, sondern weil er ihm grade durch seinen lebhaften Kampf gegen die Kantische Philosophie d>'e Aufnahme dieser schattenhaften Gedanken in die Einbildungskraft vermit¬ telte. Daß er gegen seinen Vorgänger Reinhold eine wenn auch nur indirekte *) Doch sprach sich Schiller noch >I7!»ö sehr anerkennend ans, vgl. Briefe an Körner III. 336. " ) Vergleiche Fichtes Leben 1, 3S-I; 2- 338.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/255>, abgerufen am 27.07.2024.