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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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löste die Gewalt der Natur, die in Spinoza den Menschen willenlos in ihr
Triebrad hineinzog, in bloße Erregungen des Denkens auf, und ließ in der
Trümmermässe der zerschlagenen gegenständlichen Welt nur einen festen Punkt
bestehen, das Gewissen, von dem aus der Geist sich wieder in der Welt der
Gedanken und der Realitäten orientiren konnte. Diese Entdeckung mußte Fichte
mit einem innern Jubel erfüllen, und er faßte sogleich schärfer als Grund-
princip des ganzen Lebens und Denkens auf, was Kant mit Vorsicht, mit
Schonung, ja mit einem gewissen Bedenken immer nur in einzelnen Unter¬
suchungen entwickelt hatte. Zwei Umstände kamen ihm dabei zu Hilfe, sogleich
mit sicherm Blick dieses charakteristische Moment des Systems zu erfassen. Die
drei großen kritischen Schriften Kants lagen vollendet vor ihm und wirkten
auf ihn massenhaft, nicht in jener allmäligen Vermittlung, welche bei den
meisten Schülern der kritischen Philosophie die Paradorien des Meisters wieder
in das Niveau der gewöhnlichen Denkweise herabgezogen hatte. Sodann
lernte er sehr bald Jacobis Schrift ,,über den transscendentalen Idealismus"
kennen (1787), der mit innerer Herzensangst und sittlicher Entrüstung Kant
beschuldigt hatte, er ließe außer dem "Ich" in der Welt gar nichts mehr be¬
stehen, die ganze Welt zerflösse ihm in Schatten und Abstractionen. Was
das weiche Gemüth Jacobis schmerzlich bewegt und erschüttert hatte, war dem
stolzen Geiste Fichtes grade angemessen. Er adoptirte die Folgerungen Jacobis
in ihrer härtesten Form und erkannte in ihnen sein eignes Glaubenssystem.

Hatte er nun in dem Studium der Kantischen Philosophie den Leitpunkt
sür seinen Geist gefunden, so blieb sein äußeres Leben noch immer in der
Irre. Endlich zwang ihn die Noth, wieder eine Erzieherstelle in Warschau
anzunehmen, aber dies Verhältniß zerschlug sich bald, er begab sich nach
Königsberg und lernte Kant persönlich kennen. Fichte kam dem verehrten
Greis mit einer leidenschaftlichen, ungestümen Verehrung entgegen, die er
übrigens, und das ist vielleicht der schönste Zug in seinem Charakter, bis an
sein Ende bewahrt hat, so schwer ihn Kant auch später kränkte. Offenbar ist
dem alten Mann schon damals diese Art der Verehrung unheimlich gewesen.
In dem tiefsten Innern seiner Gedanken war Kant kühner, als irgend ein
Sterblicher vor ihm, aber die Form, die er ihnen gab, hatte, weil sie erst im
spätern Alter bei ihm zur Klarheit gekommen war, und weil seine äußerlichen,
durchaus kleinbürgerlichen Lebensverhältnisse doch nicht ohne Einwirkung aus
ihn blieben, etwas Greisenhaftes, Scheues und Bedenkliches. Der revolu¬
tionäre Ungestüm des 'jungen Mannes, dem er eine Verwandtschaft mit seinen
n'gnen Gedanken nicht ableugnen konnte, verwirrte und Erschreckte ihn und er
"ahn in Beziehung auf die heiligsten Mittheilungen, die jener ihm machte,
schon damals eine ablehnende Stellung ein, obgleich er im übrigen ihm theil¬
nehmend und freundlich entgegenkam.


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löste die Gewalt der Natur, die in Spinoza den Menschen willenlos in ihr
Triebrad hineinzog, in bloße Erregungen des Denkens auf, und ließ in der
Trümmermässe der zerschlagenen gegenständlichen Welt nur einen festen Punkt
bestehen, das Gewissen, von dem aus der Geist sich wieder in der Welt der
Gedanken und der Realitäten orientiren konnte. Diese Entdeckung mußte Fichte
mit einem innern Jubel erfüllen, und er faßte sogleich schärfer als Grund-
princip des ganzen Lebens und Denkens auf, was Kant mit Vorsicht, mit
Schonung, ja mit einem gewissen Bedenken immer nur in einzelnen Unter¬
suchungen entwickelt hatte. Zwei Umstände kamen ihm dabei zu Hilfe, sogleich
mit sicherm Blick dieses charakteristische Moment des Systems zu erfassen. Die
drei großen kritischen Schriften Kants lagen vollendet vor ihm und wirkten
auf ihn massenhaft, nicht in jener allmäligen Vermittlung, welche bei den
meisten Schülern der kritischen Philosophie die Paradorien des Meisters wieder
in das Niveau der gewöhnlichen Denkweise herabgezogen hatte. Sodann
lernte er sehr bald Jacobis Schrift ,,über den transscendentalen Idealismus"
kennen (1787), der mit innerer Herzensangst und sittlicher Entrüstung Kant
beschuldigt hatte, er ließe außer dem „Ich" in der Welt gar nichts mehr be¬
stehen, die ganze Welt zerflösse ihm in Schatten und Abstractionen. Was
das weiche Gemüth Jacobis schmerzlich bewegt und erschüttert hatte, war dem
stolzen Geiste Fichtes grade angemessen. Er adoptirte die Folgerungen Jacobis
in ihrer härtesten Form und erkannte in ihnen sein eignes Glaubenssystem.

Hatte er nun in dem Studium der Kantischen Philosophie den Leitpunkt
sür seinen Geist gefunden, so blieb sein äußeres Leben noch immer in der
Irre. Endlich zwang ihn die Noth, wieder eine Erzieherstelle in Warschau
anzunehmen, aber dies Verhältniß zerschlug sich bald, er begab sich nach
Königsberg und lernte Kant persönlich kennen. Fichte kam dem verehrten
Greis mit einer leidenschaftlichen, ungestümen Verehrung entgegen, die er
übrigens, und das ist vielleicht der schönste Zug in seinem Charakter, bis an
sein Ende bewahrt hat, so schwer ihn Kant auch später kränkte. Offenbar ist
dem alten Mann schon damals diese Art der Verehrung unheimlich gewesen.
In dem tiefsten Innern seiner Gedanken war Kant kühner, als irgend ein
Sterblicher vor ihm, aber die Form, die er ihnen gab, hatte, weil sie erst im
spätern Alter bei ihm zur Klarheit gekommen war, und weil seine äußerlichen,
durchaus kleinbürgerlichen Lebensverhältnisse doch nicht ohne Einwirkung aus
ihn blieben, etwas Greisenhaftes, Scheues und Bedenkliches. Der revolu¬
tionäre Ungestüm des 'jungen Mannes, dem er eine Verwandtschaft mit seinen
n'gnen Gedanken nicht ableugnen konnte, verwirrte und Erschreckte ihn und er
«ahn in Beziehung auf die heiligsten Mittheilungen, die jener ihm machte,
schon damals eine ablehnende Stellung ein, obgleich er im übrigen ihm theil¬
nehmend und freundlich entgegenkam.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/251>, abgerufen am 27.07.2024.