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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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mit dem alten trüben Gewässer der bereits etwas angefaulten Ausklärung aus.
Fichte dagegen brachte ein Moment mit, das vorzugsweise dazu geeignet war/
den großen Sinn dieser neuen Philosophie zu offenbaren: den Enthusiasmus
des Gewissens, der selbst knabenhaften Entschlüssen eine erhöhte Stimmung
gab, den religiösen Ernst, der aus dem unscheinbarsten Ereignis) einen Gegen¬
stand der strengsten Selbstprüfung machte und die Entschiedenheit im Denken,
die vor keinen Folgerungen zurückbebte. Schon in früher Jugend hegte er
eine grenzenlose Verachtung gegen die beliebte Gutherzigkeit, die sich von zufäl¬
ligen Gefühlseindrücken bestimmen läßt, und gegen die bequeme Subjectivität
in den Ansichten, die sich aller Kritik überheben zu können glaubt. Lange ehe
er von dem kategorischen Imperativ etwas gehört hatte, übte er aus, was er
bis an das Ende seines Lebens sortgesetzt hat: vor jedem Entschluß brachte
er die Gründe für und wider, um sie genau zu prüfen, zu Papier, und das
Resultat, welches er durch vielseitige Ueberlegung gewonnen hatte, war dann
absolut bestimmend; selbst in Verhältnissen, die sich im gewöhnlichen Leben
dieser Dialektik entziehen. Ebenso gewissenhaft ging er bei seinen Studien zu
Werke. Jedes Buch, das ihn anregte, las er mit der Feder in der Hand,
indem er bei jedem neuen bedeutenden Satze sich über die Absichten des Ver¬
fassers und über die wahrscheinlichen Resultate im voraus klar zu werden
suchte, um dann auf die Weiterentwicklung vorbereitet zu sein.

Der erste Schriftsteller, der aus seine Seele einen mächtigen Eindruck
ausgeübt hatte, war Spinoza. Er hatte seinen Verstand befriedigt, aber sein
Herz empört, grade wie bei Jacobi, Schiller, Steffens") u. a. im Gegen¬
satz zu Goethe, und wenn er auch schon damals entschlossen war, sich jedem
Lehrgebäude zu unterwerfen, das er mit seinem Verstände als richtig aner¬
kannte, wie sehr es seinem Herzen widersprach, so ist eine solche Unterwerfung
doch nur bis zu einer gewissen Grenze möglich. Die Wünsche des Herzens
gestalten sich -sehr bald zu Zweifeln des Verstandes und die Einheit des Wissens
und der Empfindung wird gestört. Das höchste Gut, dem Fichte nachstrebte,
war die Freiheit des Willens und die sittliche Selbstbestimmung, diese wurde
ihm durch Spinoza geraubt.

Und hier ging ihm^ ein Licht in der kritischen Philosophie auf. Kant



Man vergleiche Steffens "Was ich erlebte", III. S. I89--!w. -- "Als ich überzeugt
war, Spinoza ganz verstanden zu haben, bemerkte ich erst, wieviel ich verloren hatte. Die
lebendige-Ratnr, das bunte Leben schien mir erblaßt und ergraut; hinter mir lagen alle
Wünsche und Hoffnungen, denn ich mußte mir es gestehen, daß sie als solche eine Unwahr¬
heit enthielte", und ihre wahre Bedeutung nnr dann erlangten, wenn sie sie schlechthin ver¬
loren hatten. . . . Doch lag sowenig eine Verzweiflung in der momentanen Entsagung alles
dessen, was mich früher durchdrang und beschäftigte, daß vielmehr das vorübergehende Er¬
schrecken sich in eine innere hoffnungsvolle Freude verkehrte, als hätte ich den tiefen elastischen
Boden aller freien. Thätigkeit gefunden. . ," --

mit dem alten trüben Gewässer der bereits etwas angefaulten Ausklärung aus.
Fichte dagegen brachte ein Moment mit, das vorzugsweise dazu geeignet war/
den großen Sinn dieser neuen Philosophie zu offenbaren: den Enthusiasmus
des Gewissens, der selbst knabenhaften Entschlüssen eine erhöhte Stimmung
gab, den religiösen Ernst, der aus dem unscheinbarsten Ereignis) einen Gegen¬
stand der strengsten Selbstprüfung machte und die Entschiedenheit im Denken,
die vor keinen Folgerungen zurückbebte. Schon in früher Jugend hegte er
eine grenzenlose Verachtung gegen die beliebte Gutherzigkeit, die sich von zufäl¬
ligen Gefühlseindrücken bestimmen läßt, und gegen die bequeme Subjectivität
in den Ansichten, die sich aller Kritik überheben zu können glaubt. Lange ehe
er von dem kategorischen Imperativ etwas gehört hatte, übte er aus, was er
bis an das Ende seines Lebens sortgesetzt hat: vor jedem Entschluß brachte
er die Gründe für und wider, um sie genau zu prüfen, zu Papier, und das
Resultat, welches er durch vielseitige Ueberlegung gewonnen hatte, war dann
absolut bestimmend; selbst in Verhältnissen, die sich im gewöhnlichen Leben
dieser Dialektik entziehen. Ebenso gewissenhaft ging er bei seinen Studien zu
Werke. Jedes Buch, das ihn anregte, las er mit der Feder in der Hand,
indem er bei jedem neuen bedeutenden Satze sich über die Absichten des Ver¬
fassers und über die wahrscheinlichen Resultate im voraus klar zu werden
suchte, um dann auf die Weiterentwicklung vorbereitet zu sein.

Der erste Schriftsteller, der aus seine Seele einen mächtigen Eindruck
ausgeübt hatte, war Spinoza. Er hatte seinen Verstand befriedigt, aber sein
Herz empört, grade wie bei Jacobi, Schiller, Steffens") u. a. im Gegen¬
satz zu Goethe, und wenn er auch schon damals entschlossen war, sich jedem
Lehrgebäude zu unterwerfen, das er mit seinem Verstände als richtig aner¬
kannte, wie sehr es seinem Herzen widersprach, so ist eine solche Unterwerfung
doch nur bis zu einer gewissen Grenze möglich. Die Wünsche des Herzens
gestalten sich -sehr bald zu Zweifeln des Verstandes und die Einheit des Wissens
und der Empfindung wird gestört. Das höchste Gut, dem Fichte nachstrebte,
war die Freiheit des Willens und die sittliche Selbstbestimmung, diese wurde
ihm durch Spinoza geraubt.

Und hier ging ihm^ ein Licht in der kritischen Philosophie auf. Kant



Man vergleiche Steffens „Was ich erlebte", III. S. I89—!w. — „Als ich überzeugt
war, Spinoza ganz verstanden zu haben, bemerkte ich erst, wieviel ich verloren hatte. Die
lebendige-Ratnr, das bunte Leben schien mir erblaßt und ergraut; hinter mir lagen alle
Wünsche und Hoffnungen, denn ich mußte mir es gestehen, daß sie als solche eine Unwahr¬
heit enthielte», und ihre wahre Bedeutung nnr dann erlangten, wenn sie sie schlechthin ver¬
loren hatten. . . . Doch lag sowenig eine Verzweiflung in der momentanen Entsagung alles
dessen, was mich früher durchdrang und beschäftigte, daß vielmehr das vorübergehende Er¬
schrecken sich in eine innere hoffnungsvolle Freude verkehrte, als hätte ich den tiefen elastischen
Boden aller freien. Thätigkeit gefunden. . ," —
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/250>, abgerufen am 06.10.2024.