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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Fichte geneth auch in Königsberg in eine bedrängte Lage, er wandte sich
an Kant um Hilfe, in einem höchst charakteristischen Briefe. Er motivirt seine
Forderung nach den Principien des kategorischen Imperativs und stellt mit
der größten Gewissenhaftigkeit das Für und Wider zusammen. Endlich wurde
ihm durch Kants Vermittlung Hilfe; er fand nach verschiedenen Schwierig¬
keiten, die ihm von Seiten der Censur gemacht wurden, einen Verleger für
ein Buch und bald darauf eine neue Hauslehrerstelle in Danzig.

Jenes Buch erschien anonym 1792; es war die Kritik aller Offen¬
barung. Augenblicklich wurde es in der Jenaischen Literaturzeitung bespro¬
chen: der Recensent war überzeugt, daß nur ein Mann in der Welt so etwas
schreiben könne, daß jede Zeile dieses Meisterstücks die Hand des großen Phi¬
losophen von Königsberg verriethe. Kant widersprach den 3. Juli 1792 und
zeigte an, daß der "geschickte" Verfasser dieses Buchs ein Kandidat der Theo¬
logie sei, Namens Fichte, gegenwärtig Informator bei dem Herrn von Krokow.
-- Damit trat Fichte in das literarische Leben seiner Zeit ein.

Die Verwechslung war dem Recensenten zu verzeihen. Trotz der Abwei¬
chung im Stil war das Buch in der strengsten Methode der kritischen Philo¬
sophie geschrieben. Auf uns macht es einen etwas sonderbaren Eindruck.
Wenn wir heute den Begriff der Offenbarung zu untersuchen hätten, so wür¬
den wir vor allen Dingen festzustellen suchen, was man sich eigentlich dabei
denken soll, wir würden sozusagen die physische Möglichkeit eines solchen
Factums in Erwägung ziehen: damals galten die moralischen Begriffe so un¬
bedingt, daß man nur die moralische Seite der Offenbarung untersuchte.'

Ein Jahr nach der "Kritik der Offenbarung" (1793) erschien von Kant
selbst "die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft", die classische
Schrift sür das System des Nationalismus. Die Vergleichung der beiden
Schriften ist sehr lehrreich. Fichte hat unzweifelhaft den Vorzug einer schär¬
fern energischen und einheitlichen Entwicklung; aber an Tiefe und Breite der
Anschauungen ist ihm Kant bei weitem überlegen. Fichte entwickelt die objec¬
tive Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit der Offenbarung, er weist nach, daß
das Menschengeschlecht so verwildern konnte, die Idee der Pflicht überhaupt
zu verlieren, und daß in diesem Falle Gott unmittelbar in einem aus die
Sinne wirkenden Factum (Wunder) auftreten mußte, um es zunächst daraus
aufmerksam zu machen, daß es überhaupt eine Pflicht gebe, und ihm dann
zu überlassen, den Inhalt dieser Pflicht im eignen Gewissen zu suchen. Kant
dagegen bleibt ganz innerhalb des transscendentalen oder subjectiven Stand¬
punktes; hier aber chest er entschiedener und gründlicher zu Werke. Er beweist
die subjective Nothwendigkeit einer Offenbarung, d. h. die Nothwendigkeit
deö Glaubens an eine Offenbarung, aus dem radicalen Bösen innerhalb der
menschlichen Natur, welche durch die blos theoretische Vernunft nie daraus


Fichte geneth auch in Königsberg in eine bedrängte Lage, er wandte sich
an Kant um Hilfe, in einem höchst charakteristischen Briefe. Er motivirt seine
Forderung nach den Principien des kategorischen Imperativs und stellt mit
der größten Gewissenhaftigkeit das Für und Wider zusammen. Endlich wurde
ihm durch Kants Vermittlung Hilfe; er fand nach verschiedenen Schwierig¬
keiten, die ihm von Seiten der Censur gemacht wurden, einen Verleger für
ein Buch und bald darauf eine neue Hauslehrerstelle in Danzig.

Jenes Buch erschien anonym 1792; es war die Kritik aller Offen¬
barung. Augenblicklich wurde es in der Jenaischen Literaturzeitung bespro¬
chen: der Recensent war überzeugt, daß nur ein Mann in der Welt so etwas
schreiben könne, daß jede Zeile dieses Meisterstücks die Hand des großen Phi¬
losophen von Königsberg verriethe. Kant widersprach den 3. Juli 1792 und
zeigte an, daß der „geschickte" Verfasser dieses Buchs ein Kandidat der Theo¬
logie sei, Namens Fichte, gegenwärtig Informator bei dem Herrn von Krokow.
— Damit trat Fichte in das literarische Leben seiner Zeit ein.

Die Verwechslung war dem Recensenten zu verzeihen. Trotz der Abwei¬
chung im Stil war das Buch in der strengsten Methode der kritischen Philo¬
sophie geschrieben. Auf uns macht es einen etwas sonderbaren Eindruck.
Wenn wir heute den Begriff der Offenbarung zu untersuchen hätten, so wür¬
den wir vor allen Dingen festzustellen suchen, was man sich eigentlich dabei
denken soll, wir würden sozusagen die physische Möglichkeit eines solchen
Factums in Erwägung ziehen: damals galten die moralischen Begriffe so un¬
bedingt, daß man nur die moralische Seite der Offenbarung untersuchte.'

Ein Jahr nach der „Kritik der Offenbarung" (1793) erschien von Kant
selbst „die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft", die classische
Schrift sür das System des Nationalismus. Die Vergleichung der beiden
Schriften ist sehr lehrreich. Fichte hat unzweifelhaft den Vorzug einer schär¬
fern energischen und einheitlichen Entwicklung; aber an Tiefe und Breite der
Anschauungen ist ihm Kant bei weitem überlegen. Fichte entwickelt die objec¬
tive Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit der Offenbarung, er weist nach, daß
das Menschengeschlecht so verwildern konnte, die Idee der Pflicht überhaupt
zu verlieren, und daß in diesem Falle Gott unmittelbar in einem aus die
Sinne wirkenden Factum (Wunder) auftreten mußte, um es zunächst daraus
aufmerksam zu machen, daß es überhaupt eine Pflicht gebe, und ihm dann
zu überlassen, den Inhalt dieser Pflicht im eignen Gewissen zu suchen. Kant
dagegen bleibt ganz innerhalb des transscendentalen oder subjectiven Stand¬
punktes; hier aber chest er entschiedener und gründlicher zu Werke. Er beweist
die subjective Nothwendigkeit einer Offenbarung, d. h. die Nothwendigkeit
deö Glaubens an eine Offenbarung, aus dem radicalen Bösen innerhalb der
menschlichen Natur, welche durch die blos theoretische Vernunft nie daraus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/252>, abgerufen am 27.07.2024.